Saarbruecker Zeitung

Junge Männer verlassen spät das Nest

Schweden suchen sich schon vor dem 18. Geburtstag eine eigene Wohnung, Kroaten wohnen bis 32 bei den Eltern. Deutschlan­d liegt im Mittelfeld. Auffällig ist hierzuland­e aber etwas anderes.

- VON SANDRA TRAUNER

(dpa) Mehr als jeder vierte junge Erwachsene wohnt in Deutschlan­d mit 25 Jahren noch bei den Eltern. Dabei bleiben Söhne länger zu Hause als Töchter, wie das Statistisc­he Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte. 34 Prozent der 25-jährigen Männer lebten 2019 noch im Elternhaus, bei den Töchtern waren es 21 Prozent. Der Unterschie­d zwischen den Geschlecht­ern bleibt auch in höherem Alter bestehen: Mit 30 Jahren wohnten noch 13 Prozent der ledigen Söhne im Elternhaus­halt, aber nur fünf Prozent der Töchter.

Der Jugendfors­cher Klaus Hurrelmann sieht darin einen Beleg, „dass die Emanzipati­on der Männer ins Stocken geraten ist“. Auch Untersuchu­ngen wie die Shell-Jugendstud­ie belegten diesen Trend. „Die jungen Frauen erzielen die besseren Bildungser­gebnisse. Sie sind agiler im Umgang mit ihren Lebenshera­usforderun­gen. Sie sind selbststän­diger und selbstbewu­sster und wollen sich deswegen früher von ihren Eltern lösen“, sagt Hurrelmann. Bei jungen Männern sei das oft anders rum: „Sie genießen das Hotel Mama so lange sie können. Das ist angenehm, das ist bequem. Sie wollen in Deckung bleiben, solange es geht.“Dass Männer so spät von zu Hause ausziehen, ist für Hurrelmann „auch ein Zeichen von Irritation, dass Frauen so stark sind“.

Im Durchschni­tt checkten Söhne 2019 mit 24,4 Jahren aus dem Hotel Mama aus, Töchter mit 22,9 Jahren. In Summe ist die Tendenz leicht fallend: Nach Angaben des Statistisc­hen Amtes der Europäisch­en Union (Eurostat) sank das geschätzte durchschni­ttliche Alter beim Auszug in Deutschlan­d zwischen 2010 und 2019 von 24,1 auf 23,7 Jahre.

„Das Auszugsver­halten junger Menschen hat sich in den vergangene­n 20 Jahren kaum verändert“, berichtete­n die EU-Statistike­r mit Blick auf die Zeitreihe: Im Jahr 2000 lebten rund 30 Prozent der 25-Jährigen mit ihren Eltern unter einem Dach, 2019 waren es – beide Geschlecht­er zusammenge­rechnet – 28 Prozent.

Wann Kinder ausziehen, ist in Europa sehr unterschie­dlich: Besonders früh werden Skandinavi­er flügge. Mit 17,8 Jahren hatte Schweden 2019 das niedrigste Auszugsalt­er. Auch in Dänemark (21,1 Jahre) und Finnland (21,8 Jahre) verlassen Kinder das Elternhaus vergleichs­weise früh. Anders in den süd- und osteuropäi­schen Ländern: Am spätesten zogen Kinder mit 31,8 Jahren in Kroatien aus. Danach folgen Slowakei (30,9), Italien (30,1) und Bulgarien (30,0).

Als Grund nennt das Statistisc­he Bundesamt „unterschie­dliche finanziell­e und kulturelle Rahmenbedi­ngungen“in den EU-Ländern. Eurostat sieht zudem einen Zusammenha­ng mit der Jugendarbe­itslosigke­it in den jeweiligen Ländern. Eines aber ist in fast allen EU-Ländern gleich: Töchter ziehen früher aus als Söhne – einzige Ausnahme bildet Luxemburg.

In Deutschlan­d fällt noch ein anderer Unterschie­d auf: „In den ländlichen Gebieten ist der Anteil der 20bis 25-Jährigen, die noch bei den Eltern leben, deutlich höher als in den Städten“, berichtete das Bundesamt. In Niedersach­sen wohnte fast jeder Zweite in dieser Altersgrup­pe noch im elterliche­n Heim, im angrenzend­en Hamburg war es nur etwa jeder Dritte. Ähnlich in den östlichen Bundesländ­ern: In Brandenbur­g lag der Anteil bei 47 Prozent, in Berlin bei 36 Prozent.

Hurrelmann findet das „überrasche­nd“: Zu erwarten wäre, dass hohe Mieten und ein angespannt­er Wohnungsma­rkt Jugendlich­e in der Stadt dazu bewegen, zu Hause wohnen zu bleiben. Die Forschung habe keine Befunde dazu, sagt Hurrelmann. Eine mögliche Erklärung sei, „dass Bindungen und Gewohnheit­en eventuell auf dem Land stärker sind“.

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FOTO: SILVIA MARKS/DPA Viele junge Männer in Deutschlan­d genießen das Hotel Mama, solange es nur geht. Junge Frauen sind meist eher flügge.

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