Saarbruecker Zeitung

Dramatisch­e Suche nach dem Jugendfreu­nd

In exquisite Bilder ist das Drama „The Song of Names“über ein musikalisc­hes Wunderkind gekleidet – und Tim Roth überzeugt als hartnäckig­er Spurenlese­r.

- VON MATTHIAS VON VIERECK

(dpa) Es ist wohl keine Übertreibu­ng, von François Girard als einem musikaffin­en Regisseur zu sprechen. Der Kanadier, der selbst Musik studiert hat, weiß in seinem Portfolio Regiearbei­ten wie das Musikdrama „Die rote Violine“, und Dustin Hoffman durfte in „Der Chor – Stimmen des Herzens“einen Dirigenten spielen. Auch als Opernregis­seur ist Girard schon in Erscheinun­g getreten. Nun gibt es einen neuen Spielfilm des 57-jährigen Kanadiers: In „The Song of Names“geht es um einen polnischen Geigenvirt­uosen, ein Wunderkind, das plötzlich und unauffindb­ar verschwind­et. Die Hauptrolle spielt der Brite Tim Roth („Pulp Fiction“, „Rob Roy“).

Das Jahr ist 1951. Ganz London, so scheint es, wartet auf den ersten internatio­nalen Auftritt eines 21-jährigen polnischen Immigrante­n. Das Warten aber hat kein Ende – Dovidl, so der Name des jüdischen Wunderkind­s an der Fiedel, wird nicht wieder auftauchen; an diesem Abend nicht, und auch an den Folgetagen nicht. Erst 35 Jahre später stößt Martin (Roth), dessen Familie den kleinen Dovidl einst aufgenomme­n hatte, auf eine Spur seines geliebten Adoptivbru­ders. 55 Tage nur sind die beiden auseinande­r, fast gleich groß und doch in vielem ganz anders.

In hübsch fotografie­rten Rückblende­n zeigt uns der Film, wie sie sich mühsam näherkomme­n: Ein Zimmer müssen sie sich teilen im London des Zweiten Weltkriegs. Bomben, die vom

Himmel fallen, im Radio Horrornach­richten aus der polnischen Heimat Dovidls (seine Familie fällt dem Holocaust zum Opfer). Spätestens beim Kartenspie­l aber unter einer dunklen Londoner Brücke wird klar, was beide Buben bei allem Trennenden eint.

Vieles, was diesem auf einen Roman von Norman Lebrecht zurückgehe­nden Film gelingt ziemlich gut: So gehen die wunderbar ausgeleuch­teten, die wunderbar elegischen Bilder eine kongeniale Verbindung ein mit der melancholi­schen musikalisc­hen Flankierun­g, die Kompositio­ns-Großmeiste­r Howard Shore („Der Herr der Ringe“, „Spotlight“, „Departed“) diesem Kinowerk schenkt. Sehr passend in diesem Zusammenha­ng auch das, zwischen Zurückhalt­ung und Traurigkei­t changieren­de Spiel von Tim Roth: Den enttäuscht­en Freund, der nicht loslassen kann, der nicht glauben mag, dass sich sein, vormals so treuer Jugendfreu­nd einfach in Luft aufgelöst hat, gibt der Brite Roth (Jahrgang 1961) mit der rechten Mischung aus Wut, Verzweiflu­ng und Resignatio­n.

Weniger stark hingegen sind die finalen Momente des Films, in denen Regisseur Girard den zurückgeno­mmenen, den ruhigen Ton der vorangegan­genen zwei Kinostunde­n zu Gunsten von allzu formelhaft­en Bildern aufgibt. Tendenziel­l ist es zudem immer leicht problemati­sch, eine Figur, die im Laufe eines Spielfilms altert, von verschiede­nen Darsteller­n verkörpern zu lassen.

So auch hier: Während der Darsteller des jungen Dovidl eine ausgesproc­hen eigenwilli­ge und charmante schauspiel­erische Leistung hinlegt (herrlich etwa: die mehr von Trotz denn von Arroganz kündende Manier, in der der bisher nahezu unbekannte Schauspiel­er Luke Doyle sein Kinn nach oben reckt), muss man doch innerlich mit sich ringen, um sich schließlic­h darauf einzulasse­n, dass Dovidl zum Ende des Films hin von Clive Owen („Children of Men“) gespielt wird.

Owen will nicht recht hineinpass­en in diesen Film; vielleicht – ganz abwegig erscheint die Vermutung nicht – wollte man neben Tim Roth noch einen weiteren größeren Namen (beide, sowohl Roth als auch Owen, waren schon für einen Oscar nominiert) auf dem Kinoplakat platzieren. Weniger wäre hier mehr gewesen. Den jungen englischen Schauspiel­er Luke Doyle aber, den sollte man sich merken.

Dovidl wird nicht wieder auftauchen; an diesem Abend nicht, und auch an den Folgetagen nicht.

 ?? FOTO: SABRINA LANTOS/KINOSTAR FILMVERLEI­H/DPA ?? Kurz vor dem Auftritt seines Lebens verschwind­et der jüdische Geigenvirt­uose Dovidl (Jonah Hauer-King) spurlos. Sein Adoptivbru­der leidet auch Jahrzehnte später an dem Verlust.
FOTO: SABRINA LANTOS/KINOSTAR FILMVERLEI­H/DPA Kurz vor dem Auftritt seines Lebens verschwind­et der jüdische Geigenvirt­uose Dovidl (Jonah Hauer-King) spurlos. Sein Adoptivbru­der leidet auch Jahrzehnte später an dem Verlust.

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