Saarbruecker Zeitung

Plötzlich bewegt sich was auf Kuba

Die Corona-Krise befeuert die Reformen auf der Karibikins­el. Die Regierung in Havanna öffnet die Wirtschaft und baut Bürokratie ab.

- VON KLAUS EHRINGFELD

Es gibt auch positive Effekte, die von der Coronapand­emie ausgelöst werden. So zum Beispiel auf Kuba, diesem widerspens­tigen kommunisti­schen Eiland im karibische­n Meer. Die Insel, die sich seit Jahren immer mal wieder an kleinen wirtschaft­lichen Öffnungen und Reförmchen versucht, mal einen Schritt vor und dann wieder zwei zurück macht, beweist in diesen schweren Zeiten erstaunlic­hen Reformeife­r. Präsident Miguel Díaz-Canel hat mehr ökonomisch­e Öffnung und den Abbau von Bürokratie befohlen. Kuba könne wirtschaft­lich nicht so weitermach­en wie bisher, denn „so bekommen wir nicht die Ergebnisse, die wir brauchen“, sagte der junge Staatschef dieser Tage.

Und plötzlich bewegt sich auf der Karibikins­el sehr viel, denn sie leidet unter dramatisch­er Devisenkna­ppheit und Unterverso­rgung mit Lebensmitt­eln und Waren des täglichen Bedarfs. Die Importe vor allem von Lebensmitt­eln sind in diesem Jahr geschätzt um drei Viertel zurückgega­ngen. Das Geld dafür fehlt in erster Linie, weil die Touristen wegen Corona ausbleiben und der Insel damit einer der wichtigste­n Wirtschaft­szweige faktisch komplett weggebroch­en ist. Aber auch der Rückgang der Geldüberwe­isungen aus dem Ausland wegen Corona und den verschärft­en US-Sanktionen treffen Kuba hart. Der Einbruch wird zwar zum Teil durch den Export von Ärzten und Schwestern in Corona-Hotspots aufgefange­n, den sich Havanna fürstlich entlohnen lässt. Aber dennoch droht Havanna die Zahlungsun­fähigkeit.

Daher werden jetzt die zehn Prozent Strafgebüh­r auf den Dollar-Tausch abgeschaff­t, staatliche Devisen-Läden eröffnet, wo die Bevölkerun­g Windeln, Käse und Schweinefl­eisch kaufen kann. Alles Dinge, die man lange in Kuba nicht mehr gesehen hatte.

Entscheide­nder aber ist, dass die Hunderttau­senden „Cuentaprop­istas“, die Kleinstunt­ernehmer, die Restaurant­s und Souvenirlä­den betreiben, Fahrrad-Rikscha und Taxi fahren, sich jetzt auch als Firmen registrier­en lassen, mit Privaten im In- und Ausland Geschäfte machen und sogar auf eigenen, privaten Großmärkte­n einkaufen dürfen. Dies hatten die Cuentaprop­istas immer gefordert, war ihnen aber verweigert worden, auch weil der Staat Panik davor hatte, die Kontrolle über den Privatsekt­or zu verlieren. Die Privaten mussten sich immer beim Staat zu überhöhten Preisen mit benötigtem Material und Rohwaren eindecken. Bereits jetzt arbeiten 600 000 Kubaner, 13 Prozent der werktätige­n Bevölkerun­g im privaten Sektor. Es dürfte künftig noch deutlich mehr werden.

Die Nahrungsmi­ttelversor­gung wird zur „Angelegenh­eit der Nationalen Sicherheit“aufgewerte­t. Zum einen weil man auch in Havanna weiß, dass eine hungernde Bevölkerun­g schneller auf die Straße geht und Reformen einfordert. Zum anderen, weil es für ein Land wie Kuba ein Armutszeug­nis ist, dass es jedes Jahr 2,3 Milliarden Dollar ausgeben muss, um die 11,5 Millionen Menschen einigermaß­en satt zu bekommen. Daher muss die Regierung jetzt in „saure Äpfel“beißen. Sie muss den Kleinbauer­n Kredite anbieten, die Kommerzial­isierung der Produkte dezentrali­sieren und vor allem den obligatori­schen Verkauf an staatliche Stellen eines Großteils der Produktion zu Preisen beenden, die nicht einmal die Herstellun­gskosten decken. Weniger Staat und mehr Markt in der Landwirtsc­haft würden die Produktion nach Einschätzu­ng von Exporten in kurzer Zeit deutlich erhöhen.

Die Krise also macht es möglich. Kuba bewegt sich doch. Man kann nur hoffen, dass der neue Geist auch dann noch über die Insel weht, wenn die Coronapand­emie längst abgeflaut ist.

Die Nahrungsmi­ttelversor­gung wird zur „Angelegenh­eit der Nationalen Sicherheit“

aufgewerte­t.

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