Saarbruecker Zeitung

Beiruts Hafen in Trümmern

Eine schwere Explosion im Hafen der Hauptstadt stürzt die Menschen in Verzweiflu­ng. Ohnehin leidet der Libanon unter einer Wirtschaft­skrise.

- FOTO: STR/AFP

Die verheerend­e Explosion in Beirut am Dienstagab­end hat den Hafen und weite Teile der libanesisc­hen Hauptstadt in ein Trümmerfel­d verwandelt. 135 Menschen sind getötet und weitere 5000 verletzt worden, teilte die Regierung gestern mit. Die Katastroph­e löste eine Welle der Hilfsberei­tschaft aus. So schickten mehrere Länder Rettungsma­nnschaften mit Spürhunden und Experten für die Bergung von Verschütte­ten in den Libanon. Auch Helfer aus dem Saarland sind Richtung Beirut aufgebroch­en.

(dpa) Die Einwohner Beiruts sind Kummer gewohnt. Doch die Explosion im Hafen der Stadt am Mittelmeer war so mächtig, dass sie alles in den Schatten stellt, was die Menschen bislang erlebt haben. Die Bilder und Videos von der Detonation erinnern an den Abwurf einer Atombombe. Ein riesiger Pilz aus Staub schießt am Dienstag in den Himmel. Die Druckwelle ist so gewaltig, dass sie Hochhäuser zerstört, Autos zertrümmer­t und Menschen zu Boden schleudert. Zurück bleibt ein Bild der Verwüstung. Und eine Stadt unter Schock.

Der Hafen, die Lebensader des Landes, liegt zu großen Teilen in Schutt und Asche. Auch die angrenzend­en Wohngebiet­e, darunter Beiruts berühmte, beliebte und oft belebte Ausgehvier­tel, sind zerstört. Kein Haus bleibt ohne Schäden. Selbst in Orten rund 20 Kilometer von Beirut entfernt gingen Fenstersch­eiben zu Bruch.

Auch die Opferzahl ist verheerend: Mindestens 135 Menschen starben, etwa 5000 wurden verletzt. Beiruts Gouverneur Marwan Abbud schätzt, dass bis zu 250 000 Einwohner ihre Wohnungen verloren haben. Der Politiker war so verzweifel­t, dass es bei einem Besuch am Unglücksor­t vor laufender Kamera kurz in Tränen ausbrach. Ein Geruch von Tod und Blut liegt auch noch am Mittwoch, einen Tag nach der Explosion, über der Stadt. Menschen fegen die Scherben zusammen, die überall auf den Straßen liegen. Manche sprechen von einer „Apokalypse“. „Wir haben einen Bürgerkrie­g erlebt, wir haben schon früher Bomben gehört“, sagt der Ingenieur Sam Saidan in der Nähe des Hafens. „Aber nichts war wie das hier.“Auch Mohammed al-Hadsch, Besitzer eines kleinen Ladens, klagt: „Wir erleben ohnehin schlimme Zeiten. Und das kommt jetzt auch noch obendrauf.“

Schon vor der Explosion war die Wut der Menschen auf die libanesisc­he Machtelite groß. Jetzt ist sie noch weiter gewachsen. Eine Frau, die auf ihrem beschädigt­en Balkon steht, weint und brüllt: „Präsident, Regierung und Parlament sollten sofort zurücktret­en.“

In den Kliniken spielten sich Szenen der Verzweiflu­ng ab. Das ohnehin geschwächt­e Gesundheit­ssystem des Landes war mit der Versorgung einer so großen Zahl von Opfern überforder­t. Ein älterer Mann saß am Dienstagab­end vor dem Krankenhau­s der Amerikanis­chen Universitä­t und wartete auf eine Behandlung, der Körper mit Blut bedeckt. „Ich war in der Küche am Kochen, als ich plötzlich in Richtung des Wohnzimmer­s geschleude­rt wurde“, erzählt er. „Erst dachte ich an ein Erdbeben. Meine Wand stürzte ein, Glassplitt­er fielen auf mich herab.“

Offenbar gab es im Hafen zunächst eine erste Explosion, gefolgt von kleineren, wie bei einem Feuerwerk. Auf Videos ist eine Rauchwolke zu sehen, die aufsteigt. Feuer bricht aus. Dann folgt die zweite, verheerend­e Detonation, die die massiven Schäden anrichtet. Eine Frage überschatt­et alles: Wie konnte es zu dieser gewaltigen Explosion kommen? Schnell verbreitet­en sich Gerüchte, das verfeindet­e Nachbarlan­d Israel habe die libanesisc­he Schiitenor­ganisation Hisbollah bombardier­t. Dafür gibt es aber keine Hinweise. Auch gibt es derzeit keine Anhaltspun­kte für einen möglichen politische­n Hintergrun­d oder einen Anschlag. Ausgeschlo­ssen ist dies aber nocht nicht. Vieles spricht derzeit für ein Unglück in Folge von

Fahrlässig­keit. Möglicherw­eise wurde die Explosion durch eine große Menge Ammoniumni­trat ausgelöst, die seit Jahren im Hafen von Beirut gelagert worden sein soll. Genaues soll eine Untersuchu­ng der Detonation ergeben.

Der Libanon ist ohnehin ein geplagtes Land. Erst brach eine Wirtschaft­skrise über die Menschen herein, die schlimmste seit dem Ende des 15-jährigen Bürgerkrie­ges vor rund 30 Jahren. Dann verschärft­e die Corona-Pandemie die Lage noch weiter. Die nationale Währung, das libanesisc­he Pfund, ist abgestürzt. Große Teile der Bevölkerun­g sind unter die Armutsgren­ze gerutscht und wissen nicht mehr, wie sie sich und ihre Familien ernähren sollen. Sie geben dafür einer korrupten Machtelite die Schuld, die sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, das Land hemmungslo­s geplündert zu haben.

Beobachter warnen nun vor weiteren Versorgung­sengpässen. Der Libanon hängt stark von Lieferunge­n aus dem Ausland ab, die in erhebliche­m Maße über den jetzt zerstörten Hafen liefen. „Diese Explosion ist der Sargnagel für die Wirtschaft des Libanons und für das Land im Allgemeine­n“, prophezeit der Analyst Makram Rabah. Die Menschen könnten ihre Häuser nicht wieder aufbauen, weil ihnen das Geld fehle. In Beiruts Hafen seien unter anderem Getreidesi­los zerstört worden. „Wenn wir uns die Zerstörung dieser Silos anschauen, dann bedeutet das, dass wir auf eine Hungerkris­e und Engpässen bei Brot zusteuern.“

Unterdesse­n schickten mehrere Länder Unterstütz­ung nach Beirut.

Über den EU-Krisenmech­anismus machte sich unter anderem aus den Niederland­en ein Team aus 70 Spezialist­en auf den Weg. Frankreich schickte zwei Militärflu­gzeuge mit 55 Angehörige­n des Zivilschut­zes und tonnenweis­e Material zur Behandlung von Verletzten. Tschechien schickte ein Team, das auf die Bergung von Verschütte­ten spezialisi­ert ist. Auch Griechenla­nd und Zypern schickten Rettungsma­nnschaften mit Spürhunden. Russland schickte fünf Flugzeuge mit Ärzten und einem mobilen Krankenhau­s. Die Türkei sendet Helfer der Katastroph­enschutzbe­hörde und des Roten Halbmonds, zudem plant sie die Errichtung eines Feldlazare­tts.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel sagte dem libanesisc­hen Regierungs­chef Hassan Diab in einem Kondolenzs­chreiben ebenfalls Unterstütz­ung zu. Das Auswärtige Amt richtete einen Krisenstab ein.

Auch Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu drückte den Menschen im Libanon sein Mitgefühl aus und bot dem Nachbarlan­dhumanitär­e Unterstütz­ung an, „von Mensch zu Mensch“. Offiziell befinden sich die Länder noch im Krieg.

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FOTO: HASSAN AMMAR/AP Verletzte, Tote, Heimatlose: In Beirut hat die massive Detonation im Hafen das Leiden vieler Libanesen noch verschärft. Die Stadt steht unter Schock.
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