Sie kämpfte sich zielstrebig durchs Leben
Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Rosemarie Jungk.
Rosemarie Jungk aus dem Saarbrücker Stadtteil Güdingen gilt als eine der wenigen prägenden Radiofrauen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ihre Tochter Consuela erzählt über den Lebensweg einer Frau, die sich privat und beruflich durchkämpfen und durchsetzen musste.
Rosemarie Jungk kam am 4. Juni 1928 in Dessau (Sachsen-Anhalt) als drittes Kind des Schmiedemeisters Oskar Jungk und dessen Ehefrau Marie, geborene Donath, zur Welt. Die Familie hatte in der Nazi-Zeit Schreckliches zu erdulden: Vater Oskar wurde als SPD-Parteimitglied von der NSDAP verfolgt und 1933 in „Schutzhaft“genommen. Am 7. März 1945 überlebte die Familie den Angriff britischer Bomber, die Dessau – dort auch das Lyzeum für Mädchen, das Rosemarie Jungk besuchte – nahezu zerstörten. Die Schülerinnen mussten ins Bauhaus, Schule für Architektur und Design, ausweichen, wo Rosemarie 1947 ihr Abitur machte. Ihr sehnlichster Wunsch war, Theaterund Zeitungswissenschaft zu studieren, doch in der Nachkriegszeit wurden Kriegsheimkehrer bei Studienplätzen bevorzugt. Zudem musste sich Rosemarie Jungk um Lebensmittelkarten bemühen, um die Familie zu unterstützen. Diese überlebensnotwendigen Karten erhielt man nur mit einem Arbeitsnachweis. Also half die junge Rosemarie bei der Demontage der Junkerswerke und absolvierte ein Praktikum in einer Schneiderei. Parallel bewarb sie sich um ein Volontariat beim Berliner und beim Mitteldeutschen Rundfunk, wurde jedoch abgelehnt. Allerdings erhielt sie eine Zusage für ein Vorsemester an der Technischen Universität Berlin und zog in die Hauptstadt, wo sie am 1. April 1948 auf Vermittlung ihres Onkels Otto Donath ein Volontariat und nach sechs Monaten eine Festanstellung beim Rias, dem Rundfunk im amerikanischen Sektor, erhielt. „Der Rias galt als Stimme der freien Welt, und meine Mutter war sehr stolz darauf, bei diesem Sender arbeiten zu können“, erzählt Tochter Consuela.
Rosemarie Jungk arbeitet anfangs in der Lizenzabteilung des Rias, wo sie sich mit dem Sachgebiet Urheberrecht vertraut machte. Danach durchlief sie mehrere Abteilungen und wurde Redakteurin in der Abteilung Unterhaltung und Tanzmusik. „Das war damals außergewöhnlich, da Redakteursstellen fast ausschließlich mit Männern besetzt waren“, erzählt Tochter Consuela. Rosemarie Jungk gestaltete redaktionell prägende Sendungen. Wie „Blende auf“mit den Sprechern Karin Jurow und Heinz Petruo. Zudem begleitete sie redaktionell die ersten Schritte der neu gegründeten Berlinale unter Leitung von Alfred Bauer und gehörte als Redakteurin zu den geladenen Gästen
auf dem roten Teppich bei den ersten Filmfestspielen in Berlin.
Bekannt wurde Rosemarie Jungk in Berlin als Redakteurin der Sendung „Schlager der Woche“, die auch in der DDR viel gehört wurde. Als Rosemarie Jungk vom Saarländischen Rundfunk das Angebot erhielt, ein modernes Radioprogramm, die Europawelle Saar, mitzugestalten, verließ sie zum Bedauern des Rias die Hauptstadt und wurde am 1. Januar 1964 beim SR als Programmgestalterin in der Abteilung Tanz- und leichte Unterhaltungsmusik festangestellt.
Zu ihren Aufgaben gehörte die Organisation des Showpreises „Goldene Europa“, als dieser noch reiner Radiopreis war. Auch bei der Organisation des Schülerferienfestes wirkte sie jahrelang mit. Auf ihre Initiative wurde das Open-Air-Konzert vom St. Johanner Markt auf den Halberg verlegt, wo es lange die Sommerferien im Saarland einläutete. Rosemarie Jungk engagierte sich außerdem für die SOS Kinderdörfer und betreute redaktionell die von Manfred Sexauer moderierten Benefiz-Sendungen.
Auf einer Faschingsveranstaltung lernte sie Ernst Meess aus Saarlouis kennen, verliebte sich in den verheirateten Mann und wollte ein Kind von ihm. „Sie sagte mal zu mir, im Krieg sind so viele junge Männer gefallen, es waren nicht genug da für die Frauen ihrer Generation“, erzählt Consuela Jungk, die 1967 geboren wurde. Rosemaries Vater Oskar tolerierte die Liaison. „Er sagte, eine Gesellschaft, die zulässt, dass so viele junge Männer sterben, sollte nicht richten über Frauen, die gerne ein Kind möchten“, sagt Consuela Jungk. Ihre Eltern haben nie zusammengelebt, auch nicht nach der Scheidung ihres Vaters, doch sie pflegten immer ein sehr kameradschaftliches Verhältnis. Diese Art der Lebens- und Familienplanung sei typisch für ihre Mutter gewesen, sagt Consuela Jungk: „Meine Mutter war der Chef. Sie galt immer als streng und durchsetzungsfähig, sowohl privat als auch beruflich.“
Rosemarie Jungk liebte die Natur und ihren Garten, war Mitglied im Naturschutzbund und 65 Jahre in der Gewerkschaft Verdi. Sie interessierte sich für Geschichte und Literatur, zog sich aber nach ihrem Ruhestand am 31. Dezember 1986 aus der Öffentlichkeit zurück. Bei Verdi jedoch engagierte sie sich weiter für die Belange von Journalisten im Ruhestand. Am 23. April dieses Jahres erlitt Rosemarie Jungk einen Herzinfarkt. Auf eigenen Wunsch verließ sie am Dienstag, 5. Mai, das Krankenhaus. Tochter Consuela, die mit Ehemann Tobias und dem 14-jährigen Sohn Leonhard in Berlin lebt, kam mit ihrer Familie nach Güdingen, um für ihre Mutter ein Nachsorgeteam und einen Pflegedienst zu organisieren. „Wir aßen mittwochs noch zusammen Mittag. Es schien fast so, als habe meine Mutter gewartet, dass Tochter, Schwiegersohn und Enkel da sind, denn in dieser Nacht schlief sie für immer ein“, erzählt Consuela Jungk.
Rosemarie Jungk wurde am 18. Mai auf dem neuen Friedhof in Güdingen zu Grabe getragen. Bei der Trauerfeier wurde ihr Lieblings- und Schicksalslied gespielt: „Für mich soll’s rote Rosen regnen. Mir sollten sämtliche Wunder begegnen. Die Welt sollte sich umgestalten und ihre Sorgen für sich behalten.“
stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-zeitung.de/lebenswege
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