Saarbruecker Zeitung

Ausraster in Bürgerämte­rn

In Corona-Zeiten sind offenbar ein paar Menschen dünnhäutig­er geworden, die Mehrheit bleibt aber freundlich.

- VON MARCO REUTHER Produktion dieser Seite: Marco Reuther Martin Rolshausen

Polizeiein­satz im Völklinger Rathaus. Ist es ein Einbruch? Gar ein Überfall? – Nein, es ist ein Passbild. Beim Beantragen eines Passes bestand ein Kunde darauf, dass statt eines biometrisc­hen Passbildes – seit 14 Jahren bundesweit Pflicht – ein Ausschnitt aus einem Familienfo­to genommen werden solle. Argumente halfen nicht, er geriet derart in Rage, dass Verwaltung­smitarbeit­er schließlic­h die Polizei riefen. Sind die Bürger, wegen Corona, Lockdown und mitunter längerer Wartezeite­n dünnhäutig­er geworden? Liegen Kunden-Nerven in Bürgerämte­rn schneller blank als „vor Corona“? Wir baten in den zehn Regionalve­rbands-Kommunen um Stellungna­hmen. Aus den Antworten wird klar: Überall treten die allermeist­en Kunden normal oder sogar freundlich auf. Was jedoch die „Ausreißer“betrifft, da gibt es Unterschie­de.

Oberbürger­meisterin Christiane Blatt betont, dass Menschen mit aggressive­m Verhalten Einzelfäll­e sind, die allerdings zugenommen hätten. („Wir haben nicht umsonst einen Sicherheit­sdienst.“) Dass auch mal die Polizei gerufen wird, sei selten, aber kein Einzellfal­l. Auch dass sich erwachsene Menschen in ihrem Zorn auf den Boden werfen, sei schon vorgekomme­n. Leider komme es auch vor, dass Bürger, denen bei ihrer telefonisc­hen Anmeldung erklärt wird, was sie etwa für das Beantragen eines Passes mitbringen müssen, dann doch nicht alles dabei haben, und dass manche dann ungehalten werden, wenn sie nochmals kommen sollen.

Meistens gebe es „keine Probleme“, so Michaela Kakuk von der Stadtpress­estelle. Jedoch: „Vor dem Hintergrun­d der Corona-Pandemie, die uns alle vor große Herausford­erungen stellt, ist dennoch auch bei uns eine Zunahme der Aggressivi­tät gegenüber unseren Kolleginne­n und Kollegen festzustel­len. Das betrifft vor allem die Publikumsä­mter und den Außendiens­t.“Es seien zwar Einzelfäll­e, „die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r berichten aber durchaus von einer gereiztere­n Stimmung beim Publikum und leider auch von Übergriffe­n.“Regelmäßig gebe es Mitarbeite­r-Schulungen, um auf Konfliktsi­tuationen vorzuberei­ten. Aktuell erstelle eine Arbeitsgru­ppe ein Handlungsk­onzept zum Problem „Gewalt gegen Beschäftig­te“.

Hilfreich seien die Schnellsch­alter für einfache Angelegenh­eiten wie Meldebesch­einigungen oder Führungsze­ugnisse. „Notfälle“würden vorab geprüft und, wenn berechtigt, ein zeitnaher Termin ermöglicht, „was beispielsw­eise im Bereich der Zulassunge­n häufiger vorkommt.“

Pressespre­cher Elmar Müller schildert: „Auch bei uns haben Kolleginne­n und Kollegen vom Bürgerserv­ice festgestel­lt, dass Aggressivi­tät und Dünnhäutig­keit von Kunden zugenommen haben. Von einem Teil der Bürger wird die Möglichkei­t der Terminvere­inbarung sehr begrüßt, andere sind jedoch erbost und äußern dies entspreche­nd.“Es gab Fälle, in denen Mitarbeite­r des kommunalen Ordnungsdi­enstes hinzugezog­en werden mussten, „gelegentli­ch musste dies zumindest angedeutet werden, wenn sich jemand, auch nach mehrmalige­r Aufforderu­ng, weigerte zu gehen, weil Unterlagen fehlten.“Ein Kunde habe mal aufs Ausstellen eines Ausweises bestanden, obwohl er kein Foto hatte. Häufiger Streitpunk­t sei auch, dass die vorgeschri­ebene Wohnungsge­ber-Bescheinig­ung bei der Anmeldung nicht vollständi­g ausgefüllt ist und deshalb die Anmeldung nicht durchgefüh­rt werden kann.“Das Gefühl, dass Notfälle vorgetäusc­ht werden, um schneller an die Reihe zu kommen, „haben auch die Kolleginne­n und Kollegen bei unserem Bürgerserv­ice“.

Stadtobera­mtsrat Christian Jung schildert, dass im Bürgeramt nicht nur keine Zunahme der Aggression­en zu verzeichne­n sei: „Es zeigte sich sogar, dass die Bürgerinne­n und Bürger mit der Praxis der Terminvere­inbarung sehr zufrieden waren, denn hierdurch ließen sich die Wartezeite­n im Rathaus minimieren.“Das telefonisc­he Vorab-Klären der benötigte Unterlagen beschleuni­ge den Arbeitsabl­auf.

Fachbereic­hsleiter Thomas Dincher teilte mit, dass ein Anstieg echter Aggression nicht festgestel­lt werden könne, „es fällt jedoch bei manchem Bürger eine leichte Gereizthei­t, beziehungs­weise Dünnhäutig­keit aufgrund der durch Corona ‚erschwerte­n Bedingunge­n’ auf, zum Beispiel Anmeldung an der Zentrale, Mundschutz etc.“. Aber in der Regel hätten die Kunden, wie im Vorfeld mit ihnen besprochen, alle notwendige­n Unterlagen dabei.

„Vorgetäusc­hte Notfälle“, also der Versuch, sich vorzudräng­eln, „konnten in der Anfangszei­t von Corona – März/April – festgestel­lt werden. Am Telefon wurde Dringlichk­eit vorgetäusc­ht und im anschließe­nden Gespräch vor Ort ergab sich dann ein anderes Bild. In letzter Zeit ist das nicht mehr vorgekomme­n.“

Eine größere Dünnhäutig­keit ist nach der Wiedereröf­fnung im Bürgerbüro nicht aufgefalle­n. „Dass Kunden zurückgesc­hickt werden müssen, weil sie nicht alle Unterlagen dabei haben, ist eher rückläufig“, als Grund dafür wird vermutet: „Viele Kunden versuchen in der aktuellen Zeit vorab telefonisc­h einen Termin für ihr Anliegen zu vereinbare­n“, wobei sie dann Infos zu den Unterlagen erhalten.

„Grundsätzl­ich hält sich die Auffälligk­eit der Bürger in gesunden Grenzen“, heißt es von Christine Keßler aus dem Bürgermeis­terbüro. Es gebe nur mit einer gewissen Regelmäßig­keit einzelne Bürger, oft bereits im Rentenalte­r, „die sich schwer damit tun, eine Terminverg­abe zu akzeptiere­n. Gelegentli­ch wird der Ton schroff, und die Bürger möchten sich hin und wieder auch beim Bürgermeis­ter beschweren, weil sie eine Terminverg­abe für kurze Dienstleis­tungen für nicht angemessen halten.“Insgesamt gebe es einerseits sowohl viele Bürger, die sich positiv zu einer Terminverg­abe äußern, anderersei­ts aber auch viele, „die es kritisiere­n und gern eine für sie akzeptable Begründung hätten.“Wirklich „grenzwerti­ge Situatione­n“habe es aber bisher nie gegeben.

Fachbereic­hsleiter Bernd Bläs ist aus dem Bürgeramt kein Fall spezieller Aggressivi­tät bekannt, zwar würden sich Kunden gelegentli­ch über die durch die Hygienemaß­nahmen bedingten verlängert­en Wartezeite­n beschweren, „allerdings kommt das eher selten vor“. Natürlich vergesse „der ein oder andere Kunde schon einmal etwas“, solche Einzelfäll­e habe es auch vor Corona gegeben. In seltenen Fällen müsse ein Kunde auch mal wieder zurückgesc­hickt werden. Bläs: „Die Wartezeite­n sind nicht immer angenehm, aber vor dem Hintergrun­d der immer noch besonderen Situation akzeptabel.“Zudem habe es sich günstig ausgewirkt, „dass wir auch während des so genannten Shut-Downs geöffnet hatten“, wer wirklich etwas brauchte, sei auch ohne Terminabsp­rache bedient worden, „deshalb sind über diesen Zeitraum keine größeren Bearbeitun­gsrückstän­de entstanden.“

Hauptamtsl­eiter Eduard Rupp schildert, dass dass es hier keine extremen Fälle gegeben habe. Im Zuge von Corona könnten zwar nicht alle Terminwüns­che erfüllt werden, doch „sehr oft genügt das Zuhören und ein konstrukti­ver Vorschlag, damit die Situation nicht eskaliert“. Nur sehr selten müssten Kunden wegen fehlender Unterlagen zurückgesc­hickt werden. Durch die vorherige Terminvere­inbarung und Klärung der mitzubring­enden Unterlagen habe sich die Situation im „Warteberei­ch“sogar verbessert. Auch das Einrichten der Serviceste­lle, wo vorab Termine, Zuständigk­eit und Dringlichk­eit geklärt werden können, habe sich positiv bemerkbar gemacht.

Das Aggression­s-Problem gebe es hier im Bürgeramt in der Regel nicht, schildert Verwaltung­s-Mitarbeite­rin Ulrike Wenz. Dass im Zuge von Corona die Abläufe Umgestellt und Termine vergeben werden, führe zu deutlich geringeren Wartezeite­n „und stößt auf positive Resonanz bei den Bürgern“. Sie ergänzt: „Verärgerte, beziehungs­weise sensible Bürger gibt es auch in Quierschie­d hin und wieder, allerdings aus verschiede­nsten Beweggründ­en und losgelöst von der aktuellen Corona-Pandemie.“Für die Passbild-Problemati­k sei schon vor einigen Jahren Vorsorge getroffen und ein Fotoautoma­t installier­t worden, so dass Kunden noch schnell ein biometrisc­hes Foto machen können; „wegen ungeeignet­er Passbilder muss daher niemand weggeschic­kt werden“.

 ?? AARON AMAT/FOTOLIA ?? Ein Wutbürger „im Einsatz“. Es ist nicht gerade an der Tagesordnu­ng, und die meisten Kunden benehmen sich normal bis freundlich, doch ein paar Bürgerbüro­s im Regionalve­rband spüren einen Anstieg der Agressivit­ät.
AARON AMAT/FOTOLIA Ein Wutbürger „im Einsatz“. Es ist nicht gerade an der Tagesordnu­ng, und die meisten Kunden benehmen sich normal bis freundlich, doch ein paar Bürgerbüro­s im Regionalve­rband spüren einen Anstieg der Agressivit­ät.

Newspapers in German

Newspapers from Germany