Die Olympiade der E-Sportler
Beim Turnier „ESL ONE 2020“kämpfen 16 Mannschaften aus Europa um den Titel – und um 400 000 Dollar Preisgeld.
Elektronischer Sport liegt im Trend: Beispielsweise haben der FC Schalke 04, Hertha BSC Berlin und der VfL Wolfsburg eigene Abteilungen für Wettkämpfe in Videospielen. Und wie auf dem „richtigen“Sportplatz gibt es auch in der E-Sport-Arena eine Menge Geld zu verdienen. Zum Beispiel beim Turnier „ESL ONE 2020 Deutschland“. Hier geht es um insgesamt 400 000 Dollar (338 386 Euro) Preisgeld, der besten Mannschaft winken 150 000 Dollar. Den Start der Veranstaltung sahen bis zu 50 000 Menschen am Bildschirm.
Gespielt wird das Online-Strategiespiel Dota 2. Darin treten zwei Teams á fünf Spieler mit ihren Figuren in einer Arena gegeneinander an. Ziel des Spiels ist es, die gegnerische Basis zu zerstören. Die rautenförmige Arena ist geteilt, eine Hälfte für jedes Team. An den Enden der Raute sind die Basen der Mannschaften. Auf den Wegen sind Vorposten der Basis, die es zunächst zu überwinden gilt. Den Raum dazwischen können die Spieler für Angriffe nutzen. Eine Runde Dota 2 dauert zwischen 40 und 60 Minuten.
Wegen der Corona-Pandemie wird das Turnier komplett online ausgetragen. Tausende Menschen haben sich bereits die Qualifikationsspiele angeschaut. Denn das gesamte Ereignis wird live im Internet übertragen. Das Turnier dauert insgesamt einen Monat.
Mit einem der Favoriten, dem „Team Liquid“, nimmt Max Bröcker (24) aus Stuttgart am Event teil. Die ersten beiden Spiele in der Gruppenphase haben sie gewonnen. Ernsthaft angefangen zu spielen hat Bröcker 2012, als er 16 Jahre alt war, immer im Anschluss an die Schule. Bald wurde er so gut, dass er sein erstes Gehalt bekam, 300 Euro im Monat. „Meine Eltern waren anfangs skeptisch, dass ich so viel gespielt habe“, erzählt er. Er sei ein guter Schüler am Gymnasium gewesen, habe einen Schnitt von 1,2 gehabt. Der sei dann etwas abgerutscht. „Aber als meine Eltern gesehen haben, dass ich wirklich etwas mit Spielen verdienen kann, akzeptierten sie es“, sagt Bröcker. Schon damals wollte er Profi werden und ist heute sehr erfolgreich.
Die Electronic Sports League (ESL) wurde 2000 gegründet und ist die älteste Liga im E-Sport. Sie betreibt nationale Ligen wie der deutschen ESL Meisterschaft und veranstaltet auch große Turniere. Bei der ESL ONE Germany sollen Wettkämpfe etwa sechs bis neun Stunden pro Spieltag live im Internet übertragen werden, wie die ESL mitteilt. Bröcker trainiert acht bis zehn Stunden pro Tag Dota 2. Vier Wochen vor einem Turnier sind es zwölf bis 14 Stunden. „Es gibt auch Spieler, die nur drei Stunden trainieren“, sagt er, „aber ich will besser werden und alles über das Spiel wissen.“
Vorbereitet auf das Event haben er und seine vier Mitspieler sich in ihrem Trainingszentrum in Utrecht in den Niederlanden. Dort wurde sein „Team Liquid“, im Jahr 2000 gegründet. Hier wird nicht nur Dota gespielt, sondern auch das Sportspiel Rocket League oder das Schießspiel Counter-Strike. Das ist üblich bei den professionellen Vereinen im E-Sport. Die Spieler sind allerdings jeweils auf ein Videospiel spezialisiert.
E-Sport ist international: Bröckers Teamkollegen stammen aus Schweden und Norwegen. Im gesamten Verein sind Spieler aus der ganzen Welt, von Polen bis Südkorea. „Die Komplexität ist einzigartig. Jede neue Runde ist anders“, erklärt Bröcker seine Liebe zum Spiel. Er und seine Mitspieler haben einen hohen Anspruch: „Top 3 ist das Minimum“, sagt er, das harte Training solle sich auszahlen. Im Weg ist vor allem „Team Secret“. Seit einigen Monaten sind diese Spieler ungeschlagen. Lediglich einmal konnten Bröcker und sein Team sie besiegen. Bröcker schätzt, seine Mannschaft hätte gute Chancen, „wenn sie jetzt überheblich werden und wir uns nicht ablenken lassen.“
Ein Trainer und ein Analyst unterstützen
Max Bröcker die fünf Spieler der Mannschaft. Der Trainer sei mehr für das Zwischenmenschliche verantwortlich, erklärt Bröcker. Er sorge dafür, dass sich die Wogen wieder glätten, wenn es Unmut nach einer Niederlage gibt und dass der richtige Teamgeist besteht. Das sei sehr wichtig für das Zusammenspiel, betont der E-Sportler. Seine Mitspieler und er seien gut befreundet, auch weil sie seit drei Jahren zusammenspielen. Er habe aber auch bei Mannschaften gespielt, bei denen sich die Mitspieler nach dem Training zurückgezogen haben und die Atmosphäre sehr professionell gewesen sei.
Professionell ist auch die Taktikbesprechung. Der Analyst der Mannschaft untersucht das Spiel der Gegner auf Muster und Auffälligkeiten in der Vorgehensweise. Das präsentiert er den E-Sportlern und erarbeitet Gegentaktiken.
Das Turnier dauert fast einen Monat. Das ist ungewöhnlich lang. Die Liga wollte das Turnierformat ändern. Bei den in der Corona-Zeit häufigen Begegnungen seien immer wieder die diesselben Teams zusammengetroffen. Das sei den Fans langweilig geworden.
Stundenlang vorm Rechner sitzen und hochkonzentriert spielen, das sei anstrengend, erklärt Bröcker. Es gebe immer mal wieder Phasen, wo er sich denke: „Jetzt muss ich wieder 14 Stunden hocken und trainieren.“Doch jedes Ding im Leben habe nun einmal seine Licht-und Schattenseiten. Und alles in allem, sagt sich der junge Computerspieler, sei dieser Job am PC eben doch besser als ein Acht-Stunden-Tag im Büro.. Um den körperlichen und mentalen Anstrengungen entgegenzuwirken, gehe er drei- bis viermal die Woche ins Fitnessstudio, erzählt er. „Außerdem spielen wir viel Tischtennis hier und versuchen uns körperlich zu betätigen.“Deswegen habe er auch keine Rückenschmerzen.
Das Turnier findet komplett online statt. Die Spieler sitzen bei ihren Vereinen. Es treten 16 Mannschaften aus Europa und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) an, zu der osteuropäische, zentralasiatische Staaten und Russland zählen. Elf wurden eingeladen, die anderen absolvierten ein Qualifikationsturnier. Das Schweizer Turniersystem, durch Schachturniere bekannt, wird hier angewandt: Wer drei von fünf Spielen gewinnt, kommt weiter in die Finalphase. Hier wird kein klassisches K.O.-System gespielt, ein Team muss zwei aus drei Spielen gewinnen um ins
Halbfinale und Finale zu gelangen. Das Finale besteht wiederum aus fünf Runden. Insgesamt werden zwischen 39 und 63 Runden gespielt.
Bröckers Karriere ist gerade auf einem Höhepunkt. Er plant, noch mindestens fünf weitere Jahre professionell zu spielen. Wahrscheinlicher seien eher zehn Jahre, sagt er. Erfahrung mit anderen Berufen hat er wenig. Nach der Zeit im E-Sport würde ihm ein Bürojob vermutlich schwerfallen, lacht er. Er hat in den vergangenen Jahren viel gesehen. 80 Flüge hat er 2018 und 2019 im Rahmen seiner Arbeit gemacht. Trotzdem hat er Pläne für die Zeit nach seiner Karriere: „Ich würde Psychologie oder Wohndesign studieren, das interessiert mich sehr.“Jetzt will er jedoch vor allem das Turnier gewinnen. Am Sonntag spielt Bröcker mit seinem Team Liquid erneut. live.esl-one.com
„Die Komplexität ist einzigartig. Jede neue
Runde ist anders.“
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