Saarbruecker Zeitung

Lufthansa droht mit Abbau von 22 000 Stellen

Carsten Spohr macht die Gewerkscha­ften für schleppend­e Spar-Verhandlun­gen verantwort­lich – und verschärft den Kurs.

- VON CHRISTIAN EBNER UND STEFFEN WEYER Produktion dieser Seite: Nina Zapf-Schramm Frauke Scholl

(dpa) Nach einem weiteren Milliarden­verlust hat die staatlich gestützte Lufthansa mit Entlassung­en in Deutschlan­d gedroht. Das Ziel der Vermeidung betriebsbe­dingter Kündigunge­n sei nicht mehr realistisc­h, sagte Vorstandsc­hef Carsten Spohr. Der Konzern will 22 000 Vollzeitst­ellen abbauen. Wirtschaft

(dpa) Nach einem erneut milliarden­schweren Quartalsve­rlust hat die Lufthansa ihrem Personal erstmals mit betriebsbe­dingten Kündigunge­n gedroht. Bei Vorlage der Halbjahres­zahlen zeigte sich Vorstandsc­hef Carsten Spohr am Donnerstag enttäuscht über die weiter heftigen Corona-Einschränk­ungen im Luftverkeh­r sowie über die schleppend­en Verhandlun­gen zu Sparbeiträ­gen des Personals in Deutschlan­d. Es sei daher nicht mehr realistisc­h, betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu vermeiden, erklärte der Chef der mit neun Milliarden Euro Staatshilf­e gestützten Lufthansa.

Der Zusammenbr­uch des Flugverkeh­rs in der Corona-Pandemie hat dem MDax-Konzern im zweiten Quartal einen Nettoverlu­st von 1,5 Milliarden Euro eingebrock­t – im Vorjahresz­eitraum stand noch ein Gewinn von 226 Millionen Euro. Einzig das Rekorderge­bnis der Frachttoch­ter Lufthansa Cargo, die von der stark gestiegene­n Nachfrage nach Frachtflüg­en profitiert­e, linderte das tiefrote Zahlenwerk. Zur Jahreshälf­te beträgt der Konzernver­lust damit schon 3,62 Milliarden Euro (erstes Halbjahr 2019: minus 116 Millionen), was auch für das Gesamtjahr einen deutlichen Milliarden­verlust erwarten lässt.

Die Liquidität bezifferte Lufthansa einschließ­lich Staatshilf­e auf 11,8 Milliarden Euro. Dem stand zuletzt ein monatliche­r Mittelverl­ust von 550 Millionen Euro gegenüber. Mit einer positiven Entwicklun­g des Geldflusse­s rechnet Lufthansa erst gegen Ende des kommenden Jahres.

Das Unternehme­n versuche mit allen Mitteln gegenzuste­uern, wie Spohr betonte: Die Kosten sollen bis 2023 um 15 Prozent sinken und die Flotte mindestens 100 Flugzeuge kleiner werden, dabei aber das Gleiche leisten wie vergangene­s Jahr. Auch von seinen Dienstleis­tern wie den Flughäfen verlangt der Lufthansa-Konzern Sparbeiträ­ge, wozu bislang nur der Frankfurte­r Betreiber Fraport nicht bereit sei. Spohr drohte damit, Flüge bevorzugt an günstigere­n Flughäfen zu planen.

Beim Personalab­bau sei man aber fast nur im Ausland vorangekom­men, sodass die Zahl der Konzernbes­chäftigten seit einem Jahr um knapp 8300 auf 129 400 gesunken sei. In Deutschlan­d, wo 11 000 der 22 000 einzuspare­nden Stellen verortet sind, sei bisher kaum etwas passiert. „Es gibt keine Airline auf dieser Welt, die ohne Entlassung­en auskommt. Ich wäre gerne die einzige gewesen“, sagte Spohr.

Verantwort­lich für die schleppend­en Verhandlun­gen machte er die Gewerkscha­ften Verdi und Vereinigun­g Cockpit (VC), mit denen seit Monaten über alternativ­e Sparmöglic­hkeiten

wie Teilzeit und Ruhestands­regelungen gesprochen wird. Auch die Mitglieder der Kabinengew­erkschaft Ufo haben dem erreichten Eckpunkte-Papier, mit dem 2600 Entlassung­en verhindert werden sollen, noch nicht zugestimmt. „Es geht mir viel zu langsam“, kritisiert­e Spohr. „Selbst mit der Bundesregi­erung waren wir schneller als mit den Gewerkscha­ften am Boden und im Cockpit.“

Die Gewerkscha­ften wiesen Spohrs Kritik zurück. Ein Krisenpake­t müsse auch die mittelfris­tige Zukunftsfä­higkeit

des Unternehme­ns sichern und Schutz vor Ausgründun­gen bieten, forderte Verdi-Vorstandsm­itglied Christine Behle. Sie vertritt viele Mitglieder bei der Wartungsto­chter Lufthansa Technik, für die der Konzern verschiede­ne Optionen wie einen Teilbörsen­gang oder die Einbringun­g in ein Gemeinscha­ftsunterne­hmen prüft.

Die Ufo mahnte von der Lufthansa erneut konkrete Umsetzungs­pläne für Arbeitszei­tverkürzun­gen, Abfindunge­n sowie Kurzarbeit­ergeld an. „Jetzt mit Kündigunge­n zu drohen, ist unnötig und in der Kabine sogar vertragswi­drig“, sagte Ufo-Geschäftsf­ührer Nicoley Baublies. Ein Sprecher der VC verwies auf die laufenden Verhandlun­gen. Erst nach Abschluss könne man sagen, ob es vereinzelt­e Personalüb­erhänge gebe. Spohr hatte gesagt, dass allein die Lufthansa-Kerngesell­schaft 800 Piloten zu viel an Bord hat.

„Auf diese Situation können wir nicht mit den Methoden, Prozessen und Zeithorizo­nten der Vergangenh­eit reagieren“, betonte der Vorstand in einem Brief an die Mitarbeite­r. In den kommenden Wochen solle über die endgültige Stilllegun­g einzelner Flugzeugty­pen und Teilflotte­n entschiede­n werden. Bereits bekannt sind etwa die Schließung­spläne für Germanwing­s und die deutsche Tochter des Joint Ventures mit Turkish Airlines, SunExpress.

„Wir erleben eine Zäsur des globalen Luftverkeh­rs“, sagte Spohr. „Vor 2024 rechnen wir nicht mehr mit einer anhaltende­n Rückkehr der Nachfrage auf das Vorkrisenn­iveau.“

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA 3,62 Milliarden Euro Verlust hat der Lufthansa-Konzern im ersten Halbjahr wegen des Zusammenbr­uchs des Flugverkeh­rs verbucht.
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FOTO: ROESSLER/DPA Carsten Spohr, Vorstandsv­orsitzende­r der Lufthansa

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