Hilferufe und Applaus bei Laschets Besuch im Flüchtlingslager
(dpa) Zuerst sind es nur wenige Stimmen. Frauen aus Afrika rufen „Liberté Moria!“(Freiheit Moria). Dann versammeln sich auf der anderen Seite Dutzende Männer, Frauen, Kinder aus Afghanistan und ein Chor schwillt an. „Free Moria!“(Befreit Moria!) tönt es immer lauter, als Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) mit einer großen Delegation durch das überfüllte Flüchtlingscamp auf der griechischen Insel Lesbos geht. Bewaffnete Polizisten halten die rufenden Menschen zurück, die den ihnen unbekannten Politiker aus Europa auf ihre Lage aufmerksam machen wollen. Nach kurzen Absprachen mit den Sicherheitskräften verlässt Laschet das Camp. Ein geplantes Gespräch mit Vertretern der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen wird in das ruhigere Camp Kara Tepe verlegt.
Dass ein deutscher Politiker Moria besucht, das mit knapp 14 000 Flüchtlingen hoffnungslos überfüllte größte Flüchtlingscamp Europas, hat sich schnell herumgesprochen. Es geht das Gerücht um, der „Prime Minister of Germany“sei gekommen. Für Laschet, der als möglicher Kanzlerkandidat unter besonderer Beobachtung steht, ist der Besuch auf Lesbos eine wichtige Angelegenheit – das wird aus seinen Äußerungen deutlich. Und so wagt er sich später im kleinen Tross auch in das berüchtigte Satellitencamp, das sich um das Hauptlager gebildet hat. „Erbärmlich“nennt er die Zustände.
Von einem „Aufschrei der Verzweifelten“spricht Laschet später. „Aber ich glaube, das Signal ist angekommen. Europa muss sich dieser Aufgabe annehmen.“Die EU sucht seit Jahren vergeblich eine Lösung für eine gemeinsame Asylreform. Die Mitgliedsländer können sich nicht über einen Verteilungsschlüssel für die Flüchtlinge einigen. Im September will die EU-Kommission neue Vorschläge vorlegen. Deutschland hat im zweiten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft inne.
Durch die Corona-Krise drohen die Migranten auf Lesbos und anderen Inseln noch mehr in Vergessenheit zu geraten als es schon seit Jahren der Fall ist. Mehr als 27 000 Menschen kamen 2019 nach Lesbos, dieses Jahr waren es erst 3400. Mit viel Geld wird versucht, die Menschen zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen. Vor dem Container-Büro der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Moria sitzt eine sechsköpfige Familie aus Herat im Westen Afghanistans. Nun wedelt eine IOM-Mitarbeiterin mit unterschriebenen Anträgen. 2000 Euro pro Person bekomme die Familie, für ein neues Leben am Hindukusch.
„Was passiert mit uns? Was werden Sie für uns tun?“, fragt ein alter Mann Laschet. Der Mann aus Afghanistan hofft auf Hilfe Laschets bei seinem Asylantrag. Da kann ihm der nordrhein-westfälische Regierungschef nicht helfen. Die Verfahren dauerten lange, aber sie kämen, sagt ihm Laschet. Immer mehr Migranten versammeln sich auch in Kara Tepe in der Hoffnung, dass der fremde Politiker aus Deutschland ihre Rufe hört. Als Laschet das Camp verlässt, winken sie und spenden ihm Applaus.