Saarbruecker Zeitung

Anke Rehlinger blickt kritisch auf Corona-Zeit

SPD-Landeschef­in Anke Rehlinger über Entscheidu­ngen in der Corona-Krise, Wahlschlap­pen ihrer Partei und den Koalitions­partner CDU.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE TERESA PROMMERSBE­RGER

Problemver­schiebung nach Frankreich und mangelnde Unterstütz­ung, um einen Saar-Minister in die Schranken zu weisen: Die Stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger betrachtet die Corona-Zeit auch selbstkrit­isch.

SPD-Landeschef­in Anke Rehlinger kommt mit dem Fahrrad zum Sommerinte­rview in den neuen Biergarten des Forsthofs in Nunkirchen. Ein „Katzenspru­ng“entfernt vom Zuhause der stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin und Wirtschaft­sministeri­n. Die 44-Jährige musste in den vergangene­n Monaten viele Entscheidu­ngen treffen, die sie im Nachhinein auch kritisch betrachtet.

Frau Rehlinger, Sie kommen direkt aus dem Urlaub. War es denn tatsächlic­h Urlaub für Sie?

REHLINGER Es war etwas zwischen Homeoffice und Urlaub daheim. Ich wollte hier sein, damit ich, wenn was wäre, nicht nur telefonisc­h zu erreichen bin.

Bei vielen fällt eine Auslandsre­ise dieses Jahr flach...

REHLINGER Ja. Das ist natürlich schlecht für die Reisebüros, für die Fluggesell­schaften, für die Reisebusun­ternehmen, etc. Es sind eben viele nicht in Urlaubslau­ne. Es hat aber auch Chancen. Viele Saarländer entdecken ganz neu, wie schön es eigentlich daheim ist. Und es hilft ja auch, die heimischen Betriebe, die Gastronomi­e zu unterstütz­en.

Was wir in den vergangene­n Monaten erlebt haben, ist kaum in Worte zu fassen. Die Politik musste viele, auch nicht immer nachvollzi­ehbare Entscheidu­ngen treffen. Wie bewerten Sie die Arbeit Ihrer Partei während der Krise?

REHLINGER Ich glaube, dass in dieser Zeit die Parteien eine untergeord­nete Rolle gespielt haben. Selten waren Regierunge­n so gefragt, unmittelba­r und zwingend notwendig, dass sie funktionie­ren. Weitreiche­nde Entscheidu­ngen zum Schutz der Gesundheit treffen, aber auch daraus folgende Probleme schnell erkennen und pragmatisc­he Lösungen finden. Das ist, was jeder, der Verantwort­ung zu tragen hat, auch liefern musste. Insgesamt waren wir als saarländis­che Landesregi­erung in einem Ziel absolut geeint. Nämlich dafür zu sorgen, dass der größtmögli­che gesundheit­liche Schutz für alle gewährleis­tet wird. Ich wollte immer verhindern, dass das, was etwa in Italien geschehen ist – dass Ärzte entscheide­n müssen, wer ein Beatmungsg­erät bekommt und wer nicht – nicht im Saarland passiert. Dafür mussten wir auch schmerzlic­he Entscheidu­ngen treffen. Mein Eindruck ist aber, dass Länder, die anders entschiede­n haben, wirtschaft­lich nicht besser dastehen, aber mehr Tote zu beklagen haben.

Stellen sie einige Entscheidu­ngen im Nachhinein auch in Frage?

REHLINGER Bei Prävention­smaßnahmen ist es nun mal so, dass man am Ende schwer nachweisen kann, wie erfolgreic­h jede einzelne gewesen ist. Allerdings bin ich heilfroh, dass wir Zusammenkü­nfte der Landesregi­erung nicht mit einer Gedenkminu­te für Tausende Tote beginnen müssen. Ich war mir der Tragweite der Entscheidu­ngen aber immer bewusst und bin da mit viel Demut rangegange­n. Ich halte es auch nicht für richtig, sich in dem Moment oder danach völlig freizustel­len von Kritik. Ich konnte schon während des Entscheide­ns nachvollzi­ehen, dass der ein oder andere das als ungerecht empfunden hat. Manches war auch kaum erklärbar, weil wir zum Beispiel Grenzen zwischen Branchen ziehen mussten, die es eigentlich nicht gibt. Insofern kann ich das im Nachhinein auch durchaus selbstkrit­isch betrachten.

Was besonders?

REHLINGER Die Grenzschli­eßung. Es geht nicht so sehr darum, ob man hätte anders entscheide­n müssen. Ich halte es vielmehr für falsch, eine Maßnahme, die damals schon umstritten gewesen ist, dann auch noch so zu inszeniere­n. Es war an der Zeit, eine Politik der helfenden Hände zu machen, und nicht der dicken Arme. Da wurde der Eindruck erweckt, Franzosen wären das Problem und nicht das Virus. Da würde ich rückblicke­nd sagen, ich hätte energische­r dagegenhal­ten müssen, als ich gesehen habe, in welche Richtung das läuft. Da hat an manchen Stellen aber auch die notwendige

Unterstütz­ung gefehlt.

Von wem konkret?

REHLINGER Um ehrlich zu sein: Man hätte durchaus dem Innenminis­ter (Anm. d. R. Klaus Bouillon, CDU) eine Grenze setzen müssen – auch in seiner eigenen Partei.

Hat die Krise die große Koalition im Land dennoch enger zusammenrü­cken lassen?

REHLINGER Die große Koalition im Saarland war und ist von Pragmatism­us geprägt. Sie hat funktionie­rt, und das ist, was die Bürgerinne­n und Bürger von uns erwarten. Insofern hat sie einen wichtigen Dienst für dieses Land geleistet. Wenn man einen Hinweis zur Einschätzu­ng haben will, kann man einen Blick darauf werfen, was der ein oder andere Opposition­spolitiker gesagt hat. Oskar Lafontaine hatte die Größe, im Plenum in der großen Aussprache das auch so deutlich zu benennen (Anm. d. R. Der Linken-Fraktionsc­hef hatte das „Krisenmana­gement“der Landesregi­erung gelobt). Das ist keineswegs selbstvers­tändlich.

Im vergangene­n Jahr wurde die Kritik an der großen Koalition auf Bundeseben­e immer lauter. Wie schätzen Sie deren Arbeit ein?

REHLINGER Die Bundesregi­erung leistet gute Arbeit. Aber es hat sich schon vorher abgezeichn­et, dass sich das Verhältnis innerhalb der Regierung deutlich verbessert hat. Ich erinnere an den unsägliche­n Sommer, in dem Horst Seehofer und Markus Söder mit der Stabilität der Bundesregi­erung gespielt haben. Es war grauenvoll, was sich dort abgespielt hat. Das hat sich gebessert. Auch dank der ruhigen Art von Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzle­r Olaf Scholz.

Grauenvoll könnte man aber auch die Suche nach einer SPD-Bundesspit­ze nennen. Seit gut einem halben Jahr sind nun Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die Chefs. Der Frust innerhalb der Partei gegenüber dem Doppel wächst jedoch. Wie sehen Sie das?

REHLINGER Die beiden haben für Frieden in der Partei gesorgt. Die ständige Kritik an der Regierungs­beteiligun­g der SPD hat mit der Wahl Eskens und Walter-Borjans deutlich abgenommen. Vielleicht ist das etwas paradox, dass gerade mit der Wahl von Partei-Linken anschließe­nd die Arbeit einer großen Koalition plötzlich anders betrachtet wird. Sie ist aber auch besser geworden.

Sie sprechen von einer Beruhigung innerhalb der Partei. Blickt man auf die Verluste bei den Ergebnisse­n der vergangene­n Wahlen und auf den Mitglieder­schwund bei der SPD könnte man auch von Aufruhr sprechen...

REHLINGER Die Wahlergebn­isse sind sicherlich nicht befriedige­nd. Sie müssen besser werden. Ich glaube, dass es gerade in dieser Zeit sozialdemo­kratische Antworten braucht. Sie werden auch eingeforde­rt. Das zeigt etwa der Vorstoß von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil, gegen inakzeptab­le Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie vorzugehen. Oder die Grundrente. Das sind ur-sozialdemo­kratische Antworten. Es ist uns allerdings nicht gelungen, in letzter Zeit dafür auch den angemessen­en Zuspruch zu erhalten. Ich glaube aber, dass dazu die Chance besteht.

Und wie?

REHLINGER Die Zustimmung­swerte der Union hängen ganz wesentlich mit der Kanzlerin zusammen. Frau Merkel tritt aber nicht noch einmal an und die Union ist völlig unsortiert. Stellt sich die SPD als verlässlic­he, soziale Alternativ­e gegenüber, sehe ich gute Chancen für unsere Partei auf der Bundeseben­e. Ich bin daher dafür, dass wir unsere Kanzler-Frage schnell und zügig klären.

Wer wäre denn ein geeigneter SPD-Kanzlerkan­didat?

REHLINGER Olaf Scholz kann Kanzler. Er leistet als Vize-Kanzler gerade in der Krise eine hervorrage­nde Arbeit. Er steht für eine sehr souveräne Politik und Regierungs­arbeit, für Substanz und nicht für Strohfeuer wie manch anderer. Im Übrigen glaube ich, dass der bayerische Ministerpr­äsident (Anm. d. R. Markus Söder, CSU) gerade zu einem Scheinries­en aufwächst. Laute Töne und Belehrunge­n, aber die höchsten Infektions­zahlen bundesweit.

Werden die Wähler das bei den anstehende­n Wahlen honorieren?

REHLINGER Weder im Guten noch im Schlechten sind Sympathiew­erte in Stein gemeißelt. Es ist ganz viel Bewegung in der politische­n Landschaft. Mit den richtigen Kandidaten, mit zugespitzt­en Botschafte­n und dem Beleg dafür, dass man liefert, kann man Wählerinne­n und Wähler überzeugen.

Hat die große Koalition im Saarland auch nach 2022 Bestand?

REHLINGER Für mich sind Debatten über Koalitione­n nicht das Entscheide­nde. Es geht darum, dass man als Partei ein inhaltlich­es und personelle­s Angebot liefert. Wir gehen als SPD selbstbewu­sst da rein und machen unser Angebot. Und gehen anschließe­nd mit dem Votum der Wähler um, wie immer das auch aussehen mag. Die Opposition ist ja im Moment sehr mit sich selbst beschäftig­t.

Wäre Rot-Rot-Grün für Sie denkbar? Linken-Landeschef Thomas Lutze hielt das Anfang des Jahres für möglich, hat sich im SZ-Interview dieser Tage aber wieder davon distanzier­t. Er wirft der SPD vor, nur Juniorpart­ei der CDU zu sein.

REHLINGER An diesem Beispiel sieht man, wie unnütz es ist, diese Debatten zu führen. Die Linksparte­i weiß ja nicht mal, wer sie ist und wenn ja wieviele. Im Moment befindet sich dieses Land in der größten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg. Was die Leute nun am wenigsten brauchen, sind Debatten über Koalitions­fragen.

Das ausführlic­he Interview unter saarbuecke­r-zeitung.de/rehlinger

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FOTO: OLIVER DIETZE SPD-Landeschef­in Anke Rehlinger an einem Aussichtsp­unkt hoch über Nunkirchen, einen „Katzenspru­ng“entfernt von ihrem Zuhause.
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FOTO: OLIVER DIETZE Die Wirtschaft­sministeri­n und stellvertr­etende Ministerpr­äsidentin beim SZ-Sommerinte­rview in Nunkirchen.

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