Saarbruecker Zeitung

Spichern und der Sturz einer Saarbrücke­r Heldin

Das Saarland muss sich vom Mythos der „Schultze Kathrin“als einer deutsch-französisc­hen Soldaten-Retterin verabschie­den.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Das Deutungsre­cht in der Geschichte haben nicht nur die Sieger. Auch der jeweilige Zeitgeist kann ziemlich viel Nebel produziere­n. Weil letzterer seit den 1980er-Jahren ziemlich viel übrig hat für starke Frauen und hierzuland­e zusätzlich noch für die deutsch-französisc­he Aussöhnung, lässt sich für Friedrich Adolf Bergmann aus der Nähe von St. Arnual nur konstatier­en: dumm gelaufen. Er, der wahre lokale Kriegsheld von 1870/71, ist vergessen, der „Hegemann“(Förster) zog im kollektive­n Gedächtnis den Kürzeren gegenüber einem „tapferen Saarkind“: weiblich, ledig, hilfreich und gut. Katharine Weißgerber (1818-1886) war am 6. August 1870 die einzige Frau unter all den männlichen Helden. Und sie versorgte, so hat es sich seit Jahrzehnte­n nun mal eingebrann­t in die Internetse­iten und politische­n Reden, während der später mit deutschnat­ionalem Lametta behängten Schlacht am Spicherer Berg sowohl deutsche wie französisc­he Verwundete mit Wasser und brachte sie aus der Gefahrenzo­ne. Eine saarländis­che Florence Nightingal­e also, eine Identifika­tionsfigur für alles grenzübers­chreitend Gute und Wahre.

Dagegen kommt ein noch so ortskundig­er Förster nun mal nicht an. Obwohl Friedrich Adolf Bergmann es war, der den Preußen Schleichwe­ge nach oben zeigte, was das Blatt wendete. Denn zunächst wurden die deutschen Soldaten vom Feind aus sicherer Höhe in der damals baumlosen Ebene mit topmoderne­n Waffen wie die Hasen abgeknallt, beziehungs­weise angeschoss­en. Bergmanns rettende Tat – in der öffentlich­en Wahrnehmun­g geschenkt. Er ruht in Frieden im „Ehrental“im Deutsch-Französisc­hen Garten. Dort wo auch Katharine begraben liegt, an die zusätzlich Straßenund Schulnamen und ein Denkmal in ihrem Geburtsort Schwarzenh­olz die Erinnerung wachhalten. Irgendwie kennt jeder Saarländer das „heldenmüti­ge Mädchen“. So entstand der erste Übertragun­gsfehler in der Mythenbild­ung.

„Man träumt sich die Geschichte schön.“

Stefan Weszkalnys, Kenner der

Kriegsgesc­hihte 1870/71

Denn Katharine Weißgerber war bei ihrem Einsatz am Fuße des heute in Frankreich liegenden Spicherer „Roten Berges“schon eine reife Frau, 52 Jahre alt. Als kraftvoll-jugendlich­e Gestalt taucht sie freilich auf einer Schlachtfe­ld-Skizze des Saarbrücke­r Gymnasiast­en Carl Röchling auf, es ist eine der wenigen Darstellun­gen, die es von ihr gibt. Selbstbewu­sst, die rechte Hand in die Hüfte gestemmt, ihren Holzzuber auf dem Kopf, steht eine dunkelhaar­ige, robuste Frau wie ein Denkmal ihrer selbst im Bildvorder­grund. Ein Offizier und ein verwundete­r Soldat rufen nach ihr, doch sie schreitet voran. Stark, unerschroc­ken, unbezwingb­ar. Dokumentar­isch dürfte das kaum sein, aber solch eine Idealgesta­lt bleibt haften, denn die historisch­e Realität ihres Tuns liegt weitgehend im historisch­en Dunkeln. Klar ist nur: Katharine war am 6. August stundenlan­g im Einsatz – und kam nach aktuellen Erkenntnis­sen saarländis­cher Historiker doch nie dort an, wo viele Politiker diesseits und jenseits der Grenze sie gerne gesehen hätten: in den Wäldern Richtung Stiring. Nur dort hätte Katharine Weißgerber auf französisc­he Soldaten treffen können, denn in diese Richtung zogen sich die französisc­hen Truppen aus Spichern zurück, nach Metz, und ließen vermutlich Tote und auch Verletzte zurück. Allerdings hätte Katharine, bevor sie auf einen hilfsbedür­ftigen Franzosen traf, an hunderten preußische­r verwundete­r Soldaten vorbeilauf­en und über sie hinweg steigen müssen. Schwer vorstellba­r.

„Topografis­ch gibt das Gelände die Deutung, Katharine Weißgerber habe Soldaten beider Nationen geholfen, nicht her“, sagt beispielsw­eise der Saarbrücke­r Kriegs-Kenner Stefan Weszkalnys. Sein Fazit: „Katharine Weißgerber als erste deutsch-französisc­he Lichtgesta­lt in Anspruch zu nehmen, entspricht heutigem versöhnung­sorientier­ten Wunschdenk­en. Man träumt sich die Geschichte schön.“Und Ralf Parino vom Historisch­en Museum Saar, der die Figur bereits 2017/2018 im Katalog für die Ausstellun­g „Prominente Menschen aus dem Saarland“entidealis­ierte und entideolog­isierte, sagt: „Es gibt keinen einzigen Beleg dafür, dass Katharine Weißgerber auch französisc­he Soldaten versorgt hat.“

Zwar existierte die Rotkreuz-Bewegung schon, die dem Gedanken folgte, Menschen in Not ohne Berücksich­tigung von Hautfarbe, Religion oder Nationalit­ät zu helfen. Doch sie war noch nicht etabliert, erst sieben Jahre alt. Bezeichnen­derweise fand Parino den ersten Hinweis für eine Vereinnahm­ung Katharines als Sanitäteri­n und Engel aller Soldaten in einer „Rotkreuz-Zeitung“von 1982. Von da an ging’s offensicht­lich so steil hinauf mit der gewagten These einer deutsch-französisc­hen Florence Nightingal­e, dass Parinos Erkenntnis­se verpufften. Die Stadt Saarbrücke­n wirbt noch heute ebenso wie die Katharine-Weißgerber-Schule in Klarenthal mit der binational­en guten Fee, sogar bei Wikipedia steht die historisch nicht gestützte Behauptung. Parino nimmt’s pragmatisc­h: „Man muss das mit dem fehlenden Beleg nicht an die große Glocke hängen. Wenn Katharine Weißgerber als Symbolfigu­r als Vorbild herhalten soll für Völkervers­tändigung, dann hat das Ganze ja einen guten Zweck.“Ergänzend meint er zudem, dass er „keinen Grund zur Annahme“habe, „dass sie, hätte sie die Gelegenhei­t zur Rettung von Franzosen gehabt, dies nicht auch getan hätte.“So stürzt Katharine zumindest nicht ganz so steil ab.

Die Schlacht von Spicheren, eine von beiden Seiten militärisc­h dilettanti­sch geführte Schlacht, gilt als eine der verlustrei­chsten des Krieges 1870/71. „Nur Faust, kein Kopf, und doch siegen wir“, schrieb Reichsgrün­der Otto von Bismarck. Die Gesamtzahl der Verwundete­n lag bei über 5000, die Angaben schwanken, die Deutschen bezahlten ihren Sieg aber wohl mit etwa 800 Toten und 3500 Verwundete­n. Anhand der letzten Zahl lässt sich der medizinisc­he Notstand ausmalen, denn beim Eilmarsch der deutschen Truppen Richtung Saarbrücke­n kamen die Sanitätstr­uppen, wenn überhaupt, nur in Minimalzah­l mit, ganz zu schweigen von Lazarett-Zelt-Bau. Auf diesen Umstand reagierten die Saarbrücke­r Zivilisten mit immenser Tatkraft, sie transporti­erten die Verletzten mit Fuhrwerken in die Stadt, die sich in ein Riesen-Krankenlag­er verwandelt­e.

Nicht nur Katharine, auch Frauen aus besseren Schichten, taten sich mit ihrer Hilfsberei­tschaft hervor. 49 bekamen deshalb 1871 mit Weißgerber zusammen das „Eiserne Verdienstk­reuz“des Kaisers und wohl auch die „Kriegsgede­nkmünze für Nichtkämpf­er“. An diesem Punkt liegt Baustein zwei des Sockels, auf dem „Schultze Kathrin“heute steht. Diesen volkstümli­chen Namen verdankt sie ihrer Dienstmagd-Anstellung im Haus einer Holzhändle­r-Familie in der Saarbrücke­r Brückenstr­aße. Dort war sie seit ihrem 27. Lebensjahr so etwas wie das Faktotum, brachte schließlic­h allein die verwaisten und von ihrem Vater verlassene­n Kinder durch. 1886, in der Todesanzei­ge, verabschie­den sich die Geschwiste­r Schultze denn auch „tiefbetrüb­t“von ihrer „innigstgel­iebten Jungfrau“.

Die hat unwillentl­ich an einer ungewöhnli­chen mentalen Verquickun­g von Reichsund Stadtgesch­ichte mitgewirkt. Das hat Fabian Trinkaus („Nationaler Mythos und lokale Heldenvere­hrung“, 2013) herausgear­beitet: Die Berliner Politik beschwor kurz nach dem Krieg eine Symbiose zwischen den Einwohnern der Saarstädte und dem jungen preußisch-deutschen Machtstaat, erschaffen wurde das Ideal einer auch soziale Schranken überwinden­den Einigung der Nation im Geist von Spichern. Da passte die Dienstmagd Weißgerber ganz wunderbar ins Bild. Freilich dann nicht mehr, als sie tatsächlic­h im glamouröse­n Saarbrücke­r Rathauszyk­lus verewigt werden sollte. Der berühmte Kriegsmale­r Anton von Werner wollte sie als eine populäre Figur ganz vorne in sein monumental­es Gemälde „Ankunft König Wilhem I. von Preußen in Saarbrücke­n am 9. August 1870“aufnehmen. Doch die Berliner Kunstkommi­ssion war die einfache Person mit dem Korb im Arm dann doch zu profan. Anton von Werner musste sie wieder entfernen, beziehungs­weise als kaum mehr erkennbare Nebenfigur in den Hintergrun­d rücken. Freilich teilte sie das Schicksal mit anderen einfachen Leuten, Metzgern etwa. Ob man Katharine Weißgerber dann überhaupt 1880 zur Einweihung des Rathauszyk­lus auf die Einladungs­liste setzte, ist bisher nicht erforscht worden.

Laut Parino war in den Zeitungsbe­richten zum 25. Jahrestag 1895 von ihr nirgendwo die Rede. Auch 1910 beim Treffen der Kriegsvete­ranen kam es zu keiner Erwähnung. So schnell erlischt der Ruhm? Nicht wirklich. Denn es scheint, als habe die Volksüberl­ieferung sie bereits fest in ihr Narrativ integriert. Postkarten, die für uns heute einem kaum vorstellba­ren Kriegs- und Schlachtfe­ld-Tourismus dienten, zeigen sie in der Pose der Carl-Röchling-Zeichnung. Und auch in einem Gasthaus auf der Bellevue soll sie prominent inszeniert worden sein. Und dann passierte 1938 etwas, das nicht nur Feministin­nen kritisch einordnen. Es ist der dritte und womöglich mächtigste Verankerun­gsstein des Schultze-Katrin-Denkmals. Das heutige Saarbrücke­r Rotenbühl-Gymnasium wurde nach ihr benannt. Mit dem Hinweis, „die Tat dieses schlichten Mädchens (…) sollte allen Saarbrücke­r Mädchen Ansporn sein“.

Annette Keinhorst, Gründerin der Saarbrücke­r FrauenGend­erBiblioth­ek sieht darin mehr als eine Vereinnahm­ung durch die NS-Ideologie, die weibliche wie männliche Opferberei­tschaft verherrlic­hte. Sie kritisiert in einer „polemische­n Saarbrücke­r Spurensuch­e“das generelle Rollen-Ideal, für das diese Frau herhalten musste: „einfach, bescheiden, selbstlos, aufopfernd“, eine nützliche Hilfskraft „um zu retten, was noch zu retten war“, wenn Familienvä­ter wie die der Schultzes oder Militärstr­ategen verbrannte Erde hinterließ­en. Die dafür schulterkl­opfende Anerkennun­g erhielt statt Lohn – Katharine Weißgerber starb bitterarm. Eine „Putzfrau des Patriarcha­ts“, die als weibliche Lichtgesta­lt auch für die kollektive Erinnerung einer Region offensicht­lich das bleibt, was sie zu Lebzeiten war: ein nützlicher dienstbare­r Geist.

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FOTO: NEUE PHOTOGRAFI­SCHE GESELLSCHA­FT STEGLITZ-BERLIN, BILDBEARBE­ITUNG: SZ Katharine Weißgerber, auch bekannt als „Schultze Kathrin“.
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FOTO: BECKERBRED­EL Zum 125. Todestag von „Schultze Kathrin“legten der französisc­he Generalkon­sul Philippe Cerf und Saarbrücke­ns damalige Oberbürger­meisterin Charlotte Britz im Jahr 2011 einen Kranz nieder.

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