Saarbruecker Zeitung

Lindner will FDP in die Regierung führen

Der FDP-Chef erklärt die schwierige Lage der Liberalen in Corona-Zeiten und fordert unter anderem eine systematis­che Teststrate­gie.

- DIE FRAGEN STELLTE WERNER KOLHOFF.

Für Christian Lindner ist der Urlaub schon wieder vorbei. Der Partei- und Fraktionsv­orsitzende der FDP gibt in diesen Tagen viele Interviews und versucht zu erklären, warum es für die Liberalen gerade nicht so gut läuft. Unsere Redaktion sprach mit dem 41-Jährigen.

Die Corona-Demonstran­ten in Berlin haben „Freiheit“gerufen. War das in Ihrem Sinne?

LINDNER Die Idee von Freiheit und Bürgerrech­ten muss stärker sein als das Virus. Aber Freiheit entbindet nicht von Verantwort­ung. Wer fahrlässig oder gar vorsätzlic­h die Hygiene- und Abstandsre­geln verletzt, setzt sich und andere großen Gefahren aus. Deshalb appelliere ich an alle, weiter umsichtig zu sein.

Im Moment steigen die Zahlen wieder. Was ist notwendig, um die Lage wieder in den Griff zu bekommen?

LINDNER Wir brauchen eine systematis­che Teststrate­gie, vor allem für die Urlaubshei­mkehrer. Für die Schulen brauchen wir eine digitale Produktion dieser Seite:

Iris Neu-Michalik, Robby Lorenz Martin Wittenmeie­r, Martin Trappen Unterricht­spflicht des Staates. Bund, Länder und Gemeinden müssen gemeinsam dafür sorgen, dass es auch bei steigenden Zahlen einen verantwort­baren Schulbetri­eb gibt. Eine meiner größten Sorgen ist, dass wir sonst eine Chancenkri­se bekommen, die die Spaltung der Gesellscha­ft noch verstärkt.

Ihre Partei ist in den Umfragen regelrecht abgestürzt und müsste gegenwärti­g um den Wiedereinz­ug in den Bundestag bangen. Wie erklären Sie sich das?

LINDNER Gemach. Wir lagen Anfang 2017 auch bei fünf Prozent und haben im Herbst dann 10,5 Prozent erhalten. Klar ist, dass wir wegen der Lage in Thüringen eine Irritation hatten. Das wirkt etwas nach, obwohl wir klargestel­lt haben, dass es keinerlei Zusammenar­beit mit der AfD geben kann. Außerdem scheinen sich viele Menschen trotz der Einschränk­ungen gegenwärti­g mit der starken staatliche­n Einflussna­hme wohl zu fühlen. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Müssen Sie das bloß zur Kenntnis nehmen oder nicht eher Ihre Positionen hier und da korrigiere­n? Zum Beispiel Ihre Politik der Zurückdrän­gung des Staates.

LINDNER Wir hatten schon immer ein differenzi­ertes Bild vom Staat. Er muss dort, wo er wichtige hoheitlich­e Befugnisse hat, handlungsf­ähig sein. Bildung, Schule, Gesundheit­sund Katastroph­enschutz zum Beispiel. Aber er darf sich nicht auf Dauer in die Wirtschaft einmischen und mit ihr als Unternehme­r verstricke­n, wie das bei der Commerzban­k der Fall war. Und er darf auch nicht so versagen wie bei Wirecard.

Das Ziel eines handlungsf­ähigen Staates passt schlecht zu Steuersenk­ungen. Hat sich diese Forderung als Kernthema der FDP erledigt?

LINDNER Nein. Es hat 15 Jahre lang keine Steuerrefo­rm mehr gegeben; die kleinen und mittleren Einkommen sind über Gebühr belastet. Übrigens auch die Beschäftig­ten im Gesundheit­swesen. Und im internatio­nalen Vergleich sind Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d gefährdet, weil unser Steuersyst­em nicht wettbewerb­sfähig ist.

Braucht die FDP wieder mehr mitfühlend­en Liberalism­us, wenn jetzt viele Menschen ihren Job oder ihr Geschäft verlieren? Sie selbst haben diesen Begriff einst geprägt.

LINDNER Das war und ist unser Programm. Auch, wenn der Begriff oft missversta­nden wird. Ich meine damit vor allem den Einsatz für sozialen Aufstieg, für Chancen.

Der Selbststän­dige, der sein Geschäft wegen Corona verliert, war schon aufgestieg­en.

LINDNER Deshalb muss die Politik jetzt für neue Arbeitsplä­tze sorgen. So sollte der Staat zum Beispiel dafür die Sozialbeit­räge übernehmen. Das wäre ein richtiger Job-Turbo.

Außerdem sollte man für Selbststän­dige und Soloselbst­ändige eine negative Gewinnsteu­er einführen, sodass Verluste aus dem letzten Jahr mit Gewinnen im nächsten verrechnet werden. Um nur zwei Beispiele zu nennen.

Vorhin haben Sie die Mittelschi­chten steuerlich entlasten wollen, jetzt schlagen Sie massive zusätzlich­e Ausgaben vor. Wo sparen Sie eigentlich?

LINDNER Wir hätten auf die Senkung der Mehrwertst­euer verzichtet, sie ist nicht zielgenau genug. Auch bei anderen Maßnahmen muss man nach der Treffsiche­rheit fragen. Die Schuldenqu­ote des Staates sinkt im Übrigen nicht nur durch Sparen. Sondern noch viel schneller dann, wenn man es schafft, die Wirtschaft anzukurbel­n. Dahin müssen wir wieder zurück.

Die Wahlplakat­e 2017 zeigten alle ausnahmslo­s: Christian Lindner. Wann beendet die FDP die OneMan-Show mit Ihnen?

LINDNER Die gab es nie. Auch alle anderen Parteien haben damals ihre Spitzenkan­didaten plakatiert. Allerdings fragen die Medien immer nur wenige Personen, nicht nur bei der FDP. Auch Sie haben dieses Sommerinte­rview ja ausdrückli­ch nur mit dem Parteivors­itzenden führen wollen.

Nervt Sie die Frage?

LINDNER Ich bin inzwischen erprobt im Umgang damit.

Warum trennen Sie nicht Fraktionsu­nd Parteivors­itz? Dann hätten Sie gleich eine Verdopplun­g des politische­n Spitzenper­sonals, und wir hätten vielleicht den Fraktionsv­orsitzende­n gefragt.

LINDNER Die Kopplung hat sich in der Vergangenh­eit bewährt. Das hat auch Guido Westerwell­e bis 2009 so gehalten, bis zur Übernahme der Regierungs­verantwort­ung. Auch ich möchte meine Partei in Regierungs­verantwort­ung führen.

Bis dahin soll die Konstellat­ion so bleiben?

LINDNER Das entscheide­t am Ende natürlich meine Partei. Ich jedenfalls bin hoch motiviert, mit der FDP im kommenden Jahr in den Wahlkampf zu ziehen.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA FDP-Chef Christian Lindner hält die Senkung der Mehrwertst­euer für wenig zielgenau.

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