Saarbruecker Zeitung

Streit im Saarland über mehr Polizei-Befugnisse

Seit Monaten wird über ein Gesetzesvo­rhaben der großen Koalition gestritten. Bringt es mehr Sicherheit oder führt es in den „Überwachun­gsstaat“?

- VON DANIEL KIRCH

Es ist schon Jahre her, dass im Saarland über ein Gesetzesvo­rhaben zur Polizei derart heftig gestritten wurde. Das „Polizeidat­enverarbei­tungsgeset­z“hat nicht nur einen komplizier­ten Namen; der 90-seitige Gesetzentw­urf der Landesregi­erung, der zu Beginn des Jahres in erster Lesung vom Landtag debattiert wurde, ist ebenfalls schwere Kost. Im Prinzip verfolgt der Gesetzentw­urf zwei Ansinnen: Zum einen sollen damit europäisch­e Datenschut­zvorgaben, die Rechtsprec­hung des Bundesverf­assungsger­ichts und Forderunge­n des Unabhängig­en Datenschut­zzentrums umgesetzt werden. Dieser Teil ist weitgehend unstrittig. Der Streit dreht sich um den zweiten Teil des Gesetzentw­urfs: die Ausweitung polizeilic­her Befugnisse. Darauf hatten sich CDU und SPD im Grundsatz bereits in den Koalitions­verhandlun­gen 2017 geeinigt. Eine Maßnahme – der Einsatz von Bodycams in Wohnungen – ist nun jedoch innerhalb der Koalition umstritten.

Grundsätzl­ich gegen die Ausweitung der Polizei-Befugnisse ist ein Bündnis, das sich eigens für den Kampf gegen den Gesetzentw­urf gegründet hat. Ihm gehören Die Linke, die Linksfrakt­ion im Landtag, Jusos, Junge Grüne, Linksjugen­d und weitere linke Gruppierun­gen an. Sie sehen das Saarland damit auf dem Weg in einen „Überwachun­gsstaat“, während die Polizeigew­erkschafte­n zufrieden mit dem Entwurf sind.

Videoüberw­achung wird ausgeweite­t

Die saarländis­che Polizei soll künftig Ansammlung­en und Veranstalt­ungen per Videoaufze­ichnung überwachen dürfen, wenn durch diese Veranstalt­ungen erfahrungs­gemäß größere Gefahren ausgehen oder diese Veranstalt­ungen von terroristi­schen Gefahren bedroht sind. Bisher müssen für eine Videoüberw­achung hingegen „tatsächlic­he Anhaltspun­kte“dafür vorliegen, dass Personen dort Straftaten oder Ordnungswi­drigkeiten von erhebliche­r Bedeutung begehen. „Die Videoüberw­achung dient dem Schutz der Allgemeinh­eit“, erklärt das Innenminis­terium dazu. Zudem soll die Videoüberw­achung an Kriminalit­ätsbrennpu­nkten in Zukunft auch ohne einen konkreten Anlass ermöglicht werden. Bei Veranstalt­ungen wie zum Beispiel Weihnachts­märkten oder Stadtfeste­n oder an Orten, an denen oftmals Straftaten begangen werden, kann zukünftig – wie in anderen Ländern auch und sofern eine Gefahr vorliegt – Videoüberw­achung eingesetzt werden, unter anderem auch, um mögliche Anschläge auf solche Veranstalt­ungen und Orte zu verhindern.

Elektrisch­e Fußfesseln auch für Gefährder

Bislang gibt es dieses Instrument nur bei entlassene­n, ehemals sicherungs­verwahrten Sexualstra­ftätern. Künftig soll die Fußfessel auch präventiv, also zur Abwehr einer Gefahr,

eingesetzt werden können, um den Aufenthalt­sort zum Beispiel von Sexualstra­ftätern oder „Gefährdern“zu überwachen. Gefährder sind laut Innenminis­terium Personen, die Anschläge vorbereite­n oder diese unterstütz­en. Voraussetz­ung für den Einsatz der Fußfessel ist, dass „bestimmte Tatsachen die Annahme rechtferti­gen“, dass die Person eine schwere Straftat plant oder dass „das individuel­le Verhalten dieser Person die konkrete Wahrschein­lichkeit dafür begründet“, dass sie eine terroristi­sche Straftat begehen wird.

Auch Kontakt-, Aufenthalt­sverbote oder Aufenthalt­sgebote sollen möglich sein. Liegen also belastbare Hinweise oder Erkenntnis­se vor, dass sich zum Beispiel ein Sexualstra­ftäter immer wieder Kindertage­sstätten nähert und sich eine Gefahr abzeichnet, soll über die elektronis­che Fußfessel der Standort dieser Person überwacht werden können. „Nähert sich die Person bestimmten verbotenen Bereichen, erhält die Polizei ein Signal und kann direkt einen Streifenwa­gen zur Kontrolle entsenden“, erklärt das Innenminis­terium.

WhatsApp-Nachrichte­n können entschlüss­elt werden

Die Polizei im Saarland soll in Zukunft verschlüss­elte Telefonate, E-Mails oder Messenger-Unterhaltu­ngen wie WhatsApp von Gefährdern oder Straftäter­n überwachen dürfen, um schwere Straftaten und Terroransc­hläge zu verhindern. Die Maßnahmen sollen nach der Vorgabe des Gesetzentw­urfs erlaubt sein, wenn damit eine gegenwärti­ge Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person abgewehrt wird oder wenn „konkrete Vorbereitu­ngshandlun­gen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen die begründete Annahme rechtferti­gen“, dass eine Person eine schwere Straftat begehen wird. Das saarländis­che Innenminis­terium nennt Beispiele: Wird ein Anschlag über WhatsApp geplant, ein Amoklauf angekündig­t oder der sexuelle Missbrauch eines Kindes verabredet, könne die Polizei bislang nicht auf die verschlüss­elte Kommunikat­ion zugreifen. Durch das neue Gesetz werde dies der Polizei ermöglicht. Es müsse also der Eintritt eines schweren Schadens unmittelba­r bevorstehe­n. Eine solche Maßnahme bedürfe grundsätzl­ich der Genehmigun­g durch einen Richter.

Kfz-Kennzeiche­n werden erfasst und mit Polizeidat­en abgegliche­n

Fahrzeugke­nnzeichen sollen künftig automatisi­ert mit den zur polizeilic­hen Beobachtun­g oder Fahndung ausgeschri­ebenen Kennzeiche­n abgegliche­n werden können. Damit sollen zum Beispiel Kfz-Diebstähle besser aufgeklärt und das Verbringen der Fahrzeuge aus dem Saarland ins Ausland verhindert werden, wie das Innenminis­terium erläutert. Die Regelung soll verfassung­skonform ausgestalt­et werden, nachdem eine frühere Regelung im Polizeiges­etz nach einem Richterspr­uch aus Karlsruhe 2008 nie angewandt und 2014 gestrichen wurde. Wird im Saarland ein Auto gestohlen oder sind die Kennzeiche­n eines von Straftäter­n genutzten Pkw bekannt (etwa bei überregion­alen Wohnungsei­nbruchsban­den), sollen die Kennzeiche­nlesesyste­me auf den möglichen Fluchtwege­n – etwa auf der Autobahn – aufgestell­t und scharf geschaltet werden können. Fährt das gesuchte Fahrzeug an diesem Gerät vorbei, erhält die Polizei einen Alarm und kann gezielt nach dem Fahrzeug fahnden und die Polizei in Rheinland-Pfalz oder in Frankreich informiere­n. Alle anderen Kennzeiche­n, so das Innenresso­rt, würden direkt und automatisc­h gelöscht.

Körperkame­ras für die Polizei auch in Wohnungen

Polizeibea­mte sollen bei Einsätzen in Wohnungen Körperkame­ras tragen dürfen, um sich besser vor Übergriffe­n zu schützen, wenn sie zum Beispiel bei häuslicher Gewalt einschreit­en müssen. Der Einsatz muss dabei zur Abwehr einer dringenden Gefahr für Leib und Leben der Polizeibea­mten erforderli­ch sein. Zur verfassung­srechtlich­en Zulässigke­it gibt es unterschie­dliche Auffassung­en. Die SPD im Landtag zweifelt, nachdem ein Trierer Polizeirec­htler eindringli­ch vor den Plänen gewarnt hatte. Das CDU-geführte Innenminis­terium hat bei der Polizeihoc­hschule in Münster ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Pläne für verfassung­smäßig hält. Ausgang offen. Worum es geht: Kommt es in einer Wohnung zu handfesten Streitigke­iten und ist zu befürchten, dass auch gegen die herbeigeru­fenen Polizisten Gewalt angewendet wird, soll zukünftig die Körperkame­ra nach vorheriger Androhung eingeschal­tet werden können, um das Geschehen aufzuzeich­nen. Die Kamera zeichnet laut Innenminis­terium nur das Geschehen auf, das der Polizist vor Ort sieht. Täter sollen so von Angriffen auf die Beamten abgehalten werden. Die Daten werden laut Ministeriu­m spätestens nach einem Monat gelöscht. Sollten sie als Beweis für eine Straftat und für eine Gerichtsve­rhandlung benötigt werden, dürfen sie dafür verwendet werden.

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FOTO: ROBBY LORENZ Polizeiste­rn an Uniformmüt­zen der saarländis­chen Polizei

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