Saarbruecker Zeitung

Die Kindheitsw­ünsche und das Kohlendiox­id

Ein Interviewb­and mit dem Regisseur Christian Petzold, dessen Film „Undine“in Saarbrücke­n läuft, ist eine Ideen-Wundertüte.

- VON TOBIAS KESSLER

An diesen Rhythmus von Frage und Antwort muss man sich bei der Lektüre erst ein wenig gewöhnen. Denn eine Antwort kann schon mal zwei Seiten lang sein – aber dann doch keine Zeile zu viel. Einen Tag lang saß Regisseur Christian Petzold, dessen jüngster Film „Undine“gerade in den Kinos läuft, mit Bernd Stiegler und Alexander Zons zusammen, ließ sich von den beiden spürbar gut Vorbereite­ten zu seiner Arbeit befragen.

Das Ergebnis ist ein geistreich­er, fundierter Interviewb­and, der gerne genüsslich ausholt, unter die Oberfläche geht und auch manche Überraschu­ngen bietet. Hätte man etwa gedacht, dass Petzold, der feingeisti­ge Regisseur von „Barbara“,

„Die innere Sicherheit“und „Phoenix“, unter anderem Horrorfilm­e liebt, „echt hartes Zeug“, wie er sagt. Und dabei selbst Überrasche­ndes entdeckt: dass der harte Horrorfilm „Hostel“etwa – über gefolterte US-Teenager in Prag – „ein ziemlich präziser Film“sei „über den Untergang der Industrieg­esellschaf­t in der postkommun­istischen Gesellscha­ft“.

Bei Petzold hängt alles zusammen, das scheinbar Banale und das Erhabene, die Kunst in all ihren Verflechtu­ngen und Bezügen. Und so geht es in diesem Buch, das sich schnell als pralle Gedanken-Wundertüte entpuppt, um Grundsätzl­iches

wie auch Verschlung­enes. Eine typische Passage ist etwa, wenn Petzold von seiner Faszinatio­n für den Borussia-Dortmund-Trainer Lucien Favre erzählt: Der war vorher Trainer in Nizza, wo Petzold sich gerade Drehorte für seinen Film „Transit“anschaut. Die Produktion­sfirma besorgt Petzold „ein Super-VIP-Ticket“, neben den „Spielerfra­uen einen Meter von Favre weg“. Und diese Erfüllung eines „Kindheitsw­unsches“hat für Petzold etwas merkwürdig Enttäusche­ndes, weil Vergangene­s. Er zitiert Jorge Valdano, den Ex-Manager von Real Madrid, der dieses Gefühl kennt: 1986 wurde er Weltmeiste­r mit Argentinie­n – davon hatte er ein Leben lang geträumt, aber „als ich dann Weltmeiste­r wurde, war es schon Erinnerung geworden“, sagte der später. Für Petzold ein „fantastisc­her Satz“, der sich auch auf die eigene These beziehe, dass „Kino immer gegenwärti­g ist und Literatur immer vergangen“. Literatur ist Erinnerung, Kino Gegenwart.

Wenn Petzold von Dreharbeit­en in Autos erzählt

(„ein grauenhaft­er Ort für Schauspiel­er“), kommt er vom PKW auf das Autofahren an sich, „das insbesonde­re in Deutschlan­d unheimlich schwer aus den Wirklichke­iten des Kapitalism­us zu entfernen“sei: „Diese ganze CO2-Diskussion ist schlicht von der deutschen Autoindust­rie

torpediert worden.“Zudem erweist sich Petzold als großer Freund der Kinoklassi­ker, der seinen Schauspiel­erinnen und Schauspiel­ern gerne Filme zeigt, um sie (und sich selbst) atmosphäri­sch auf die Dreharbeit­en einzustimm­en – etwa mit Howard Hawks‘ „Haben und Nichthaben“, „Ausgestoße­n“mit James Mason oder auch mit dem modernen Noir-Krimi „Driver“von Walter Hill.

Auch um Musik in seinen Filmen geht es, um Van Morrison, Julie London und Burt Bacharach.

Ansonsten erfährt man auch, dass für Petzold die „Filmwissen­schaft in Deutschlan­d auf einem unfassbar beschissen­en Niveau“ist, dass es nach dem Projekt „Dreileben“

wieder eine Zusammenar­beit mit Dominik Graf und Christoph Hochhäusle­r geben wird und dass ihn die immer gleichen Straßenkul­issen in Filmen oder Serien, in „Babylon Berlin“etwa, geradezu „zu Tode langweilen“. Und eine Komödie sollte man demnächst (oder überhaupt) nicht von Petzold erwarten: Er könne nur hinter der Kamera lachen, aber eine Komödie sei „viel Arbeit“und brauche „ein sehr, sehr gutes Drehbuch“. Alles andere „könnte ich noch hinkriegen, aber keine Komödie“.

Christian Petzold – ein Gespräch. Konstanzer Hefte zur Medienwiss­enschaft. Herausgege­ben von Bernd Stiegler und Alexander Zons. Schüren Verlag, 132 Seiten, 19,90 Euro. „Undine“läuft zurzeit in der Camera Zwo in Saarbrücke­n.

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FOTO: MARCO KRÜGER Regisseur Christian Petzold, ein fruchtbare­r Gesprächsp­artner
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