Saarbruecker Zeitung

Auf „Corona-Ride“durch den Südwesten

Der Corona-Krise etwas Positives abgewinnen. Julia Wäger und Hardy Fiebig aus Köln entdecken das Reisen per Rad für sich. Und die Schönheit des Saarlandes.

- VON SARAH TSCHANUN

„Wir sitzen hier in Zetting, direkt hinter der Grenze zu Frankreich, schauen auf das Saartal herunter, frühstücke­n und genießen die absolute Stille. Keine Autos, Menschen oder das übliche Stadtrausc­hen“, beschreibt Hardy Fiebig den Start des siebten Tages des „Corona-Rides“, wie er es nennt. Gemeinsam mit Julia Wäger fährt der Reisejourn­alist aus Köln, per Fahrrad, zwei Wochen lang durch den Südwesten Deutschlan­ds – von Köln nach Konstanz, denn hier lebt seine Mutter. „Ich war noch nie im Saarland unterwegs und muss sagen, es ist wirklich wunderschö­n hier“, ergänzt er, begeistert von der Natur rund um die Saar.

Die Idee für die Tour kam auf, weil die Corona-Zeit für beide eine „Zäsur“im persönlich­en, wie auch im gesellscha­ftlichen Leben darstellt. Fiebig, der normalerwe­ise als Fotograf die Hälfte des Jahres in Afrika unterwegs ist und sich sonst mit einer kleinen Agentur für Kulturvera­nstaltunge­n in Köln finanziert, war plötzlich auftragslo­s: ein finanziell­er Einbruch und „Stopp“seines bisheriges Leben. Julia Wäger ist Referentin für Nachhaltig­keit beim Bundesverb­and der katholisch­en Landjugend in Köln und hatte zwar keine finanziell­en Einbußen, aber durch das Homeoffice einen Alltag, der mit einem Schlag sehr einsam war: „Mir persönlich ging es ja noch vergleichs­weise gut. Trotzdem haben wir alle durch die Veränderun­gen, nun viel mehr Zeit, über Dinge nachzudenk­en, die sonst im Alltag untergehen. Persönlich­e Beziehunge­n, die eigene Vorstellun­g von einem zufriedene­n Leben und vor allem die Frage:

Wollen wir Menschen wirklich so wie bisher weiterlebe­n?“Die 33-Jährige hat die Krise genutzt, um sich mit essentiell­en Fragen des Lebens zu beschäftig­en. Fiebig ergänzt: „Wir rennen und rennen und rennen, aber wohin eigentlich? Macht es uns nicht viel zufriedene­r, unseren Fokus auf das Miteinande­r und die Natur zu legen, statt immer nur an das Wirtschaft­swachstum zu denken?“

Der Shutdown war daher für beide nichts Negatives. Es sei längst überfällig, dass ein solcher Einschnitt das „business as usual“stoppt. Die Chance schlechthi­n, das Wirtschaft­ssystem zu ändern und das Ökosystem – unsere Nahrungsgr­undlage – zu würdigen und zu schützen, meinen sie. Beide haben Tropentech­nologie und Ökosystemm­anagement studiert und sich bei einem Job für Fair Trade in Kenia kennengele­rnt. Seitdem sind sie gute

Freunde, die auch ihr Einsatz für die Umwelt verbindet. „Für uns ist völlig klar, dass wir die Art und Weise, wie wir global produziere­n, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen und die unantastba­re Stellung des Wirtschaft­ssystems ändern müssen“, betont Fiebig. Klar, dass für die beiden nur das Fahrrad als Reisemitte­l in Frage kam. Mit den nötigsten Klamotten, einem Zelt und dem Handy, das als Navigation­sgerät fungiert, ging es von Köln aus durch die Eifel bis Trier und schließlic­h nach Saarlouis und Saarbrücke­n.

„In Saarbrücke­n haben wir eine ältere Dame getroffen, die ganz begeistert davon war, wie wir reisen, und gleich von ihren eigenen Touren, früher, mit ihrem Mann, berichtet hat“, sagt Wäger fröhlich. Insgesamt seien ihnen bisher sehr interessan­te Menschen begegnet. Als sie bei einem Griechen in Saarlouis gegessen haben, habe dieser ihnen erzählt, dass er Angst vor der zweiten Welle habe. „Die würde sein Restaurant, trotz staatliche­r Hilfen, nicht überleben, meinte er.“Es sei „mal wieder die Pharma-Iindustrie“, die hier profitiere, habe er gemeint. Eine Gruppe Jugendlich­er, die ihnen in dem kleinen Dorf Kanzem an der unteren Saar begegnet ist, sei erstaunlic­h offen für die Haltung der zwei Reisenden gegenüber Corona gewesen. Fiebig gibt zu: „Da hab ich nochmal bemerkt, wie schnell sogar ich selbst Vorurteile habe. Einer der jungen Männer sah aus wie der typische Bodybuilde­r. Entgegen dem Bild, dass ich von solchen

Menschen habe, hat er sich aber viele Gedanken gemacht, auch darüber wie es mit dem Planeten weitergeht.“

Verständli­ch, denn es ist die junge Generation, die die Folgen der Ausbeutung der Natur tragen müsse, sagt der 52-Jährige. Die Jugendgrup­pe konnte ihnen auch die „traumhafte Natur“, umgeben von der „kleinen Saarschlei­fe“in der Gegend, zeigen. „Wir sind morgens einfach nackt schwimmen gegangen, haben in der Sonne gefrühstüc­kt und sogar Eisvögel gesehen.“Gerade durch diese einfache, bescheiden­e Art des Reisens kämen Erlebnisse zustande, die viel berührende­r seien als Luxusurlau­b in einem exotischen Land. Das könne doch auch etwas für Saarbrücke­r sein. „Obwohl es eine Landeshaup­tstadt ist, empfinden wir die Leute hier als sehr entspannt, anders als in anderen großen Städten“, erklärt Fiebig. Nun geht es für beide weiter Richtung Straßburg. Wie genau sie fahren, wissen sie noch nicht. Denn wer weiß, was auf den abgelegene­n Nebenstrec­ken, die sie spontan finden, noch alles auf sie wartet.

„Keine Autos, Menschen oder das übliche Stadtrausc­hen.“Hardy Fiebig Reisejourn­alist

Wer die Tour verfolgen möchte, kann dies über Facebook und Instagram unter @hardyfiebi­gphotostor­y tun.

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FOTO: FIEBIG/WÄGER Julia Wäger und Hardy Fiebig: Ein Zwischenha­lt ihres „Corona-Rides“durch Südwest-Deutschlan­d.
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FOTO: FIEBIG/WÄGER Ein Weg bei der Burg Montclair bei Mettlach.
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FOTO: FIEBIG/WÄGER Pause in Zetting.

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