Kritik an Tschechiens Kultautor Milan Kundera
In Tschechien sorgt eine neue Biografie über Milan Kundera für Aufregung. Es geht um das Leben vor seiner Emigration nach Paris.
(dpa) In Tschechien sorgt eine neue Biografie über den Starautor Milan Kundera für reichlich Gesprächsstoff. Sogar Regierungschef Andrej Babis äußerte sich kritisch zu der Neuerscheinung des Autors Jan Novak. 1975 verließ Milan Kundera die sozialistischen Tschechoslowakei und ging mit seiner Frau Vera in den Westen.
Knapp zehn Jahre später wurde er mit dem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“international bekannt. Das Liebesdrama wurde von Hollywood erfolgreich verfilmt. Über sein vorheriges Leben hinter dem Eisernen Vorhang hüllte der nun in Paris lebende, 91-jährige Kundera den Mantel des Vergessens. „Konnte er sich nicht ausrechnen, dass ihn diese Lügen einmal einholen“, fragt Novak in seiner Biografie „Kundera - sein tschechisches Leben und die Zeit“. Für sein 900-Seiten-Buch, das die Jahre bis 1975 abdeckt, befragte er jahrelang Zeitzeugen. Er nutzte aber auch die – als Quelle umstrittenen – Akten der kommunistischen Staatssicherheit. Novak schreibt, dass Kundera in Brünn (Brno) in gebildeten Verhältnissen aufgewachsen und mit 18 der kommunistischen Partei beigetreten sei. Im Frühwerk finden sich Gedichte auf Stalin und den Antifaschisten Julius Fucik.
Nach einer Lappalie, die er in seinem Roman „Der Scherz“verarbeitet, sei Kundera ausgeschlossen, doch bald wieder aufgenommen worden. Kundera sei in der Tschechoslowakei ein bekannter Dichter und Theaterautor gewesen, der 1963 den Klement-Gottwald-Staatspreis erhielt. Als Dozent an der Prager Filmhochschule genieße er das Vertrauen der Partei, zitiert Novak aus einer internen Bewertung. Er habe auch ins Ausland reisen dürfen.
Erst nach dem Einmarsch der Sowjettruppen 1968 sei der Reformkommunist Kundera in Ungnade gefallen. Petitionen zur Freilassung inhaftierter Schriftsteller, initiiert von Kollegen wie Vaclav Havel und Pavel Kohout, habe er indes nicht unterzeichnet. Im Samisdat, dem illegalen Untergrund-Selbstverlag, habe er nicht publiziert. Es ist nicht das erste Mal, dass Kunderas Vergangenheit für Diskussionen sorgt. Vor zwölf Jahren holten Historiker ein Polizeiprotokoll hervor, demzufolge der Autor 1950 als junger Student einen US-Spion an die Behörden verraten habe. Dieser wurde gefasst und zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt. Kundera sprach von Lügen und einem „Attentat auf einen Autor“.
Novak schenkt ihm wenig Glauben, denn er meint: „Der junge Kundera
war zu dieser Zeit nach allem, was wir wissen, tatsächlich ein fieberhafter Stalinist.“Hier ist Novaks Schreiben von seinem überzeugten Antikommunismus geprägt. Was fehlt, ist eine Biografie über die Zeit nach der Emigration.
Einen deutschen Erscheinungstermin für gibt es noch nicht. Kundera war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, er gebe seit 30 Jahren keine Interviews mehr, hieß es aus seinem Pariser Verlag Gallimard.