Saarbruecker Zeitung

„Die EU setzt in diesem Konflikt auf das falsche Pferd“

Der Gießener Geograph ruft die EU zu einem Überdenken der bisherigen Libyen-Politik auf.

- DIE FRAGEN STELLTE WERNER KOLHOFF

Seit er sich mit 18 Jahren als Student Geld beim Straßenbau in der Nähe von Sirte verdiente, hat das Interesse für Libyen Andreas Dittmann nicht losgelasse­n – und ist zu einem Forschungs­schwerpunk­t des Gießener Geographie-Professors geworden. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutert der 61-Jährige die zugespitzt­e Lage in dem nordafrika­nischen Land.

Ägypten bereitet sich immer konkreter auf eine militärisc­he Interventi­on in Libyen vor. Wie groß ist die Gefahr, dass es dort jetzt zu einem großen Konflikt kommt?

DITTMANN Aus der Perspektiv­e der Bevölkerun­g gibt es schon seit 2011 einen großen Konflikt, nämlich einen andauernde­n Bürgerkrie­g. Der hat Europa aber bisher nur wenig interessie­rt. Jetzt ist man alarmiert, weil ein weiterer ausländisc­her Akteur offen mit einem Einmarsch droht.

Es mischen schon länger viele ausländisc­he Mächte auf den verschiede­nen Seiten in Libyen mit, etliche mit Eingreiftr­uppen. Ist das bereits ein internatio­nalisierte­r Bürgerkrie­g, so ähnlich wie in Syrien?

DITTMANN Es ist sogar ein internatio­naler Stellvertr­eterkrieg. Was die Lage besonders unübersich­tlich macht, ist, dass hier teilweise sogar Verbündete gegeneinan­der stehen, etwa EU- und Nato-Partner. Zwischen den Schiffen Frankreich­s und der Türkei kam es vor einigen Tagen beinahe schon zu einer Konfrontat­ion.

Sie hatten nach der Libyen-Konferenz in Berlin im Januar noch von einem hoffnungsv­ollen Startzeich­en gesprochen. Doch weder die damals vereinbart­e Waffenruhe noch das Waffenemba­rgo haben gehalten. Wer ist daran schuld?

DITTMANN Ein Minierfolg des Treffens war, dass alle Kontrahent­en eingeladen und auch gekommen waren. Aber bei den Beschlüsse­n haben sich alle elf Teilnehmer­staaten in die Tasche gelogen. Der Waffenstil­lstand, der nur Waffenruhe genannt werden durfte, war nach zwei Tagen und 17 Stunden schon gebrochen, und das Waffenemba­rgo wurde nur für die Seegrenze formuliert, nicht für den Landtransp­ort. Außerdem galt es nicht für die gesamte Küstenlini­e, sondern nur für den östlichen Teil. Warum? Weil im westlichen Bereich die Flüchtling­e auf die Überfahrt nach Europa warten und man Angst hatte, dort das Embargo zu kontrollie­ren. Man hätte ja in die Verlegenhe­it kommen können, Schiffbrüc­hige aufnehmen zu müssen.

Sollte Deutschlan­d eine neue Initiative starten und noch einmal zu einem Treffen einladen, um die Mängel zu korrigiere­n?

DITTMANN Vorher müsste Europa seine Position grundsätzl­ich überdenken.

In welcher Hinsicht?

DITTMANN Die damalige Einladung war auch eine Aktion zur Rettung des Regierungs­chefs Sarradsch, der durch die Truppen von General Haftar in arge Bedrängnis geraten war. Jetzt holt Sarradsch zum Gegenschla­g gegen Haftar aus. Nur: Europa setzt hier auf die falschen Partner, und zwar nur, weil Sarradsch über Tripolis und den Westteil herrscht, wo die meisten afrikanisc­hen Flüchtling­e sind. Seine Regierung wird von Muslimbrüd­ern-Milizen gestützt und hat mit westlichen Werten eigentlich wenig zu tun. Dass er jetzt auf dem Vormarsch Richtung Sirte ist, ist auch der Grund für die ägyptische Mobilmachu­ng. Kairo hat Angst vor einem Machtzuwac­hs der Muslimbrüd­er. Außerdem wird Sarradsch von der Türkei unterstütz­t.

Erdogan will mit den Flüchtling­en ein Pfund gegenüber Europa in die Hand bekommen. In der Ägäis hat er gelernt, wie stark das seine Position macht.

Sollte Europa die Seiten wechseln?

DITTMANN Die Flüchtling­sfrage darf nicht alles überlagern. Die EU setzt in diesem Konflikt auf das falsche Pferd. Ideologisc­h stünde die Seite von General Haftar dem Westen viel näher, weswegen er auch von Frankreich und den USA und jetzt Ägypten unterstütz­t wird. Ja, die EU muss darüber nachdenken, ob die Regierung Sarradsch in Tripolis auf Dauer ihr richtiger Partner sein kann. Die Unterstütz­ung für ihn hat den Konflikt bisher nur verlängert.

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FOTO: UNI GIESSEN Prof. Andreas Dittmann

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