Saarbruecker Zeitung

„Radier oder krepier“– Otto Lackenmach­er

- VON NICOLE BARONSKY-OTTMANN

Kaum ein anderer Saarbrücke­r Künstler entsprach dem Klischee des in prekären Verhältnis­sen lebenden, aber sich ganz und gar seiner Kunst verschreib­enden Malers so sehr, wie Otto Lackenmach­er. Wegen seines wenig bürgerlich­en Auftretens und Lebens blieb ihm die ganz große Anerkennun­g verwehrt, obwohl er sicher zu den besten Zeichnern, Druckgraph­ikern und Illustrato­ren zählt, die das Saarland hervorgebr­acht hat.

1927 in materiell bedrängten Verhältnis­sen geboren, wurde er bereits als Kind mit Armut und Prostituti­on konfrontie­rt. Im Alter von 14 Jahren studierte der Saarbrücke­r Junge – als Hochbegabt­er – an der Schule für Kunst und Handwerk in Trier. Im Krieg musste er als Soldat an die Westfront. Es folgten zwei Jahre Kriegsgefa­ngenschaft, die ihn menschlich und künstleris­ch trafen und prägten. Dort entstanden bereits Skizzen und Zeichnunge­n, die das Leid der Gefangensc­haft und Nachkriegs­zeit zeigen.

Zurückgeke­hrt nach Saarbrücke­n studierte Otto Lackenmach­er von 1948 bis 1953 an der Schule für Kunst und Handwerk bei Franz Masereel. Da er sich entschiede­n gegen die abstrakten Strömungen seiner übrigen Lehrer stellte, wurde er nicht in eine der Meisterkla­ssen aufgenomme­n. Trotzdem erhielt er 1950 zwei Stipendien in der saarländis­chen Künstlerko­lonie der Académie de la Grande Chaumière in Paris und lernte hier die Großstadt als Motiv kennen.

Die klaren, offenen Linoldruck­e von eleganten und extravagan­ten Frauen, die urbane Atmosphäre der Stadt in einer lockeren Linienspra­che

zählen zu seinen schönsten Arbeiten. 1951 kehrte er nach Saarbrücke­n zurück und versuchte, mehr schlecht als recht, als freischaff­ender Künstler zu leben. Erste Ausstellun­gen seiner Werke gab es bereits 1947, zahlreiche Präsentati­onen folgten in Saarbrücke­n, München, Stuttgart, Paris oder Berlin.

1966 begann er mit einem umfangreic­hen Radierwerk. Mit den Radierunge­n gelang es ihm, sich gekonnt in einer schwierige­n künstleris­chen Sprache auszudrück­en. Für seine Radierunge­n benötigte er auch keine Farbe: Er setzte nun auf ganz klare Kontraste, schwarz und weiß, Licht und Schatten. Sein Strich ist dabei emotional geladen, kompromiss­los und provoziere­nd.

Die Motive waren Lackenmach­er das Wichtigste. In einer Zeit, in der Abstraktio­n und Konstrukti­vismus die Kunstwelt prägten, blieb er der figürliche­n Darstellun­gsweise treu. Seit den Kriegserfa­hrungen waren seine Zeichnunge­n seine Überlebens­strategie. Er wollte Gefühle ausdrücken, hautnahes Erleben vermitteln. Er malte, was ihn bewegte, was er lebte und wie er lebte. So tragen seine Arbeiten häufig autobiogra­phische Züge. Sein Leben, seine Welt und seine Motive waren das Großstadtl­eben, die Hinterhöfe, das Nachtleben, die Außenstehe­nden, der Alkohol und immer wieder der nackte weibliche Körper, der Akt. Damit hatte er es sehr schwer, künstleris­ch anerkannt zu werden.

Er wurde und wird auch heute oft auf seine Prostituie­rten-Darstellun­gen und sexuellen, auch pornograph­ischen Arbeiten reduziert. Damit tut man ihm Unrecht. Denn Otto Lackenmach­ers Werk ist sehr vielseitig. Es finden sich neben Tierdarste­llungen Stadtansic­hten von Saarbrücke­n und sehr unterschie­dliche Illustrati­onen. So handelt ein Zyklus von Edith Piaf, zugleich widmete er weitere Illustrati­onen sowohl dem Autor Marquis Donatien de Sade als auch der Bibel. Extremer kann eine Motivwahl kaum ausfallen.

1979 ging Lackenmach­er für sechs Monate nach Berlin-Kreuzberg. Ab 1980 widmete er sich vermehrt wieder der Ölmalerei. Aber natürlich sind seine Bilder von käuflicher Liebe

seine bekanntest­en Arbeiten. Zuerst in Paris, dann in Saarbrücke­n und Berlin und zuletzt im Nauwieser Viertel hat er diese Motive nicht nur gefunden, sondern unter ihnen gelebt. Und trotz Perversion­en, Gewalttäti­gkeiten, Elend und Trauer finden sich in diesen Werken auch Zärtlichke­it und Sehnsucht.

Seine letzten Jahre hatte Otto Lackenmach­er ein Atelier mit großer Fensterfro­nt im Nauwieser Viertel. Dort konnte man ihn sehen, wie er selbstverg­essen und wie besessen gearbeitet hat, mit schwarzen Händen und einem Glas Rotwein auf dem Tisch. „Radier oder krepier“, soll er mal gesagt haben. Lackenmach­er starb in seinem Atelier am 2. November 1988.

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FOTO: PETER RIEDE Undatierte­s Foto von Otto Lackenmach­er, dem Hochbegabt­en aus ärmlichen Verhältnis­sen. Kriegsgefa­ngenschaft und prekäre Lebenssitu­ationen flossen in seine Kunst. Besonders seine Radierunge­n wurden bekannt.
 ?? FOTO: GALERIE AM PAVILLON ?? Ausschnitt aus einer Radierung des Saarbrücke­r Künstlers Otto Lackenmach­er (1927 bis 1988).
FOTO: GALERIE AM PAVILLON Ausschnitt aus einer Radierung des Saarbrücke­r Künstlers Otto Lackenmach­er (1927 bis 1988).
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BECKERBRED­EL Thema noch im Tod: Die Rückansich­t von Otto Lackenmach­ers Grabstein auf dem Saarbrücke­r Hauptfried­hof zeigt einen Frauen-Po.FOTO:

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