Saarbruecker Zeitung

Auf Fontanes Spuren in der Mark Brandenbur­g

Besondere Aufmerksam­keit widmete der Dichter dem Stechlinse­e, der sich geheimnisv­oll ins Wald- und Seenmosaik der Region fügt.

- VON SABINE MATTERN

Der gelernte Apotheker und spätere Schriftste­ller Theodor Fontane machte sich 1859 auf, die Schönheite­n seiner Heimat zu entdecken. Noch als 70-Jähriger durchstrei­fte er die Gegend rund um Berlin, unterhielt sich unterwegs mit Reich und Arm, stöberte in Familienar­chiven und Kirchenbüc­hern, studierte Geschichts­wälzer, las Briefe ebenso wie Romane und begeistert­e sich für die Sagenwelt seiner Reiseziele. Alles Erlebte und Erlernte brachte Fontane schließlic­h in seinen „Wanderunge­n durch die Mark Brandenbur­g“zu Papier, einem beachtlich­en Werk in fünf Bänden, einem einzigarti­gen Reisefeuil­leton, in dem er ein Bild zahlreiche­r Dörfer, Städtchen, Schlösser und Landschaft­en zeichnet, von deren Menschen erzählt und jede Menge Historie zum Besten gibt.

1862, zu einer Zeit, in der Urlaubmach­en eher als Privileg galt, dafür aber Reisegesch­ichten, gern auch mit einer Prise Exotik und Abenteuer gewürzt, absolut en vogue waren, erschien Band 1 von Fontanes „Wanderunge­n“: Die Grafschaft Ruppin. Hierin folgt der geneigte Leser dem Autor etwa in dessen Geburtsort Neuruppin, einen hübschen Fleck mit klassizist­ischem Stadtkern, zum Schloss von Rheinsberg, in dem Preußenkön­ig Friedrich II. als Kronprinz glückliche Jahre verlebte, und zum Stechlinse­e, dem der Dichter mit seinem letzten Roman, „Der Stechlin“, literarisc­h huldigte.

Nicht weit vom Ostufer des berühmten Wassers finden sich Fontanes Stiefelspu­ren auch in Neuglobsow, heute ein ruhiger, verträumte­r Ort inmitten dichter Wälder, dessen Grundstein im Jahre 1779 gelegt wurde – als der Glashütte im nahen Globsow langsam das Holz zum Schüren der Schmelzöfe­n ausging und die Glasmacher ihr Dorf verließen, um am Dagowsee einen Neuanfang zu wagen.

Anfang des 19. Jahrhunder­ts noch eine der bedeutends­ten Glashütten der Kurmark, blieb das Glück Neuglobsow als Hüttenstan­dort aber nicht lange treu. Bereits wenige Jahrzehnte später legten der Deutsch-Französisc­he Krieg und die Wirtschaft­skrise die Produktion auf Jahre lahm, bevor die letzten Arbeiter 1890 schließlic­h für immer ihre Öfen löschten. Doch das Ende für Neuglobsow war dies nicht. Denn mit dem Jahrhunder­twechsel kamen die Sommerfris­chler – Künstler und betuchte Bürger aus der Hauptstadt –, die das Dorf für sich entdeckten und dem Tourismus auf die Sprünge halfen.

Ein Spaziergan­g durch die Idylle der Stechlinse­estraße, die den Ort auf ganzer Länge quert, führt vorbei an hübschen Villen in blühenden Gärten und an den wenigen verblieben­en Glasmacher­häusern. Darunter der alte Fachwerkba­u mit der Nummer 21, in dem ein Glasmuseum zwischen niedrigen Decken und knarrenden

Dielen die Geschichte der örtlichen Hütte von den Pionierjah­ren bis zum Untergang beleuchtet, von der kräftezehr­enden Arbeit, dem beschwerli­chen Leben der Glasmacher erzählt und manches Stück grünes Waldglas, made in Neuglobsow, zeigt.

Am westlichen Ausgang der Stechlinse­estraße beginnt ein Waldweg, der Fußgänger und Radler auf wenigen Metern schnurstra­cks zum Ufer des Großen Stechlin geleitet. Jenes geheimnisv­ollen Wassers, über das Fontane, der große Sohn der Mark, in seinem Alterswerk „Der Stechlin“schrieb: „Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und quaiartig ansteigend­en Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eignen Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine Furchen, kein Vogel singt … Alles still hier.“

Noch immer hallen die Worte Fontanes nach. Und alles scheint unveränder­t. Selbst hier, an der östlichen Einbuchtun­g des Stechlin, wo sein Saum den Häusern Neuglobsow­s und dem Revier des deutlich kleineren Dagowsees ganz nahe kommt, wo an einer ausgewiese­nen Badestelle dem

Tourismus einige wenige bescheiden­e Zugeständn­isse gemacht werden. Mit ein paar Strandkörb­en und Bänken, die in der Wiese stehen; einem Imbiss, der auf ein Eis oder einen Snack einlädt; einem Bootsverle­ih, der mit seinem Angebot zum Rudern, Segeln oder Stand-up-Paddling auf diesem 412 Hektar großen Juwel des Naturparks Stechlin-Ruppiner Land ermuntert. Auf der anderen Seite der Bucht kauern derweil zwei Bootsstege zwischen weizenblon­den Schilfgräs­ern, während sich die zugehörige­n Hütten der Stechlinse­e-Fischerei unter schattigem Laub verstecken.

Ansonsten Natur allüberall. Großzügig verteilt der Wald sein bauschiges Grün um den Saum des weiten Gewässers, das seine Glieder mit akrobatisc­hem Geschick in alle Himmelsric­htungen verrenkt, und verweigert jeden Blick auf das Dahinter. An diesem Tag streicht der Wind kräftig durch die Blätter der Baumkronen und lässt deren aufgeregte­s Geraschel selbst den Chor der Vögel überstimme­n. Bringt mit seinem Übermut auch den See in Aufruhr, dessen Wellen mit weißen Schaumspit­zen Richtung Ufer galoppiere­n und sich in kleinen Sandbuchte­n verlieren.

Theodor Fontane

Mal zartgrün, mal tiefblau schimmern die stillen Wasser des Stechlin und bieten ein paradiesis­ches Zuhause für seine tierischen Bewohner. Für Hechte, Barsche, Aale, Schleien oder Plötzen, die seine Reinheit allesamt zu schätzen wissen. Denn nicht ohne Grund trägt der Stechlin seinen Namen, der auf das slawische Wort „steklo“zurückgeht und „Glas“bedeutet. Und glasklar ist der See mit seiner Sichttiefe bis zu zwölf Metern ohne Frage.

Trotzdem hat bisher noch keiner den Roten Hahn erspäht, der – so beschreibt es Fontane in seinen „Wanderunge­n“– „unten auf dem Grund des Stechlin“sitzen soll. Nur wenn ihm ein Fischer in die Quere kommt und Angel oder Netz auswirft, wo er nicht soll, erscheint der unheimlich­e Wächter wütend und kreischend an der Oberfläche und bringt den See mit seinem Flügelschl­ag zum Wogen. Aber auch das scheint noch nie passiert. Dagegen kennt wohl jeder, der schon einmal hier war, die riesige Skulptur des Roten Hahns, die, dekorativ und gänzlich ungefährli­ch, die Seefront vor der Fischgasts­tätte der alten Fischerfam­ilie Böttcher schmückt.

Vom Badestrand am Ostufer spaziert man nur ein kurzes Stück bis zur Fischerei. In dem geduckten weißen Häuschen mit dem vermoosten Dach verkaufen die Böttchers die Kleine Maräne, den „Brotfisch“des Stechlin, und weitere Leckerbiss­en aus diesem und anderen Seen. Gebacken,

geräuchert oder sauer eingelegt. Zum Mitnehmen und Hieressen. Bei schönem Wetter sitzt man mit einem Glas Bier auf der Terrasse vor der Tür. Oder ergattert mit etwas Glück auf einem der Holzstege, wo Fischernet­ze in der Sonne trocknen und Boote in sanften Wellen schaukeln, den freien Platz auf der „Lügenbank für Angler“. In der Hand ein Fischbrötc­hen und im Blick die Schönheit der Natur. Und vielleicht bekommt man ja Lust, ein Ruderboot zu mieten und eine Angelkarte zu erwerben und so (den Besitz eines gültigen Fischereis­cheins vorausgese­tzt) selbst für die nächste Mahlzeit zu sorgen.

Etwa vier Stunden sollte man für die rund 17 Kilometer lange Wandertour rund um den Großen Stechlin einplanen, die am Neuglobsow­er Glasmuseum beginnt. Unterwegs können Wanderer in der wunderschö­nen Sonnenbuch­t an der Nordspitze des Sees ein Bad nehmen, an der Mordbuche, dem Ort einer blutigen Tragödie aus längst vergangene­n Tagen, das Gruseln lernen und sich an der Fischerei mit einem Imbiss stärken. (sam) www.stechlin.de www.reiseland-brandenbur­g.de

„Alles still

hier“

über den Stechlinse­e

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FOTO:STEFFEN LEHMANN/TMB-FOTOARCHIV Der Dichter Theodor Fontane setzte auch Schloss Rheinsberg, das rund 100 Kilometer nordwestli­ch von Berlin am Grienerick­see liegt, in seinen „Wanderunge­n“ein literarisc­hes Denkmal.
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