Das Europäische Parlament rebelliert
Lassen die Abgeordneten den Aufbau-Deal des EU-Gipfels scheitern? Es herrscht tiefe Verärgerung über Haushalts-Kürzungen.
Vor gerade mal zwei Tagen feierten die europäischen Staats- und Regierungschefs nach 90-stündigen Verhandlungen sich selbst – und ihre Einigung zum Aufbau-Fonds und Etat-Entwurf. Aber schon an diesem Donnerstag dürfte die Euphorie dahin sein. Denn das Europäische Parlament rebelliert. Die Abgeordneten seien „nicht bereit, die politische Einigung über den mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 in seiner jetzigen Form zu akzeptieren“, heißt es in einer Resolution, die in seltener Eintracht von Christ- und Sozialdemokraten, Bündnis 90/Die Grünen, den Liberalen der „RenewEurope“-Fraktion sowie den Linken mitgetragen wird – und deren Annahme damit gesichert scheint. Es kommt noch dicker: Die Volksvertreter werfen den 27 Staatenlenkern offen vor, „dass allzu oft das ausschließliche Festhalten an nationalen Interessen
und Positionen das Erreichen gemeinsamer Lösungen im Interesse aller gefährdet“. Die geplanten Kürzungen im 1074-Milliarden-Euro Haushalt liefen „den Zielen der Europäischen Union zuwider“. Und gegen jede Erwartung des EU-Gipfels, die Abgeordneten würden den Beschluss der Staats- und Regierungschefs nach ein paar Schaukämpfen und Widerstands-Ritualen durchwinken, macht das Parlament klar, man werde „keine vollendeten Tatsachen absegnen und ist bereit, seine Zustimmung zu verweigern“.
Während am Mittwoch Sprecher der EU-Kommission jede Kritik an den Vereinbarungen zu Aufbau-Fonds und Haushaltsbeschluss mit den Worten zurückwiesen, das „Ergebnis kann man nicht bitter nennen, es ist ein großer Erfolg“, sind die Volksvertreter gelinde gesagt sauer. „Mit ihren Gipfelbeschlüssen haben die Staats- und Regierungschefs große Teile der lange bekannten Positionen des Parlamentes zum EU-Haushalt ignoriert. Mit der geplanten Resolution bekommen sie die Quittung“, betonte der Grünen-Finanzexperte
Sven Giegold. „Die Resolution zeigt, dass das Europaparlament kein Abnick-Parlament für die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs ist“, sagte die Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Parlament, Angelika Niebler.
Neben dem Etat steht auch das 750 Milliarden Euro schwere Paket zur Bekämpfung des wirtschaftlichen Einbruchs infolge der Pandemie unter Feuer. „Das läuft auf ein Sammelsurium von 27 nationalen Programmen hinaus, die zu Lasten des regulären EU-Etats finanziert werden“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU in der europäischen Abgeordnetenkammer, Markus Pieper, gegenüber unserer Zeitung. „Ohne eine Garantie für die Finanzierung von Zukunftsthemen
wie Energiewende, Forschung und Erasmus+ können wir weder den Aufbau-Fonds noch den EU-Haushalt durchgehen lassen.“Das sieht auch Niebler so: „Insbesondere bei Forschung, Erasmus und der Klausel zur Rechtstaatlichkeit reichen die Gipfelergebnisse nicht.“
Tatsächlich beißen sich viele Volksvertreter an den schwammigen Formulierungen zum Thema Rechtsstaatlichkeit fest. Die getroffene Vereinbarung, die von der EU-Kommission erst noch mit Inhalten und Verfahrensschritten ausgefüllt werden muss, habe – so heißt es in der Resolution – die bisherigen Bemühungen der EU zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit „erheblich geschwächt“.
Nach diesem scharfen Text dürften die nun anstehenden Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Volksvertretern nicht einfach werden. Sie werden von deutschen Diplomaten geführt, da Berlin derzeit die Ratspräsidentschaft der Union innehat. Spätestens Anfang September soll dann im Parlament über das Paket entschieden werden.
Das Parlament machte klar, man werde „keine vollendeten Tatsachen absegnen und ist bereit, seine Zustimmung zu
verweigern“.