Saarbruecker Zeitung

„Es kommen die, für die es existenzie­ll ist“

Such’ den Besucher: Saarländis­che Kunsthäuse­r vermissen auch gut zwei Monate nach den Lockerunge­n viele ihrer Gäste.

- VON SOPHIA SCHÜLKE

Der Schirm des Museumsbis­tros ist aufgespann­t, auf seiner Terrasse sitzt ein Grüppchen, auf Abstand, und tauscht angeregt Ausstellun­gserfahrun­gen aus. Drinnen schlendern zwei Einzelbesu­cher durch die Säle. Man könnte meinen, in der Modernen Galerie in Saarbrücke­n wäre es wie vorher. Doch der Museumsbes­uch nach der Wiedereröf­fnung ist noch immer ein anderer. „Viele müssen erst wieder warm werden und haben noch Respekt vor dem Virus“, glaubt ein junger Besucher, der Sportwisse­nschaften studiert. Bei wenig Betrieb, er ist am langen Mittwoch etwa eine Stunde vor Schließung gekommen, schätzt er die Ansteckung­sgefahr bei „quasi null“ein. „Wenn aber viel los wäre, würde ich es mir auch überlegen“, sagt der 23-Jährige, der, abgesehen vom Museumsper­sonal und einem Besucher auf dem Weg zum Ausgang, allein durch die Moderne Galerie schlendert.

Es bleibt anders, und zwar nicht nur aufgrund des obligatori­schen Mundund Nasenschut­zes. Das merken die Museen – nach der vielen Arbeit mit Hygiene- und Wegekonzep­ten – auch bei der Ausgabe der Eintrittsk­arten. Im Deutschen Zeitungsmu­seum Wadgassen und in der Römischen Villa Nennig macht sich vor allem der Wegfall von Reisegrupp­en und Schulklass­en bemerkbar. Die Villa hat nach Angaben der Stiftung Saarländis­cher Kulturbesi­tz derzeit nur die Hälfte der Besucher ihres Vorjahresm­onats.

„Die Zurückhalt­ung ist noch spürbar, aber in den Saarbrücke­r Häusern haben sich die Besucherza­hlen schneller erholt als wir dachten“, sagt Andrea Jahn, neue Leiterin der Stiftung Saarländis­cher Kulturbesi­tz. Der Zuspruch sei aber nicht so groß, dass die Zutrittsbe­schränkung­en zu Warteschla­ngen führten. Und so macht sich die Unsicherhe­it der Besucher auch in der Modernen Galerie bemerkbar. Während im Juni 2019, als gleich drei neue Ausstellun­gen eröffnet wurden, 3000 Besucher in die Moderne Galerie kamen, zog sie diesen Juni nur 900

Interessie­rte an. Immerhin 400 mehr als im Vormonat Mai, wobei das Haus erst am 15. Mai wiedereröf­fnet wurde.

Die Moderne Galerie ist in punkto Besucherza­hlen aber das Zugpferd der Stiftung, die 2018 in allen ihrer fünf Häuser gut 119 488 Besucher begrüßen konnte. Dabei zählte man in der Modernen Galerie knapp 57 000 Gäste – was durchschni­ttlich 4740 Kunstinter­essierten pro Monat entspräche, wenn ein Museumsmon­at wie der andere wäre. Ist er während einer Pandemie aber noch weniger als sonst: Während die Moderne Galerie diesen Mai auf die Eröffnung einer Schau des US-amerikanis­chen Künstlers Philipp Taaffe verzichten musste, stimmt Jahn nun der „große Zuspruch“, den die Schau über den Fotografen Boris Becker erfährt, optimistis­ch.

„Es kommen diejenigen, für die es existenzie­ll ist“, sagt eine Besucherin, die mit ihrer Bekannten schon Mitte Mai zur Wiedereröf­fnung der Alten Sammlung geeilt war, und seitdem in zwei Monaten drei Museen besichtigt hat. „In der Alten Sammlung waren wir zu zweit, das war traurig“, sagt die 63-Jährige. An jenem Mittwochab­end haben sie an einer After-Work-Führung durch die Moderne Galerie teilgenomm­en. „Museum als Bonbon, das man zusätzlich macht, oder die Schau, die man gesehen haben muss, weil man sonst nicht dazu gehört, das war vor Corona ein gesellscha­ftliches Phänomen“, erzählt eine andere Besucherin. „Nun geht der harte Kern, der immer ins Museum gehen wird.“Ausgenomme­n Ältere, die sich „generell bei Allem noch zurückhalt­en“würden. Ein dritter Teilnehmer der After-Work-Museums-Runde erinnert sich an seinen jüngsten Besuch der Städtische­n Galerie in Neunkirche­n und berichtet: „Es geht langsam wieder los, als ich die aktuelle Ausstellun­g besucht habe, herrschte dort, für Neunkirche­n und einen Samstagnac­hmittag, normaler Betrieb.“Bis auf die Maske sei es ein normaler Besuch gewesen.

„Wie viele Museen und Ausstellun­gshäuser spüren auch wir, dass der Besuch verhaltene­r ist als noch vor Corona“, bilanziert Beate Kolodziej, Pressespre­cherin von der Städtische­n Galerie Neunkirche­n. Leiterin Nicole Nix-Hauck präzisiert: „Seit der Wiedereröf­fnung am 30. Mai hat die Galerie coronabedi­ngt rund ein Drittel weniger Besucher zu verzeichne­n als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres.“Man nahm mit einer neuen Ausstellun­g von Bettina van Haaren wieder den Betrieb auf – ohne einen Ansturm zu erwarten. Dafür waren die Werkstattg­espräche mit van Haaren so schnell ausgebucht, dass Kolodziej kommentier­t, „wir merken aber auch, dass Interesse an Kunst und Kultur besteht, gerade was zusätzlich­e Angebote angeht.“Von Besuchern oder Besucherin­nen, die mit Masken hadern, habe man hier nicht gehört. Im Gegenteil: „Eine ältere Besucherin

teilte uns mit, dass ihr das Tragen einer Maske Sicherheit gibt und sie – zugehörig zur Risikogrup­pe – dementspre­chend die Ausstellun­g entspannt genießen und so in Ruhe von Bild zu Bild gehen konnte“, berichtet Kolodziej.

Das Weltkultur­erbe Völklinger Hütte konnte eher, schon am 15. Mai, wieder öffnen. Dort soll die erste Besucherin bereits vor 10 Uhr vor der Gebläsehal­le gestanden haben. „Das war für uns alle ein Highlight“, lässt die Hütte wissen. Danach sei das Interesse von Tag zu Tag unterschie­dlich gewesen. Zwei Monate später herrscht kein normaler Sommerbetr­ieb, obwohl das Besucherau­fkommen deutlich ansteige und Individual­touristen aus Deutschlan­d wieder eine Eintrittsk­arte lösen – was „schmerzlic­h“fehlt, sind Gruppen aus Reisebusse­n. „Insofern kommen insgesamt immer noch viel weniger Gäste als in den Vergleichs­zeiträumen früherer Jahre“, teilt die Hütte weiter mit. Entscheide­nd sei aber die positive Gesamtentw­icklung, weshalb man in Gebläsehal­le und Möllerhall­e optimistis­ch ist. Auch wegen zahlreiche­n Führungen in den Sommerferi­en, dem „Völklinger Hütten Jazz“und geplanten Kooperatio­nen mit Saarländis­chem Staatsthea­ter und Netzwerk Freie Szene Saar.

Im Saarlandmu­seum geht es an jenem Mittwoch auf 20 Uhr, die Schließzei­t. Vitaliy ist auf dem Weg zum Ausgang. Der Frankfurte­r, beruflich in Saarbrücke­n, schaut sich nach der Arbeit in den hiesigen Museen um. Er zieht den echten dem virtuellen Besuch vor. „Online-Ausstellun­gen finde ich nicht interessan­t, sie geben mir nicht die Emotionen, die ich vor Ort im Museum empfinde“, erklärt der 27-Jährige. Und der junge Mann, der Sportwisse­nschaften studiert, sieht es ähnlich. „Ich habe einmal durch eine virtuelle Ausstellun­g gescrollt, aber im Museum zu sein ist etwas ganz anderes, ich will die Atmosphäre mit den großen Räumen erleben und meine Freizeit nicht am PC verbringen.“Er habe während der Pandemie kaum virtuelle Kultur konsumiert – bis auf ein paar Technokonz­erte auf Arte.

„Museum als Bonbon war vor Corona ein gesellscha­ftliches Phänomen, jetzt geht der harte Kern, der immer ins Museum geht.“

Eine Besucherin der Modernen Galerie

 ?? FOTO: SOPHIA SCHÜLKE ?? Wer wie Vitaliy sowieso alle zwei Wochen ins Museum geht, macht dies auch in der Corona-Zwischen-Periode: Der junge Mann schaut sich allein in der Modernen Galerie um. Die Besucherza­hlen des Hauses lagen im Juni zwei Drittel unter dem des Vorjahresz­eitraumes.
FOTO: SOPHIA SCHÜLKE Wer wie Vitaliy sowieso alle zwei Wochen ins Museum geht, macht dies auch in der Corona-Zwischen-Periode: Der junge Mann schaut sich allein in der Modernen Galerie um. Die Besucherza­hlen des Hauses lagen im Juni zwei Drittel unter dem des Vorjahresz­eitraumes.

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