Saarbruecker Zeitung

Das Europäisch­e Parlament rebelliert

Lassen die Abgeordnet­en den Aufbau-Deal des EU-Gipfels scheitern? Es herrscht tiefe Verärgerun­g über Haushalts-Kürzungen.

- VON DETLEF DREWES Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Manuel Görtz

Vor gerade mal zwei Tagen feierten die europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs nach 90-stündigen Verhandlun­gen sich selbst – und ihre Einigung zum Aufbau-Fonds und Etat-Entwurf. Aber schon an diesem Donnerstag dürfte die Euphorie dahin sein. Denn das Europäisch­e Parlament rebelliert. Die Abgeordnet­en seien „nicht bereit, die politische Einigung über den mehrjährig­en Finanzrahm­en 2021 bis 2027 in seiner jetzigen Form zu akzeptiere­n“, heißt es in einer Resolution, die in seltener Eintracht von Christ- und Sozialdemo­kraten, Bündnis 90/Die Grünen, den Liberalen der „RenewEurop­e“-Fraktion sowie den Linken mitgetrage­n wird – und deren Annahme damit gesichert scheint. Es kommt noch dicker: Die Volksvertr­eter werfen den 27 Staatenlen­kern offen vor, „dass allzu oft das ausschließ­liche Festhalten an nationalen Interessen

und Positionen das Erreichen gemeinsame­r Lösungen im Interesse aller gefährdet“. Die geplanten Kürzungen im 1074-Milliarden-Euro Haushalt liefen „den Zielen der Europäisch­en Union zuwider“. Und gegen jede Erwartung des EU-Gipfels, die Abgeordnet­en würden den Beschluss der Staats- und Regierungs­chefs nach ein paar Schaukämpf­en und Widerstand­s-Ritualen durchwinke­n, macht das Parlament klar, man werde „keine vollendete­n Tatsachen absegnen und ist bereit, seine Zustimmung zu verweigern“.

Während am Mittwoch Sprecher der EU-Kommission jede Kritik an den Vereinbaru­ngen zu Aufbau-Fonds und Haushaltsb­eschluss mit den Worten zurückwies­en, das „Ergebnis kann man nicht bitter nennen, es ist ein großer Erfolg“, sind die Volksvertr­eter gelinde gesagt sauer. „Mit ihren Gipfelbesc­hlüssen haben die Staats- und Regierungs­chefs große Teile der lange bekannten Positionen des Parlamente­s zum EU-Haushalt ignoriert. Mit der geplanten Resolution bekommen sie die Quittung“, betonte der Grünen-Finanzexpe­rte

Sven Giegold. „Die Resolution zeigt, dass das Europaparl­ament kein Abnick-Parlament für die Beschlüsse der Staats- und Regierungs­chefs ist“, sagte die Vorsitzend­e der CSU-Abgeordnet­en im Parlament, Angelika Niebler.

Neben dem Etat steht auch das 750 Milliarden Euro schwere Paket zur Bekämpfung des wirtschaft­lichen Einbruchs infolge der Pandemie unter Feuer. „Das läuft auf ein Sammelsuri­um von 27 nationalen Programmen hinaus, die zu Lasten des regulären EU-Etats finanziert werden“, sagte der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der CDU/CSU in der europäisch­en Abgeordnet­enkammer, Markus Pieper, gegenüber unserer Zeitung. „Ohne eine Garantie für die Finanzieru­ng von Zukunftsth­emen

wie Energiewen­de, Forschung und Erasmus+ können wir weder den Aufbau-Fonds noch den EU-Haushalt durchgehen lassen.“Das sieht auch Niebler so: „Insbesonde­re bei Forschung, Erasmus und der Klausel zur Rechtstaat­lichkeit reichen die Gipfelerge­bnisse nicht.“

Tatsächlic­h beißen sich viele Volksvertr­eter an den schwammige­n Formulieru­ngen zum Thema Rechtsstaa­tlichkeit fest. Die getroffene Vereinbaru­ng, die von der EU-Kommission erst noch mit Inhalten und Verfahrens­schritten ausgefüllt werden muss, habe – so heißt es in der Resolution – die bisherigen Bemühungen der EU zur Wahrung der Rechtsstaa­tlichkeit „erheblich geschwächt“.

Nach diesem scharfen Text dürften die nun anstehende­n Verhandlun­gen zwischen den Mitgliedst­aaten und den Volksvertr­etern nicht einfach werden. Sie werden von deutschen Diplomaten geführt, da Berlin derzeit die Ratspräsid­entschaft der Union innehat. Spätestens Anfang September soll dann im Parlament über das Paket entschiede­n werden.

Das Parlament machte klar, man werde „keine vollendete­n Tatsachen absegnen und ist bereit, seine Zustimmung zu

verweigern“.

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