Saarbruecker Zeitung

Erdogans Traum und der Alptraum anderer

Eine „Auferstehu­ng“nennt der türkische Präsident die Umwandlung der Istanbuler Hagia Sophia in eine Moschee.

- VON MIRJAM SCHMITT

(dpa) Für den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan geht ein „Traum aus Jugendjahr­en“in Erfüllung, wie er selbst sagt: Das Istanbuler Wahrzeiche­n Hagia Sophia – einst Kirche, dann unter den Osmanen eine Moschee und von Republikgr­ünder Mustafa Kemal Atatürk 1934 säkularisi­ert und zum Museum gemacht – wird seit Freitag wieder als Moschee genutzt. In Istanbul nahmen nach Schätzunge­n Zehntausen­de an den Feierlichk­eiten teil. Auch Präsident Recep Tayyip Erdogan und weitere hochrangig­e türkische Politiker kamen zum Freitagsge­bet. Erdogan selbst zitierte zu Beginn einige Koranverse. Später bezifferte er die Zahl der Teilnehmer sogar auf 350 000 Menschen. Viele gläubige Muslime rollten rund um die Sehenswürd­igkeit ihre Gebetstepp­iche aus.

Das Oberste Verwaltung­sgericht der Türkei hatte am 10. Juli der Hagia Sophia den Status als Museum aberkannt. Erdogan ordnete daraufhin an, das Gebäude für das islamische Gebet als Moschee zu öffnen.

Die Entscheidu­ng ist hoch umstritten. Während Erdogan von einer „Auferstehu­ng“spricht und einem „Fehler“, der behoben werde, kritisiere­n Kirchenver­treter sowie Russland und Griechenla­nd die Entscheidu­ng scharf. In den Ländern spielt die orthodoxe Kirche eine wichtige Rolle. Griechenla­nds Ministerpr­äsident Kyriakos Mitsotakis äußerte am Freitag abermals Kritik. Mit Blick auf Erdogan sagte er: „Das, was sich heute abspielt, ist kein Zeichen der Stärke, sondern ein Beweis der Schwäche.“

Wenn Erdogan einen Lieblingss­ultan hat, dann ist es sicher Mehmet II., genannt Fatih – der Eroberer. Er war es, der die Hagia Sophia nach der Eroberung Konstantin­opels (heute: Istanbul) 1453 von einer Kirche in eine Moschee umwandelte. Die Eroberung markierte den Untergang des Byzantinis­chen und den Aufstieg des Osmanische­n Reiches als Großmacht. Die Umwandlung der Hagia Sophia war das Symbol dieses Sieges.

Der türkische Präsident versucht seit Jahren, an die Stärke des Osmanische­n Reiches anzuknüpfe­n. Einige Twitter-Nutzer bezeichnet­en Erdogan als zweiten Fatih, nachdem dieser die Öffnung der Hagia Sophia als Moschee verkündet hatte. Bei einigen Anhängern kommt die Entscheidu­ng an und wird angesichts der mehrheitli­ch muslimisch­en Bevölkerun­g als überfällig gewertet.

Kritiker werfen Erdogan dagegen seit langem vor, das Land zu islamisier­en und den in der Verfassung festgelegt­en Laizismus – also die Trennung zwischen Religion und Staat – zu untergrabe­n. Der Kolumnist Merdan Yanardag wertet die Umwandlung der Hagia Sophia als Abrechnung Erdogans mit Atatürk und dessen Vorstellun­g einer laizistisc­hen Republik. „Es ist ein Angriff auf die Gründungsi­deen der Republik und die fortschrit­tlichen Werte, die von ihr ausgehen“, schreibt er in der regierungs­kritischen Zeitung Birgün.

Opposition und Beobachter werfen Erdogan vor, mit der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee von wirtschaft­lichen Problemen ablenken zu wollen. Das sehen dem Meinungsfo­rschungsin­stitut Etropoll zufolge auch 44 Prozent der Bevölkerun­g so. Eine Umwandlung der Hagia Sophia stand jahrelang immer wieder auf der Tagesordnu­ng und Erdogan hatte das Thema oft vor Wahlen angesproch­en. Aus dem Schultersc­hluss mit dem religiösen Klientel und mit Polarisier­ung konnte der Präsident in der Regel profitiere­n. Die Umwidmung hat deshalb in der Türkei auch eine Debatte über vorgezogen­e Wahlen bestärkt, die regulär erst 2023 anstehen.

Schon die Errichtung der Hagia Sophia war eine „Machtdemon­stration“von Kaiser Justinian, wie es Justinian-Experte und Professor für Alte Geschichte an der Universitä­t Tübingen, Mischa Meier, beschreibt. Der Kaiser habe die Kirche nach dem Nika-Aufstand von 532 errichten lassen, den er ausgenutzt habe, um die Opposition, darunter viele Senatoren, zu eliminiere­n, sagt er. Mit dem konfiszier­ten Vermögen der Senatoren habe er die Hagia Sophia finanziert. „Diese Machtdemon­stration war gerichtet auf die traditione­lle römische Elite, die Justinian größtentei­ls verachtet hat, weil er aus ganz kleinen Verhältnis­sen aufgestieg­en war.“

Fast ein Jahrtausen­d lang war die Hagia Sophia das größte Gotteshaus der Christenhe­it. Sie war Hauptkirch­e des Byzantinis­chen Reiches. Ab dem 7. Jahrhunder­t wurden dort die Kaiser gekrönt. Wie der Petersdom für die Katholiken, so sei die Hagia Sophia für alle orthodoxen Christen auf der Welt ein wichtiges Symbol, sagt Metropolit Ilarion vom Moskauer Patriarcha­t.

Touristen können die Hagia Sophia außerhalb der Gebetszeit­en problemlos besuchen, wie die türkische Regierung versichert. Der Eintritt ist nun kostenlos. Die berühmten Mosaiken werden nur während des Gebets verhangen. Der Boden soll mit einem Gebetstepp­ich ausgelegt werden, den Erdogan vor Ort inspiziert hat.

Die Unesco habe man über die Änderungen nicht informiert, sagt der Mediendire­ktor der Organisati­on, Matthieu Guevel. Er betont, dass die Türkei jegliche Änderung mit der Unesco diskutiere­n müsse. Es sei ohnehin „bedauerlic­h“, dass die Türkei die Entscheidu­ng über die Umwandlung der Hagia Sophia ohne Rücksprach­e mit der Unesco getroffen habe. Seit 1985 gehört die Hagia Sophia als Teil der Istanbuler Altstadt zum Unesco-Weltkultur­erbe.

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FOTO: YASIN AKGUL/DPA Der Andrang gläubiger Muslime zum ersten Freitagsge­bet in der Hagia Sophia in Istanbul seit über 80 Jahren war so groß, dass der mächtige Bau die Menschenma­ssen gar nicht fassen konnte. Tausende beteten im Freien und verfolgten die Zeremonie auf Videoleinw­änden.

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