„Frau Merkel hat allen eine Lektion erteilt“
Fotoausstellung in Metz zeigt die humanitäre Arbeit von „Ärzten ohne Grenzen“und von deren Mitbegründer Bernard Kouchner.
Vor rund 50 Jahren gründete Bernard Kouchner (80) mit anderen französischen Ärzten die Hilfsorganisationen „Médecins sans frontières“(„Ärzte ohne Grenzen“) und danach „Médecins du monde“(„Ärzte der Welt“), die im Einsatz war, um in Krisengebieten Menschen mit medizinischer Nothilfe zu versorgen. Später startete Kouchner eine politische Karriere und wurde unter anderem Gesundheitsminister, Außenminister und EU-Abgeordneter. In Metz widmet sich eine Fotoausstellung der Arbeit der sogenannten „French Doctors“, die als
Pioniere für humanitäre Aktionen gelten. Im
Vorfeld der Ausstellungseröffnung hat die SZ mit Kouchner gesprochen.
Herr Kouchner, die Ausstellung, die Sie heute in Metz eröffnen, zeigt Aufnahmen, die während humanitärer Einsätze entstanden sind. Denken Sie, dass die Fotografie ein gutes Medium ist, um diese Arbeit darzustellen?
KOUCHNER Ja, absolut. Gute Fotografen wie José Nicolas, dessen Fotos in dieser Ausstellung gezeigt werden, haben ein Gespür für den perfekten Moment und wissen, wie man Blicke,
Ausdrücke und Emotionen am besten authentisch einfängt.
Vor einigen Wochen wurden Mitarbeiter einer französischen Hilfsorganisation im Niger ermordet. Immer wieder werden Helfer auch entführt. Gibt es Ihrer Meinung nach Orte in der Welt, die so gefährlich sind, dass gar keine Hilfsorganisation dort tätig sein kann?
KOUCHNER Leider wird diese wichtige Arbeit in vielen Teilen der Welt erschwert. Es gibt jetzt schon Orte, wo sie kaum möglich ist – wie zum Beispiel Afrin in Syrien. Das gilt generell in allen Zonen, wo Kurden leben und die von der türkischen Armee besetzt werden. Und natürlich in Afrika, in Ländern, in denen der islamistische Terrorismus und Gruppen wie zum Beispiel Boko Haram wüten.
Denken Sie, dass sich die Arbeitsbedingungen der „French Doctors“verschlechtert haben? Oder haben Sie ähnliche Bedrohungen erlebt, als Sie mit „Ärzte ohne Grenzen“im Einsatz waren?
KOUCHNER Es ist schwer, Gefahrsituationen zu quantifizieren oder gegenüberzustellen. Natürlich gab es auch in den 1980er Jahren in Afrika gefährliche Situationen, mit denen wir bei unserer Arbeit konfrontiert waren. Wo Hilfsorganisationen gebraucht werden, ist immer gefährliches Terrain.
Sie waren nicht nur Arzt, sondern sind ein erfahrener Politiker. Sie saßen auch im Europäischen Parlament. Was denken Sie, wenn Sie die heutige Situation betrachten und sehen, dass die EU-Staaten nicht in der Lage sind, in der Flüchlingspolitik am einem Strang zu ziehen?
KOUCHNER Es gibt zwar kleine Fortschritte, zum Beispiel durch eine deutsch-französische Initiative, um Flüchtlinge aufzunehmen, aber es geht nicht weit genug. Natürlich ist es auch unter den aktuellen Bedingungen für die EU-Länder nicht leicht. Wegen der Covid-Pandemie und der Angst um einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit ist die Stimmung sehr angespannt. Aber es kann nicht sein, dass Länder wie Griechenland oder Italien in der Frage der Flüchtlingspolitik alleine gelassen werden. Die fehlende gemeinsame Antwort aus Europa ist schockierend. Es ist unsere Pflicht als Europäer eine gemeinsame Antwort auf diese Krise zu finden. In den Herkunftsländern, aber auch auf den Fluchtwegen, zum Beispiel im Mittelmeer, muss diesen
Menschen geholfen werden. In dieser Hinsicht ist Deutschland meiner Meinung nach ein Vorbild. 2015 hat uns Frau Merkel allen eine Lektion in Sachen Menschlichkeit und Solidarität erteilt.