Ausraster in Bürgerämtern
In Corona-Zeiten sind offenbar ein paar Menschen dünnhäutiger geworden, die Mehrheit bleibt aber freundlich.
Polizeieinsatz im Völklinger Rathaus. Ist es ein Einbruch? Gar ein Überfall? – Nein, es ist ein Passbild. Beim Beantragen eines Passes bestand ein Kunde darauf, dass statt eines biometrischen Passbildes – seit 14 Jahren bundesweit Pflicht – ein Ausschnitt aus einem Familienfoto genommen werden solle. Argumente halfen nicht, er geriet derart in Rage, dass Verwaltungsmitarbeiter schließlich die Polizei riefen. Sind die Bürger, wegen Corona, Lockdown und mitunter längerer Wartezeiten dünnhäutiger geworden? Liegen Kunden-Nerven in Bürgerämtern schneller blank als „vor Corona“? Wir baten in den zehn Regionalverbands-Kommunen um Stellungnahmen. Aus den Antworten wird klar: Überall treten die allermeisten Kunden normal oder sogar freundlich auf. Was jedoch die „Ausreißer“betrifft, da gibt es Unterschiede.
Oberbürgermeisterin Christiane Blatt betont, dass Menschen mit aggressivem Verhalten Einzelfälle sind, die allerdings zugenommen hätten. („Wir haben nicht umsonst einen Sicherheitsdienst.“) Dass auch mal die Polizei gerufen wird, sei selten, aber kein Einzellfall. Auch dass sich erwachsene Menschen in ihrem Zorn auf den Boden werfen, sei schon vorgekommen. Leider komme es auch vor, dass Bürger, denen bei ihrer telefonischen Anmeldung erklärt wird, was sie etwa für das Beantragen eines Passes mitbringen müssen, dann doch nicht alles dabei haben, und dass manche dann ungehalten werden, wenn sie nochmals kommen sollen.
Meistens gebe es „keine Probleme“, so Michaela Kakuk von der Stadtpressestelle. Jedoch: „Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, die uns alle vor große Herausforderungen stellt, ist dennoch auch bei uns eine Zunahme der Aggressivität gegenüber unseren Kolleginnen und Kollegen festzustellen. Das betrifft vor allem die Publikumsämter und den Außendienst.“Es seien zwar Einzelfälle, „die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten aber durchaus von einer gereizteren Stimmung beim Publikum und leider auch von Übergriffen.“Regelmäßig gebe es Mitarbeiter-Schulungen, um auf Konfliktsituationen vorzubereiten. Aktuell erstelle eine Arbeitsgruppe ein Handlungskonzept zum Problem „Gewalt gegen Beschäftigte“.
Hilfreich seien die Schnellschalter für einfache Angelegenheiten wie Meldebescheinigungen oder Führungszeugnisse. „Notfälle“würden vorab geprüft und, wenn berechtigt, ein zeitnaher Termin ermöglicht, „was beispielsweise im Bereich der Zulassungen häufiger vorkommt.“
Pressesprecher Elmar Müller schildert: „Auch bei uns haben Kolleginnen und Kollegen vom Bürgerservice festgestellt, dass Aggressivität und Dünnhäutigkeit von Kunden zugenommen haben. Von einem Teil der Bürger wird die Möglichkeit der Terminvereinbarung sehr begrüßt, andere sind jedoch erbost und äußern dies entsprechend.“Es gab Fälle, in denen Mitarbeiter des kommunalen Ordnungsdienstes hinzugezogen werden mussten, „gelegentlich musste dies zumindest angedeutet werden, wenn sich jemand, auch nach mehrmaliger Aufforderung, weigerte zu gehen, weil Unterlagen fehlten.“Ein Kunde habe mal aufs Ausstellen eines Ausweises bestanden, obwohl er kein Foto hatte. Häufiger Streitpunkt sei auch, dass die vorgeschriebene Wohnungsgeber-Bescheinigung bei der Anmeldung nicht vollständig ausgefüllt ist und deshalb die Anmeldung nicht durchgeführt werden kann.“Das Gefühl, dass Notfälle vorgetäuscht werden, um schneller an die Reihe zu kommen, „haben auch die Kolleginnen und Kollegen bei unserem Bürgerservice“.
Stadtoberamtsrat Christian Jung schildert, dass im Bürgeramt nicht nur keine Zunahme der Aggressionen zu verzeichnen sei: „Es zeigte sich sogar, dass die Bürgerinnen und Bürger mit der Praxis der Terminvereinbarung sehr zufrieden waren, denn hierdurch ließen sich die Wartezeiten im Rathaus minimieren.“Das telefonische Vorab-Klären der benötigte Unterlagen beschleunige den Arbeitsablauf.
Fachbereichsleiter Thomas Dincher teilte mit, dass ein Anstieg echter Aggression nicht festgestellt werden könne, „es fällt jedoch bei manchem Bürger eine leichte Gereiztheit, beziehungsweise Dünnhäutigkeit aufgrund der durch Corona ‚erschwerten Bedingungen’ auf, zum Beispiel Anmeldung an der Zentrale, Mundschutz etc.“. Aber in der Regel hätten die Kunden, wie im Vorfeld mit ihnen besprochen, alle notwendigen Unterlagen dabei.
„Vorgetäuschte Notfälle“, also der Versuch, sich vorzudrängeln, „konnten in der Anfangszeit von Corona – März/April – festgestellt werden. Am Telefon wurde Dringlichkeit vorgetäuscht und im anschließenden Gespräch vor Ort ergab sich dann ein anderes Bild. In letzter Zeit ist das nicht mehr vorgekommen.“
Eine größere Dünnhäutigkeit ist nach der Wiedereröffnung im Bürgerbüro nicht aufgefallen. „Dass Kunden zurückgeschickt werden müssen, weil sie nicht alle Unterlagen dabei haben, ist eher rückläufig“, als Grund dafür wird vermutet: „Viele Kunden versuchen in der aktuellen Zeit vorab telefonisch einen Termin für ihr Anliegen zu vereinbaren“, wobei sie dann Infos zu den Unterlagen erhalten.
„Grundsätzlich hält sich die Auffälligkeit der Bürger in gesunden Grenzen“, heißt es von Christine Keßler aus dem Bürgermeisterbüro. Es gebe nur mit einer gewissen Regelmäßigkeit einzelne Bürger, oft bereits im Rentenalter, „die sich schwer damit tun, eine Terminvergabe zu akzeptieren. Gelegentlich wird der Ton schroff, und die Bürger möchten sich hin und wieder auch beim Bürgermeister beschweren, weil sie eine Terminvergabe für kurze Dienstleistungen für nicht angemessen halten.“Insgesamt gebe es einerseits sowohl viele Bürger, die sich positiv zu einer Terminvergabe äußern, andererseits aber auch viele, „die es kritisieren und gern eine für sie akzeptable Begründung hätten.“Wirklich „grenzwertige Situationen“habe es aber bisher nie gegeben.
Fachbereichsleiter Bernd Bläs ist aus dem Bürgeramt kein Fall spezieller Aggressivität bekannt, zwar würden sich Kunden gelegentlich über die durch die Hygienemaßnahmen bedingten verlängerten Wartezeiten beschweren, „allerdings kommt das eher selten vor“. Natürlich vergesse „der ein oder andere Kunde schon einmal etwas“, solche Einzelfälle habe es auch vor Corona gegeben. In seltenen Fällen müsse ein Kunde auch mal wieder zurückgeschickt werden. Bläs: „Die Wartezeiten sind nicht immer angenehm, aber vor dem Hintergrund der immer noch besonderen Situation akzeptabel.“Zudem habe es sich günstig ausgewirkt, „dass wir auch während des so genannten Shut-Downs geöffnet hatten“, wer wirklich etwas brauchte, sei auch ohne Terminabsprache bedient worden, „deshalb sind über diesen Zeitraum keine größeren Bearbeitungsrückstände entstanden.“
Hauptamtsleiter Eduard Rupp schildert, dass dass es hier keine extremen Fälle gegeben habe. Im Zuge von Corona könnten zwar nicht alle Terminwünsche erfüllt werden, doch „sehr oft genügt das Zuhören und ein konstruktiver Vorschlag, damit die Situation nicht eskaliert“. Nur sehr selten müssten Kunden wegen fehlender Unterlagen zurückgeschickt werden. Durch die vorherige Terminvereinbarung und Klärung der mitzubringenden Unterlagen habe sich die Situation im „Wartebereich“sogar verbessert. Auch das Einrichten der Servicestelle, wo vorab Termine, Zuständigkeit und Dringlichkeit geklärt werden können, habe sich positiv bemerkbar gemacht.
Das Aggressions-Problem gebe es hier im Bürgeramt in der Regel nicht, schildert Verwaltungs-Mitarbeiterin Ulrike Wenz. Dass im Zuge von Corona die Abläufe Umgestellt und Termine vergeben werden, führe zu deutlich geringeren Wartezeiten „und stößt auf positive Resonanz bei den Bürgern“. Sie ergänzt: „Verärgerte, beziehungsweise sensible Bürger gibt es auch in Quierschied hin und wieder, allerdings aus verschiedensten Beweggründen und losgelöst von der aktuellen Corona-Pandemie.“Für die Passbild-Problematik sei schon vor einigen Jahren Vorsorge getroffen und ein Fotoautomat installiert worden, so dass Kunden noch schnell ein biometrisches Foto machen können; „wegen ungeeigneter Passbilder muss daher niemand weggeschickt werden“.