Saar-Ärzte kritisieren Massentest von Urlaubern
Die Corona-Tests von Rückkehrern aus NichtRisikogebieten sind für die Kassenärzte weder medizinisch noch ökonomisch sinnvoll.
Die Kassenärzte im Saarland halten flächendeckende Corona-Tests für Urlaubsrückkehrer aus Nicht-Risikogebieten für überflüssig. „Das ist vertane Zeit, vertanes Material und vertanes Geld“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung, Dr. Gunter Hauptmann. Man müsse schonend mit dem Testmaterial umgehen, sonst sei nichts mehr da, wenn es wirklich gebraucht werde. Auch epidemiologisch ergäben die Tests bei Heimkehrern ohne Krankheitssymptome keinen Sinn.
Die Tests seien aber politisch entschieden worden, so Hauptmann.
Auch im Saarland können sich seit Montag alle Menschen, die im Ausland Urlaub gemacht haben, nach ihrer Rückkehr auf Kosten der Krankenkassen auf das Virus testen lassen – in der zentralen Teststation des Landes auf dem früheren Saarbrücker Messegelände und in einem Teil der Arztpraxen. Auf dem Messegelände waren unter den ersten gut 900 Abstrichen am Montag und Dienstag vier Corona-Fälle entdeckt worden. Aus Sicht von Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) sind die Tests notwendig, um Infektionsketten zu unterbrechen.
Hauptmanns Stellvertreter Dr. Joachim Meiser sagte, die Hausärzte bereiteten sich „mit Respekt“auf einen möglichen deutlichen Anstieg der Fallzahlen im Herbst und Winter vor. In der Erkältungszeit kämen jeden Tag rund 12 000 Patienten mit Symptomen wie Husten oder erhöhter Temperatur in die 600 Hausarzt-Praxen. Nach heutigem Stand müssten alle diese Patienten auf Corona getestet werden. „Da wird’s schon schwierig“, sagte Meiser.
Er kündigte an, die Praxen würden bei einem Anstieg der Fälle spezielle Infekt-Sprechstunden einrichten, wenn nötig auch spezielle Corona-Praxen. Eine Entlastung erhoffen sich die Ärzte durch die Grippe-Impfung, für die in den Praxen geworben werden soll. Sie schütze zwar nicht vor dem Coronavirus. Es gebe dann aber weniger Patienten, die mit Grippe in die Praxen kämen.
„Vertane Zeit, vertanes Material, vertanes Geld.“Dr. Gunter Hauptmann Chef der Kassenärztlichen Vereinigung
„Wir müssen auf Prävention setzen, um Ansteckungen auf ein Minimum zu begrenzen.“
Heiner Fangerau
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik
der Medizin in Düsseldorf
(dpa) Es tönt wie eine Drohung, die Sache mit der zweiten Welle bei den Corona-Ansteckungen: Sammelt das Virus irgendwo im Verborgenen neue Kräfte, die bald über die Welt hereinbrechen wie eine tödliche Welle in einem schrecklichen Sturm? Fordern die Menschen das Virus heraus, indem sie bei den Vorsichtsmaßnahmen nachlassen und die zweite Welle damit geradezu heraufbeschwören? Die Expertenmeinungen gehen auseinander, ob man überhaupt von Wellen sprechen soll und was genau damit gemeint ist. Von Wellen sei wohl die Rede, weil die Fallzahlen oft in Kurven dargestellt werden, die wie Wellen aussehen, sagt Heiner Fangerau vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Uni Düsseldorf. Pandemien verliefen aber nicht zwangsläufig in Wellen. „Die Pest grassierte im Mittelalter mehr als sieben Jahre lang, da kann man nicht von Wellen sprechen, und bei der Cholera auch nicht.“Bei der Spanischen Grippe 1918/1919 heiße es zwar auch, die „zweite Welle“sei schlimmer gewesen als die erste, aber Fangerau, der die Coronavirus-Pandemie gerade in einem Buch mit Alfons Labisch in ihrer historischen Dimensionen beleuchtet („Pest und Corona“), formuliert es anders: „Bei der Spanischen Grippe gab es den Effekt, dass nach einem Gipfel im Frühjahr erst im Herbst und Winter wieder mehr Menschen erkrankten als im Sommer.“
Das für Krankheitsüberwachung in Deutschland zuständige Robert Koch-Institut (RKI) hat keine Definition für eine Welle in einem Infektionsgeschehen. Ob und wann Infektionen nach einem Abflauen wieder ansteigen, hänge etwa von Schutzmaßnahmen, dem Reiseverhalten der Menschen oder auch davon ab, ob ein Virus sich im Sommer wegen höherer Temperaturen oder der UV-Strahlung schlechter ausbreite. Zum letzten Punkt verweist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die USA, wo die gemeldeten Infektionen gerade im Sommer rasant gestiegen sind. „Die Jahreszeit scheint die Ansteckungen im Moment nicht zu beeinflussen“, sagt WHO-Sprecherin Margaret Harris. „Was das Infektionsgeschehen aber beeinflusst, sind Massenveranstaltungen, sich mit Leuten treffen und keinen Abstand halten.“Das Verhalten der Menschen dürfte beim Coronavirus ausschlaggebend sein, sagen viele Experten. Wenn viele aus dem Urlaub zurückkehren, zur Arbeit gehen und dort wieder mit mehr Menschen auf engerem Raum zusammen sind, wenn es draußen kühler wird und Aktivitäten vermehrt in Räumen stattfinden, dann kann das Virus besser von Mensch zu Mensch springen.
In Deutschland wurden auf dem Höhepunkt der Pandemie im März mehrere Tausend Ansteckungen pro Tag gemeldet. Im Juni waren es nur noch einige Hundert. Seitdem steigen die Zahlen aber wieder. RKI-Präsident Lothar Wieler sagte Ende Juli, die Entwicklung bereite ihm „große Sorgen“.
Wenn das Wort Welle rein als Beschreibung
der steigenden, fallenden und wieder steigenden Fallzahlen gemeint ist, ist auch Dirk Brockmann von der Berliner Humboldt-Universität an Bord. Der Physiker ist Spezialist für computergestützte Epidemiologie und macht Modelle, wie Pandemien sich entwickeln. Doch bei Corona ist das sehr schwierig.
„Ich mache das seit 15 Jahren, aber diese Sache ist für die Modellierer wirklich Neuland“, sagt er. Das Neue ist ein Virus, dessen Ausbreitung durch Verhaltensänderungen beeinflusst werde. Bei der Schweinegrippe 2009 habe sich das Virus ohne große Gefahr für den Menschen ausgebreitet, und es habe praktisch keine Verhaltensänderungen gegeben. Wie genau reagieren die Menschen aber nun bei Corona? Ändern sie ihr Reise- und Ausgehverhalten? Ändern sie ihre Kontaktnetzwerke? Wie verändert sich die Gesellschaft? „Diese Wechselwirkung, das fängt erst jetzt an, dass man dies in Modellierungen berücksichtigt“, sagt Brockmann. Modelle funktionierten zur Zeit höchstens mit Vorhersagen wie diesen: Wenn die Menschen sich so verhalten wie vor der Pandemie, gehen die Infektionszahlen wieder nach oben. Wenn alle Menschen eine Maske tragen, reduziert dies die
Neuinfektionen um x Prozent.
Wenn WHO-Nothilfekoordinator Michael Ryan auf die zweite Welle angesprochen wird, steigt bei dem Iren der Puls. Sich die Köpfe über eine zweite Welle heiß zu reden, bringe nichts, sagt er immer wieder. „Wir können akademisch über eine zweite Welle streiten, aber das ist nicht die Diskussion, die wir brauchen“, sagt er dann. Es gehe darum, das Virus zu unterdrücken, mit allen dafür nötigen Maßnahmen, Welle hin oder her.
Fangerau zieht zwei Lektionen aus der historischen Betrachtung von Pandemien: „Erstens: wir müssen uns darauf einstellen, mit dem Virus zu leben. Nur die Pocken sind weltweit bislang ausgerottet worden, und das hat trotz Impfstoff Jahrzehnte gedauert“, sagt er. „Zweitens: Wir müssen auf Prävention setzen, um Ansteckungen auf ein Minimum zu begrenzen.“Dazu gehörten Verhaltensregeln, aber auch die Beseitigung von Infektionsherden.