Scholz geht im Fall Wirecard in die Offensive
Der SPD-Finanzminister hat einen Reformplan vorgestellt, der den Aufsichtsbehörden mehr Rechte geben soll.
(dpa) Der Betrugsskandal beim Dax-Konzern Wirecard hat schon jetzt großen Schaden verursacht: Vertrauen in den Finanzstandort Deutschland ist verloren gegangen, in die Rolle von Aufsichtsbehörden und der Politik. Der Wert der Aktie ist ins Bodenlose gestürzt. Nun hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) konkrete Reformpläne vorgelegt.
Schwachstellen bei der Bilanzkontrolle sollen beseitigt, Schutzmechanismen verbessert und Schlupflöcher geschlossen werden. Komplexe internationale Firmen-Konstrukte sollen wirksamer kontrolliert werden können. Die staatliche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) soll mehr Befugnisse bekommen, damit Bilanzbetrug effektiver bekämpft werden kann.
„Auf Bilanzen muss Verlass sein“, sagte Scholz. „Wir brauchen deutlich schärfere Regelungen bei Wirtschaftsprüfung und Bilanzkontrolle, bei Aufsicht und Zahlungsdienstleistungen. Deshalb greifen wir durch. Mein Ziel ist eine weitreichende Reform mit klaren Maßnahmen gegen Bilanzmanipulationen und für eine starke Aufsicht.“
Der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hatte im Juni Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von einem „gewerbsmäßigen Bandenbetrug“aus. Mehr als drei Milliarden Euro könnten verloren sein. Die Frage ist: Wie konnte das passieren? Und wann genau wussten die Regierung und die Finanzaufsicht von Unregelmäßigkeiten, und haben sie zu wenig dagegen unternommen?
Für die Buchprüfung in börsennotierten Unternehmen sind private Wirtschaftsprüfer zuständig. Bei der Wirecard AG war dies mit EY einer der vier Branchenriesen in Deutschland. Die Firma erteilte für die Jahresabschlüsse von 2009 bis 2018 jeweils einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk. Manipulationen wurden also nicht erkannt.
Dann kommt die sogenannte Bilanzkontrolle ins Spiel, die in Deutschland bisher zweistufig organisiert ist. In der ersten Stufe ist die privatrechtliche Deutsche Prüfstelle
für Rechnungslegung (DPR) zuständig – die Bundesregierung hat den Vertrag mit der DPR inzwischen gekündigt. Die Stelle prüft einen Abschluss stichprobenhaft, auf Verlangen der Bafin oder wenn es Anhaltspunkte für Verstöße gibt. Bei Wirecard hat die Bafin eine Prüfung verlangt, aber erst 2019. Da gab es bereits Medienberichte über Unregelmäßigkeiten.
Eine Prüfung durch die Bafin selbst ist bislang erst in einer zweiten Stufe vorgesehen und auch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Künftig soll die Behörde laut Entwurf ein „unmittelbares Sonderprüfungsrecht“bekommen, wenn es bei börsennotierten Unternehmen einen Verdacht auf Bilanzbetrug gibt. Das soll die Aufsicht schlagkräftiger machen, sie könnte außerdem mehr Personal bekommen.
Gestärkt werden soll auch die Aufsicht über die Abschlussprüfer. Die staatliche Aufsichtsstelle soll „mehr Biss“bekommen, auch bei ihren Sanktionsmöglichkeiten, wie es im
Aktionsplan heißt. Sie soll künftig auch ohne Anlass prüfen dürfen.
Um die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer zu stärken, soll ein Prüfunternehmen maximal zehn Jahre lang für eine Firma zuständig sein – dann ist eine Rotation fällig. Dies geht einigen in der Koalition nicht weit genug, es brauche einen deutlich kürzeren Rotationszeitraum, um einer zu großen Nähe zwischen Kontrolleuren und Geprüften vorzubeugen. Auch die zivilrechtliche Haftung von Wirtschaftsprüfern soll untersucht werden. Bisher ist die Haftung bei Schlampereien auf vier Millionen Euro begrenzt.
Der „Aktionsplan“des Finanzministeriums, den dieses mit dem ebenfalls SPD-geführten Justizministerium erarbeitet hat, ist aber noch nicht in trockenen Tüchern. Dem Vernehmen nach gibt es im CDU-geführten Wirtschaftsministerium und im Kanzleramt noch Gesprächsbedarf. Der Obmann der Unions-Bundestagsfraktion im Finanzausschuss, Hans Michelbach (CSU), sprach zwar von einem Schritt in die richtige Richtung, bemängelte aber, Scholz bleibe an vielen Stellen unkonkret. „Andere Punkte bedürfen deutlicher Verbesserungen.“