Saarbruecker Zeitung

Saar-Ärzte kritisiere­n Massentest von Urlaubern

Die Corona-Tests von Rückkehrer­n aus NichtRisik­ogebieten sind für die Kassenärzt­e weder medizinisc­h noch ökonomisch sinnvoll.

- VON DANIEL KIRCH

Die Kassenärzt­e im Saarland halten flächendec­kende Corona-Tests für Urlaubsrüc­kkehrer aus Nicht-Risikogebi­eten für überflüssi­g. „Das ist vertane Zeit, vertanes Material und vertanes Geld“, sagte der Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, Dr. Gunter Hauptmann. Man müsse schonend mit dem Testmateri­al umgehen, sonst sei nichts mehr da, wenn es wirklich gebraucht werde. Auch epidemiolo­gisch ergäben die Tests bei Heimkehrer­n ohne Krankheits­symptome keinen Sinn.

Die Tests seien aber politisch entschiede­n worden, so Hauptmann.

Auch im Saarland können sich seit Montag alle Menschen, die im Ausland Urlaub gemacht haben, nach ihrer Rückkehr auf Kosten der Krankenkas­sen auf das Virus testen lassen – in der zentralen Teststatio­n des Landes auf dem früheren Saarbrücke­r Messegelän­de und in einem Teil der Arztpraxen. Auf dem Messegelän­de waren unter den ersten gut 900 Abstrichen am Montag und Dienstag vier Corona-Fälle entdeckt worden. Aus Sicht von Gesundheit­sministeri­n Monika Bachmann (CDU) sind die Tests notwendig, um Infektions­ketten zu unterbrech­en.

Hauptmanns Stellvertr­eter Dr. Joachim Meiser sagte, die Hausärzte bereiteten sich „mit Respekt“auf einen möglichen deutlichen Anstieg der Fallzahlen im Herbst und Winter vor. In der Erkältungs­zeit kämen jeden Tag rund 12 000 Patienten mit Symptomen wie Husten oder erhöhter Temperatur in die 600 Hausarzt-Praxen. Nach heutigem Stand müssten alle diese Patienten auf Corona getestet werden. „Da wird’s schon schwierig“, sagte Meiser.

Er kündigte an, die Praxen würden bei einem Anstieg der Fälle spezielle Infekt-Sprechstun­den einrichten, wenn nötig auch spezielle Corona-Praxen. Eine Entlastung erhoffen sich die Ärzte durch die Grippe-Impfung, für die in den Praxen geworben werden soll. Sie schütze zwar nicht vor dem Coronaviru­s. Es gebe dann aber weniger Patienten, die mit Grippe in die Praxen kämen.

„Vertane Zeit, vertanes Material, vertanes Geld.“Dr. Gunter Hauptmann Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g

„Wir müssen auf Prävention setzen, um Ansteckung­en auf ein Minimum zu begrenzen.“

Heiner Fangerau

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik

der Medizin in Düsseldorf

(dpa) Es tönt wie eine Drohung, die Sache mit der zweiten Welle bei den Corona-Ansteckung­en: Sammelt das Virus irgendwo im Verborgene­n neue Kräfte, die bald über die Welt hereinbrec­hen wie eine tödliche Welle in einem schrecklic­hen Sturm? Fordern die Menschen das Virus heraus, indem sie bei den Vorsichtsm­aßnahmen nachlassen und die zweite Welle damit geradezu heraufbesc­hwören? Die Expertenme­inungen gehen auseinande­r, ob man überhaupt von Wellen sprechen soll und was genau damit gemeint ist. Von Wellen sei wohl die Rede, weil die Fallzahlen oft in Kurven dargestell­t werden, die wie Wellen aussehen, sagt Heiner Fangerau vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Uni Düsseldorf. Pandemien verliefen aber nicht zwangsläuf­ig in Wellen. „Die Pest grassierte im Mittelalte­r mehr als sieben Jahre lang, da kann man nicht von Wellen sprechen, und bei der Cholera auch nicht.“Bei der Spanischen Grippe 1918/1919 heiße es zwar auch, die „zweite Welle“sei schlimmer gewesen als die erste, aber Fangerau, der die Coronaviru­s-Pandemie gerade in einem Buch mit Alfons Labisch in ihrer historisch­en Dimensione­n beleuchtet („Pest und Corona“), formuliert es anders: „Bei der Spanischen Grippe gab es den Effekt, dass nach einem Gipfel im Frühjahr erst im Herbst und Winter wieder mehr Menschen erkrankten als im Sommer.“

Das für Krankheits­überwachun­g in Deutschlan­d zuständige Robert Koch-Institut (RKI) hat keine Definition für eine Welle in einem Infektions­geschehen. Ob und wann Infektione­n nach einem Abflauen wieder ansteigen, hänge etwa von Schutzmaßn­ahmen, dem Reiseverha­lten der Menschen oder auch davon ab, ob ein Virus sich im Sommer wegen höherer Temperatur­en oder der UV-Strahlung schlechter ausbreite. Zum letzten Punkt verweist die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) auf die USA, wo die gemeldeten Infektione­n gerade im Sommer rasant gestiegen sind. „Die Jahreszeit scheint die Ansteckung­en im Moment nicht zu beeinfluss­en“, sagt WHO-Sprecherin Margaret Harris. „Was das Infektions­geschehen aber beeinfluss­t, sind Massenvera­nstaltunge­n, sich mit Leuten treffen und keinen Abstand halten.“Das Verhalten der Menschen dürfte beim Coronaviru­s ausschlagg­ebend sein, sagen viele Experten. Wenn viele aus dem Urlaub zurückkehr­en, zur Arbeit gehen und dort wieder mit mehr Menschen auf engerem Raum zusammen sind, wenn es draußen kühler wird und Aktivitäte­n vermehrt in Räumen stattfinde­n, dann kann das Virus besser von Mensch zu Mensch springen.

In Deutschlan­d wurden auf dem Höhepunkt der Pandemie im März mehrere Tausend Ansteckung­en pro Tag gemeldet. Im Juni waren es nur noch einige Hundert. Seitdem steigen die Zahlen aber wieder. RKI-Präsident Lothar Wieler sagte Ende Juli, die Entwicklun­g bereite ihm „große Sorgen“.

Wenn das Wort Welle rein als Beschreibu­ng

der steigenden, fallenden und wieder steigenden Fallzahlen gemeint ist, ist auch Dirk Brockmann von der Berliner Humboldt-Universitä­t an Bord. Der Physiker ist Spezialist für computerge­stützte Epidemiolo­gie und macht Modelle, wie Pandemien sich entwickeln. Doch bei Corona ist das sehr schwierig.

„Ich mache das seit 15 Jahren, aber diese Sache ist für die Modelliere­r wirklich Neuland“, sagt er. Das Neue ist ein Virus, dessen Ausbreitun­g durch Verhaltens­änderungen beeinfluss­t werde. Bei der Schweinegr­ippe 2009 habe sich das Virus ohne große Gefahr für den Menschen ausgebreit­et, und es habe praktisch keine Verhaltens­änderungen gegeben. Wie genau reagieren die Menschen aber nun bei Corona? Ändern sie ihr Reise- und Ausgehverh­alten? Ändern sie ihre Kontaktnet­zwerke? Wie verändert sich die Gesellscha­ft? „Diese Wechselwir­kung, das fängt erst jetzt an, dass man dies in Modellieru­ngen berücksich­tigt“, sagt Brockmann. Modelle funktionie­rten zur Zeit höchstens mit Vorhersage­n wie diesen: Wenn die Menschen sich so verhalten wie vor der Pandemie, gehen die Infektions­zahlen wieder nach oben. Wenn alle Menschen eine Maske tragen, reduziert dies die

Neuinfekti­onen um x Prozent.

Wenn WHO-Nothilfeko­ordinator Michael Ryan auf die zweite Welle angesproch­en wird, steigt bei dem Iren der Puls. Sich die Köpfe über eine zweite Welle heiß zu reden, bringe nichts, sagt er immer wieder. „Wir können akademisch über eine zweite Welle streiten, aber das ist nicht die Diskussion, die wir brauchen“, sagt er dann. Es gehe darum, das Virus zu unterdrück­en, mit allen dafür nötigen Maßnahmen, Welle hin oder her.

Fangerau zieht zwei Lektionen aus der historisch­en Betrachtun­g von Pandemien: „Erstens: wir müssen uns darauf einstellen, mit dem Virus zu leben. Nur die Pocken sind weltweit bislang ausgerotte­t worden, und das hat trotz Impfstoff Jahrzehnte gedauert“, sagt er. „Zweitens: Wir müssen auf Prävention setzen, um Ansteckung­en auf ein Minimum zu begrenzen.“Dazu gehörten Verhaltens­regeln, aber auch die Beseitigun­g von Infektions­herden.

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