Saarbruecker Zeitung

Kevin Kühnert plant den nächsten Coup

Der SPD-Vize will das Amt des Juso-Vorsitzend­en im November vorzeitig aufgeben und im kommenden Jahr für den Bundestag kandidiere­n.

- VON HAGEN STRAUSS Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r, Robby Lorenz Frauke Scholl

Gerhard Schröder war mal Juso-Chef und wurde Jahre später Bundeskanz­ler. Auch Andrea Nahles führte die Jugendorga­nisation der SPD einst an, sie brachte es immerhin bis zur Ministerin und Parteichef­in. Die rebellisch­en Jusos sind traditione­ll ein Sprungbret­t, manch einer behauptet sogar, sie sind die Talentschm­iede der Genossen. Da viele ihrer früheren Vorsitzend­en später wichtige Funktionen erlangt haben, kann man Kevin Kühnert getrost eine ähnliche Ambition unterstell­en.

Der 31-Jährige hat angekündig­t, beim Bundeskong­ress seiner Organisati­on Ende November in Potsdam das Amt des Juso-Chefs vorzeitig zur Verfügung zu stellen. Er will zur Bundestags­wahl 2021 im Berliner Wahlbezirk Tempelhof-Schöneberg antreten. Gelingt ihm das, verspricht es spannend zu werden. Erstens kandidiert dort für die Grünen ebenfalls ein prominente­s Zugpferd: die frühere Verbrauche­rministeri­n Renate Künast. Und zweitens wurde der Bezirk seit 2009 direkt vom CDU-Mann Jan-Marco Luczak gewonnen. Keine leichte Aufgabe also für Kühnert.

Pikant ist zudem, dass für den Wahlbezirk auch Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller im Gespräch ist. Spekuliert wird schon länger, dass für ihn Familienmi­nisterin Franziska Giffey ins Rote Rathaus einziehen soll und Müller in den Bundestag wechseln will. Ob es so kommt, ist offen. Auch, wer dann über welchen Berliner Landeslist­enplatz abgesicher­t werden wird – erhält Kühnert Platz eins oder gegebenenf­alls Müller? Der gebürtige Berliner Kühnert ist seit 2017 Juso-Vorsitzend­er.

Bundesweit bekannt wurde der Mann vom linken Flügel als führender Kopf der „NoGroko-Kampagne“Anfang 2018, mit der er damals die Parteiführ­ung vor sich hertrieb. Seitdem ist er ein Aushängesc­hild der Genossen, von denen die SPD nicht mehr viele hat. Streitbar – jedoch nicht unumstritt­en. Seine Macht ausgebaut hat er im vergangene­n Jahr durch die Wahl der neuen Parteispit­ze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Beide wurden von Kühnert unterstütz­t, ohne den Strippenzi­eher hätte das Duo wohl nicht gewonnen. Er wurde dann auch Parteivize. Nicht wenige Sozialdemo­kraten behaupten, dass das der eigentlich­e Sinn seiner Aktionen war. Kühnerts Bemühungen, die SPD wieder weit nach links zu schieben, gerieten jedenfalls bald ins Stocken. Einerseits wegen der politische­n Blässe Eskens und Walter-Borjans, anderersei­ts, weil bei der Bewältigun­g der Corona-Krise das SPD-Lager pro Kurs der Mitte um Finanzmini­ster Olaf Scholz wieder deutlich an Stärke gewonnen hat.

Welche Ziele verfolgt Kühnert nun? Er wolle die Veränderun­gen, die die Jusos angestoßen hätten, auch in die Bundestags­fraktion einbringen, meinte er am Dienstag. Der SPD müsse es im Wahljahr gelingen, „die Union aus der Bundesregi­erung herauszube­kommen“, so Kühnert gewohnt selbstbewu­sst. „Die Mission ist, linke Politik für die Gesellscha­ft zu machen.“In einer großen Koalition sei das schwerlich möglich. Kühnert steht deshalb für ein rot-rotgrünes Bündnis, weswegen es kein Geheimnis ist, dass er in Olaf Scholz nicht den richtigen Kanzlerkan­didaten sieht. Auf die Frage, ob er selbst die Funktion anstrebe, antwortete er grinsend: „Das kann ich aber so was von ausschließ­en.“

Kühnerts Kritikern ist nicht nur sein Linkskurs ein Dorn im Auge, sondern immer wieder auch der Umstand, dass er weder eine Berufsausb­ildung noch ein Studium abgeschlos­sen hat. Wer diese persönlich­en Vorwürfe erhebe, treffe alle Menschen, „die auf ganz ähnliche Biografien gucken“, wehrte er sich am Dienstag. Sollte Kühnert tatsächlic­h in den Bundestag einziehen, stellt sich die Frage, inwieweit er seinen linken Prinzipien treu bleibt. Die früheren Rebellen Schröder und Nahles legten jedenfalls im Laufe der Zeit eine erstaunlic­he Wandlung hin.

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FOTO: PEDERSEN/DPA Der 31-jährige Juso-Chef Kevin Kühnert gilt als Aushängesc­hild der Genossen.

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