Saarbruecker Zeitung

Mia schlichtet den Streit der Blumen

An einem schönen Herbsttag schickt die Mutter Mia nach draußen. Dort trifft das Mädchen drei Blumen.

- VON ELKE BRÄUNLING

„Geh doch mal an die frische Luft!“, sagte Mama zu Mia. „Die Hausaufgab­en können warten. Den ganzen Tag in der Stube zu sitzen, tut nicht gut.“

„Draußen ist es kalt und nass und nebelig“, maulte Mia.

Mama lachte. „Sieh mal aus dem Fenster, kleine Stubenhock­erin! Die Sonne hat den Nebel vertrieben. Sie macht den Tag golden.“Sie ging zum Fenster und öffnete es. „Golden?“, fragte Mia und dachte an eine Schatulle voller Goldschmuc­k. „Das will ich sehen.“Sie schlüpfte in ihren goldgelben Pullover, der zu einem goldenen Oktober passte, und stolzierte in den Garten.

Mama hatte Recht. Es war nicht mehr kalt und nicht mehr nass und die Sonnenstra­hlen ließen die gelben, roten und braunen Blätter an Bäumen und Büschen funkeln. „Wie Juwelen sehen sie aus!“, freute sich Mia. „So gefällt er mir, der Oktober.“

Sie setzte sich ins Gras und hielt ihr Gesicht in die Sonne. Wie gut das tat! Man konnte meinen, es sei Frühling oder Sommer. In einen T-Shirt-Tag hatte sich der neblige Tag verwandelt. Es dauerte nicht lange, und Mia zog den Pullover aus. „Sommer im Oktober! Das ist toll“, rief Mia ihrer Katze Mimi zu, die auf der Gartenmaue­r lag und schlief.

„Und Frühling! Hörst du? Auch den Frühling sollst du nicht vergessen“, sagte ein Stimmchen. Mia stutzte. Wer hatte da gesprochen? Es war der Löwenzahn, der am Rand der Wiese neben einer Kapuzinerk­resse und einer Herbstaste­r blühte. Ein Löwenzahn im Oktober? Seit wann konnten Blumen sprechen?

„An goldenen Tagen können die Menschen manchmal unsere Sprache verstehen“, erklärte der Löwenzahn, als ob er Mias Gedanken lesen konnte. Mia beschloss, sich über nichts mehr zu wundern. „Du bist eine Frühlingsb­lume“, sagte sie deshalb nur. „Genau.“Die Löwenzahnb­lüte kicherte. „Niemand erwartet, mich heute hier zu finden. Na, wie bin ich?“

„Toll bist du“, sagte Mia. „Eine Wunderblum­e bist du. Eine Herbstfrüh­lingsblume oder ein Frühling-Herbstblu…“

„Halt!“, rief die Kapuzinerk­resse dazwischen. „Wie kannst du mich übersehen? Ich bin auch da und ich bin ein Blütenkind des Sommers.“

„Ich auch!“, warf der Löwenzahn ein. „Nicht mehr lange!“, kichert die Chrysanthe­me dazwischen. „Nun ist meine Zeit gekommen. Mein Chef, der Herbst, wird kurzen Prozess mit euch machen. Ihr habt hier nichts mehr zu suchen, ihr Angeber, ihr!“

„Wie gemein du doch bist!“, erregte sich der Löwenzahn. „Dumme Nuss!“, maulte die Sommerkres­se.

„Hahaha!“, lachte die Chrysanthe­me. Sie klang sehr überheblic­h. „Hey, macht mal halblang!“, rief Mia, die Streiterei­en nicht leiden konnte. „Seid friedlich! Die Sonne scheint und es ist toll warm. Mir gefällt er, dieser goldene Tag, der ein Frühling-Sommer-Herbst-Tag ist.“

Da schwiegen die drei Blümchen. Es gab auch nichts mehr zu sagen. Und gemeinsam reckten sie ihre Gesichter der goldenen Oktoberson­ne zu, der Frühlingsl­öwenzahn, die Sommerkres­se, die Herbstchry­santheme und Stubenhock­er-Mia, und genossen die kleine Atempause.

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