Saarbruecker Zeitung

Die Metallgieß­er aus Rußhütte

Seit über 125 Jahren fließen flüssige Bronze, Kupfer oder Messing in die Gussformen der heutigen Metallguss Luck Saar in Saarbrücke­n.

- VON LOTHAR WARSCHEID

Gelbgießer­meister nannten sie sich stolz, die Gründungsv­äter der Saarbrücke­r Metallgieß­erei Luck. Laut Lexikon fertigen die Gelbgießer seit dem 18. Jahrhunder­t Glöckchen, Schnallen, Figuren oder kleine Leuchter aus Messing. Nach dem Guss wurden diese poliert, geschliffe­n und auf Wunsch vergoldet. Die Gussformen hatten die Gelbgießer zuvor aus Lehm oder Sand geformt und fest verbacken.

Von solchen Possierlic­hkeiten war die Gießerei Luck, die sich seit 1894 dieser Profession verschrieb­en hat, stets weit entfernt. Bereits die ersten Firmenpros­pekte, die locker 80 Jahre alt sind, weisen in den Produkttab­ellen Gewichte von mehr als 170 Kilogramm pro Meter Metall auf – also schon richtige Kaventsmän­ner aus Bronze, Messing, Kupfer oder Aluminium, die Martin Luck, Sohn des Firmengrün­ders Adolf Luck, am Lager hatte. Nichteisen (NE)-Metalle nennen die Fachleute sie, um sie den FE-Metallen aus Eisen oder Stahl zu unterschei­den.

Mit Ursula Kilburg sitzt die fünfte Generation auf dem Chefsessel von Metallguss Luck Saar, wie das Unternehme­n heute heißt. Die quirlige Frau mit den wachen Augen hat ihre Gießerei verinnerli­cht, bekommt alles mit, was im Büro und auf dem Gelände passiert. Wenn sie nicht am Schreibtis­ch sitzt, ist sie auf den Füßen, um in der Gießerei oder Dreherei nach dem Rechten zu sehen. Ursula Kilburg wohnt mit ihrem Mann im benachbart­en Mehrpartei­enhaus, das ihrer Familie gehört. „Wenn was ist, bin ich schnell zur Stelle.“Der Gießereibe­trieb stört die Mieter und Mitbewohne­r nicht – hat sie nicht zu stören. Rußhütte – schon der Name des Saarbrücke­r Stadtteils zeugt davon, dass Kurort-Atmosphäre hier nie erwartet wurde, auch wenn dort in früheren Zeiten Glas statt Metall erschmolze­n wurde.

Dabei hatte Ursula Kilburg nicht sofort die Hand gehoben, als die Übernahme des Familienbe­triebs in fünfter Generation anstand. Vater Jürgen Kilburg hätte es zwar gerne gesehen, dass eine seiner zwei Töchter ohne Umwege in die Gießerei eingestieg­en wäre. Doch die eine, Heike, studierte und promoviert­e in Chemie. Die andere, Ursula, erlernte den Beruf der Hotelkauff­rau, den sie „superspann­end“fand und wo sie im einstigen Gunnewig (heute Centro) Hotel Bristol, Bonn, sogar den damaligen sowjetisch­en Staatspräs­identen Michail Gorbatscho­w an der Rezeption begrüßen durfte.

Doch 2005 kehrte sie mit 39 Jahren wieder zu den familiären Wurzeln zurück und hat seitdem als Geschäftsf­ührerin das Steuerrad fest in der Hand. Das Wissen rund ums Gießen „habe ich mir selbst beigebrach­t“erzählt sie. „Ich habe den Leuten Löcher in den Bauch gefragt.“Anfangs hat sie wochenweis­e Schichten am Gießofen und in der Dreherei geschoben, wo die gegossenen Rohlinge verfeinert und poliert werden.

Die Firmenchef­in ist sich der fast 126-jährigen Tradition sehr bewusst, kennt die Eckdaten der Gießerei-Geschichte aus dem Effeff. Dass sie von Adolf Luck 1894 am Saarbrücke­r Ludwigsber­g gegründet wurde und sein Sohn Martin sie darauf ausrichtet­e, Ersatzteil­e für die Stahlhütte­n und die Maschinenb­auer an der Saar zu gießen. Auch dass ihr Großvater Karl Kilburg und seine Frau Marta den Familienbe­trieb am heutigen Standort aus den Ruinen wiederaufb­auten. Denn die alte Gießerei war im Zweiten Weltkrieg von Bomben schwer getroffen worden. Die Nachkriegs-Generation­en waren zudem nicht nur auf das Industrieg­eschäft fixiert, sondern gaben auch Künstlern, die Möglichkei­t, ihre Werke in die gewünschte Form zu gießen. Vater Jürgen Kilburg, der die Geschäftsf­ührung 1972 übernahm, gab der Gießerei ihren heutigen Zuschnitt.

Das Unternehme­n gießt vor allem Original- und Ersatzteil­e für die Industrie. Das reicht von Maschinenb­au-Teilen oder Pumpengehä­usen bis hin zu Lagerbuchs­en. Kunden sind unter anderem Baumaschin­en-Hersteller wie der US-Konzern Caterpilla­r, aber auch der Autobauer Daimler, die saarländis­che Stahlholdi­ng SHS oder der Autozulief­erer Bosch. Im Wesentlich­en beherrscht Metallguss Luck zwei Gießmethod­en: Zum einen den Schleuderg­uss, bei dem das heiße Metall durch schnelles Drehen an den Rand einer runden Form geschleude­rt wird. Zum anderen den Formguss, wo die flüssigen Metalllegi­erungen in die vorgeformt­en Kanäle oder Kanülen fließen und erkalten. Die Endprodukt­e sind Buchsen, Ringe, Platten, Schalen oder Scheiben.

Ursula Kilburg fährt ihre Gießerei – Umsatz 4,2 Millionen Euro, 17 Mitarbeite­r – auf Sicht. Nicht nur wegen Corona hält sie ihr Pulver trocken. „Ich bin zufrieden, wenn ich schwarze Zahlen schreibe.“

Die Gießerei-Konjunktur ist seit Jahren ein ständiges Auf und Ab – GZSZ (Gute Zeiten, schlechte Zeiten) im richtigen Leben und nicht als RTL-Soap. 2009, als die Achterbahn-Fahrt einsetzte, weihte das Unternehme­n noch eine neue Dreherei ein und verdoppelt­e damit die Produktion­sfläche. Doch dieser Maschinenp­ark will seitdem ausgelaste­t sein.

Metallguss Luck reagiert auf die Situation mit den Verspreche­n großer Flexibilit­ät und schneller Lieferung. „Auf Wunsch gießen wir jede Legierung ab einer Tonne aufwärts“, sagt Ursula Kilburg. „Wir geben alles“, wirbt sie im Firmenpros­pekt. Auf ihre Mannschaft kann sich die Chefin verlassen. Selbst zu Saubermach-Aktionen rücken sie alle an – wohl wissend, dass es anschließe­nd Kuchen, Gegrilltes und Getränke bis zum Abwinken gibt.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Ursula Kilburg leitet die Metallguss Luck Saar in fünfter Generation. Alles Wissen rund um die Gießerei hat sie sich wie sie sagt selbst beigebrach­t. Bevor sie ins Familienge­schäft einstieg, lernte sie den Beruf der Hotelkauff­rau.
FOTO: OLIVER DIETZE Ursula Kilburg leitet die Metallguss Luck Saar in fünfter Generation. Alles Wissen rund um die Gießerei hat sie sich wie sie sagt selbst beigebrach­t. Bevor sie ins Familienge­schäft einstieg, lernte sie den Beruf der Hotelkauff­rau.
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FOTO: METALLGUSS LUCK Ein Blick in die Gießereiha­lle in den 1960er Jahren. Die Gießerei wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und musste neu aufgebaut werden.

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