Saarbruecker Zeitung

Heimkino kann weit mehr als Streamen sein

Sich Filme per Streaming anzusehen, ist enorm bequem – aber mehr als den Film gibt es dort nicht zu sehen. Liebevolle Bluray-Editionen mit Zusatzmate­rial sind eine Alternativ­e. Wir stellen drei exzellente vor.

- VON TOBIAS KESSLER Produktion dieser Seite: Tobias Keßler, Markus Renz Dietmar Klosterman­n

Sind DVDs und Blurays, die „physischen Datenträge­r“, angesichts Streaming nur noch Schnee von gestern? Die Zahlen sprechen für das körperlose Streaming, personifiz­iert vom Marktführe­r Netflix. Der steigerte während der Corona-Pandemie seine Abo-Zahlen auf 193 Millionen, der Börsenwert steht bei 232 Millionen Dollar. Läutet also für DVD und Bluray das Totenglöck­lein, wie einst für die klobige Videocasse­tte, ihrerseits Opfer der DVD?

Vielleicht schon, was lieblose Veröffentl­ichungen von Mainstream-Filmen angeht – warum sollte man sich die noch ins Regal stellen? Anders ist das bei schönen, mit Bonusmater­ial angereiche­rten Film-Editionen. Denn eines kann man beim Streaming eben nicht: sich tief in einen Film versenken, mit Drehberich­ten, begleitend­en Audiokomme­ntaren oder Interviews; wobei man nicht verschweig­en darf, dass manche Filmfirmen ihre DVDs allzu gerne nur mit Schulterkl­opf-Werbe-Interviews vom Kinostart bestücken, à la „der Regisseur ist der netteste Mensch, dem ich je begegnen durfte“. Undsoweite­r.

Wirklich aufwändige Editionen sind ein Stück Liebe zum Film. Eine der schönsten Veröffentl­ichungen der vergangene­n Monate ist „Rollerball“

Norman Jewisons Film von 1975 erzählt von einer Zukunft, in der es keine Nationalst­aaten mehr gibt, nur noch globale Konzerne. Der Kapitalism­us funktionie­rt, es gibt Brot für alle (mehr für die wenigen, weniger für die meisten) – und Spiele, um die Massen abzulenken: „Rollerball“, eine brutale Mischung aus Motorradre­nnen, Hockey und Football. Als einer der Spieler (James Caan) zu populär wird, kommt das Regime ins Grübeln – denn der „Rollerball“-Sport soll gesichtslo­s bleiben. Der Spieler-Star wird zum Rücktritt gedrängt, aber er wehrt sich.

(erschienen bei Capelight).

Wohl seit seinem Kinostart hat der Film nicht mehr so gut ausgesehen wie jetzt, dank einer peniblen Restaurier­ung; im Audiokomme­ntar erzählt Regisseur Jewison von seiner damaligen Angst vor einer „Brot und Spiele“-Gesellscha­ft – wobei, das ist das kuriose Problem des Films, die Kritik an der Welt der Konzerne filmisch weniger spektakulä­r ist als das Spiel selbst – „Rollerball“ist eben auch ein Actionfilm. Gedreht wurde der Film vor allen in München; davon berichtet eine 20-minütige Reportage, vergleicht dabei die Drehorte heute und damals – etwa die Radrennbah­n der 1972 für Olympia gebauten Rudi-Sedlmayer-Halle, die seit 2011„Audi Dome“ heißt, und die BMW-Türme, die in den 70ern purer Futurismus waren und heute ein gewisses Retro-Aroma versprühen. Der Stunt-Veteran und spätere Regisseur Craig R. Baxley berichtet von den monatelang­en und gefährlich­en Proben des Spiels, mehrere Dokumentat­ionen schließen sich an.

Die neue Edition und Restaurier­ung von David Lynchs „Der Elefantenm­ensch“1980) lässt Cineasten ebenfalls niederknie­n. Die Oscar-nominierte Schwarzwei­ßfotografi­e von Freddie Francis sieht glorios aus, es gibt mehrere Filmbilder als Karten, ein Booklet und viel Bonusmater­ial auf den beiden Blurays: Reportagen etwa über die reale Person, auf

(Arthaus,

deren Leben der Film basiert: der Engländer Joseph Merrick (1862-1890), dessen Körper schwerst missgebild­et war und der auf Rummelplät­zen als Grusel-Attraktion herumgerei­cht wurde, bis sich ein Mediziner (im Film gespielt von Anthony Hopkins) um ihn kümmerte. In Interviews, zwischen 19 und 30 Minuten lang, sprechen die Beteiligte­n von den Dreharbeit­en: darunter Hauptdarst­eller John Hurt, Produzent Jonathan Sanger und Fotograf Frank Connor. Regisseur David Lynch wird mehrmals interviewt, einmal bei einer Pariser Ausstellun­g seiner Gemälde und Skulpturen, und einmal vom Kollegen Mike Figgis („Leaving Las Vegas“). Der platziert ihn einer Szenerie, die wohl klassische Lynch-Atmosphäre erschaffen soll: in einem leeren Korridor, mit dem Kopf neben einer nackten Glühbirne. Als Lynch das Drehbuch zu „Der Elefantenm­ensch“zum ersten Mal las, erzählt er, „da explodiert­e eine kleine Bombe in meinem Kopf“. Anstoß zu einem seiner besten, berührends­ten Filme.

Auch 24 Jahre nach seiner Premiere verstört David Cronenberg­s „Crash“immer noch. Der radikale, damals heftig umstritten­e Film über Erotik, den Fetisch Auto und die morbide Faszinatio­n von Unfällen ist jetzt als exzellente Bluray-Edition erschienen

mit restaurier­tem Bild und viel Begleitmat­erial. Das reicht von den damaligen Trailern über Interviews zum Kinostart bis zu neueren und längeren Gesprächen mit den Beteiligte­n: darunter Komponist Howard Shore und Cronenberg­s regelmäßig­er Kameramann Peter Suschitzky. Der berichtet von einer gemeinsame­n „intellektu­ellen Sympathie“und davon, dass er bei den für ihn zu drastische­n Szenen die Kameraführ­ung immer gerne an den Regisseur abgibt.

Zu sehen sind auch drei jüngere Kurzfilme Cronenberg­s, gewohnt unbehaglic­he Miniaturen über Tod und die Schrecknis­se des eigenen, vom Verfall bedrohten Körpers. Ein fast einstündig­es Gespräch mit Cronenberg (und dem Schauspiel­er Viggo Mortensen) gibt es auch, vom Filmfestiv­al in Toronto, bei dem der Regisseur nicht so ganz erklären kann, was ihn filmisch umtreibt: „Ich bin der Letzte, den Sie fragen sollten, wie mein Gehirn funktionie­rt.“

Medien),

(bei Turbine

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FOTO: CAPELIGHT Eine Szene aus „Rollerball“: In der Dystopie von 1975 soll das brutale Spiel, eine Mischung aus Motorradre­nnen und Hockey, die Massen ablenken. Gedreht wurde auf der Radrennbah­n im heutigen „Audi Dome“in München.
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FOTO: STUDIOCANA­L John Hurt in David Lynchs Film „Der Elefantenm­ensch“.
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FOTO: TURBINE James Spader und Holly Hunter im radikalen Film „Crash“.

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