Künstler kämpfen für die Saarbrücker Sommermusik
Wie die Sommermusik wurde, was sie ist und warum das die Kulturszene besser machte. Eine kleine Kultur-Geschichte.
Manchmal muss man weit in die Vergangenheit zurück gehen, um zu erkennen, welche Bedeutung etwas für die Gegenwart hat. Bei der Saarbrücker Sommermusik zum Beispiel. Sie ist seit vielen Jahren ein qualitätvolles Festival, das maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die freie Kulturszene der Stadt ein eigenes und einzigartiges Profil entwickelte.
Auslöser war vor über 30 Jahren ein Anruf des damaligen Kulturdezernenten Rainer Silkenbeumer bei
Kulturamtsmitarbeiter Thomas Altpeter. Ob er denn nicht mal ein paar Konzerte im Sommer auf dem St. Johanner Markt organisieren könnte. Thomas Altpeter hatte da zwar gerade Urlaub, aber wer ihn kennt weiß, dass ihn so was noch nie vom Arbeiten abgehalten hat.
Es begann mit kleinen Konzerten vor der Stadtgalerie. Nach und nach kamen weitere Konzerte dazu, etwa am Rondell im Bürgerpark. „Das war aber alles noch ziemlich Kraut und Rüben“, meint Thomas Altpeter rückblickend.
Doch dann kam eine denkwürdige Konferenz zum Thema freie Szene
in Kiel. In einem Referat erklärte dort der damalige Münchner Kulturreferent Siegfried Hummel, die freie Szene sei nicht innovativ, innovativ seien in München nur die staatlichen Bühnen. „Es ging ein Aufschrei durchs Publikum“, erzählt Altpeter.
Aber er fand damals, Hummel habe Recht. „Die ganze Erneuerung, der Aufbruch der Szene aus den 60er-Jahren war längst verpufft.“Auch in Saarbrücken gab es zu viele mittelmäßige, wenig aufregende Produktionen. Altpeter fand, „die freie Szene muss ein eigenes Ding werden in Saarbrücken, sie muss unverwechselbar sein“. Kulturförderung bedeute nicht, „sich hinzusetzen und abzuwarten, was kommt“. Kultur müsse entwickelt werden.
Ein weiterer Anstoß war ein Konzert des damals sehr gelobten zeitgenössischen Duos Archäopterix in der Modernen Galerie. „Wir hatten das mit recht viel Geld gefördert, und dann kamen fünf Zuschauer“, erzählt Altpeter. Im Kulturamt war man damals fassungslos. Und Altpeter überlegte, dass es zwei Möglichkeiten gab: entweder keine neuartigen, vielleicht +mal sperrigen Konzerte mehr zu veranstalten. Oder dafür zu sorgen, dass mehr Leute kommen. „Bei einem Festival kommen die Leute auch mal, wenn sie etwas nicht kennen.“Die Idee zur Saarbrücker Sommermusik nahm Gestalt an.
Fortan fing Altpeter an, einige Projekte für die Sommermusik mit den Künstlerinnen und Künstlern gemeinsam zu entwickeln. Und er gab klare Kriterien vor, die bis heute gelten: „Es muss etwas Neues sein, eine Uraufführung ist Bedingung.“
Es musste innovativ sein, und die Saarbrücker Kreativen sollten möglichst auch mal zusammenarbeiten.
Denn bis dahin hatte es – Ältere erinnern sich mit Grausen – ein oft unwürdiges Hauen und Stechen um die raren Fördermittel gegeben. „Da haben sich einige regelrecht bekriegt.“Und nicht selten verteilte der Kulturausschuss Zuschüsse an Künstlerinnen oder Künstler nicht nach Qualität, sondern mit der Gießkanne und weil manche Strippen gezogen und Druck gemacht hatten.
Altpeter hatte da ganz anderes im Sinn. „Ich wollte die Freie Szene weiterentwickeln, ohne dass die Leute es überhaupt mitbekommen.“Dafür erdachte er ein Zwei-Säulen-Modell für die Kulturförderung und die Sommermusik. Dafür muss man wissen: Für kulturelle Projekte gibt die Stadt aktuell 103 000 Euro im Jahr. Die Sommermusik hat einen Etat von sehr bescheidenen 18 000 Euro.
Nach Altpeters Modell werden nun Teile aus dem Kulturförderungs-Etat gezielt dazu genutzt, dass heimische Gruppen Produktionen entwickeln können, die dann (auch) bei der Sommermusik gezeigt werden. Mit dem 18 000-Euro-Festival-Etat holte Altpeter meist Leute von auswärts dazu, die dann wiederum oft mit Künstlern von hier zusammenarbeiteten. Gegenseitige Befruchtung wurde so möglich. Mancher durchaus renommierte Künstler kam schon zu recht bescheidener Gage – einfach, weil die Sommermusik einen Anspruch und einen Austausch bot.
„Die Szene hat sich über die Jahre vernetzt“, hat Altpeter festgestellt. Auch weil er nicht müde wird, zu predigen: „Ihr müsst zusammenarbeiten!“Einige der Musiker aus der Anfangszeit sind heute noch dabei und haben sich stark weiterentwickelt. Und auch das Publikum hat dazugelernt. Viele kommen zwar vielleicht immer noch, weil sie einen Beethoven oder Schubert hören wollen, aber sie sind offen dafür, wenn dann auch noch eine neue Komposition etwa von Kulturpreisträger Daniel Orsorio gespielt wird. Das ist ganz in Altpeters Sinne: „Ich möchte den Menschen neue Klangwelten und damit neue Erfahrungen öffnen.“Überraschenderweise sieht er aber reine Neue-Musik-Festivals skeptisch. „Um die Neue Musik zu verstehen, müssen wir auch die historische kennen. Und umgekehrt. Historische Musik ist kein Museum und ihre Aufführung mehr als ein Ritual.“Trotzdem gibt es bei der Sommermusik mehr Uraufführungen als bei manchem Festival für Neue Musik.
Ein Festival mit kultur-pädagogischem Auftrag ist die Sommermusik so geworden. „Thomas Altpeter ist es im Laufe der Jahre gelungen, einem immer zahlreicher werdenden Publikum Musik nahezubringen, die ansonsten von vielen Leuten ignoriert bzw. auf Desinteresse stoßen würde“, sagt etwa der renommierte Jazz-Saxophonist
„Kulturförderung bedeutet nicht, sich hinzusetzen und abzuwarten, was kommt. Kultur muss entwickelt werden.“
Thomas Altpeter
„Ich möchte den Menschen neue Klangwelten und damit neue Erfahrungen öffnen“
Thomas Altpeter
Wollie Kaiser. Es gab keine Konzerte mehr mit fünf Zuschauern. Die Bude war fast immer voll, die Neugier groß.
Jetzt haben viele in der Freien Szene Angst um das Erreichte. Denn mit dem neuen Oberbürgermeister kommen andere Ideen und Einflüsse. So erklärte gerade der Kulturdezernent in einem SZ-Gespräch, dass man plant, die Mittelvergabe an die Freie Szene künftig mit einer Jury zu entscheiden. Mit so einer Jury aber, befürchten die Künstlerinnen und Künstler, ist Altpeters Konzept nicht mehr zu machen. „Ich erachte es für äußerst wichtig, die zuständige Stelle mit einer Person zu besetzen, die das Format und Wissen von Thomas Altpeter mitbringt“, sagt etwa der Saarbrücker Geiger und Dirigent Götz Hartmann und findet sich in guter Gesellschaft der anderen Künstlerinnen und Künstler, die die Sommermusik über die Jahre prägten.