Dieses Bier braut ein Computer
Softwareentwickler der Hochschule Luzern in der Schweiz haben eine Software kreiert, die Bierrezepte entwerfen kann. Das Schweizer Brauexperiment führte zu einem schmackhaften Bier mit dem Namen „Deeper“.
Deutschland rühmt sich, die Heimat des Bieres zu sein. Und tatsächlich liegt das Land nach einer Statistik des deutschen Verbandes der Bierbrauer in Europa mit einem Produktionsvolumen von 92 Millionen Hektolitern einsam an der Spitze. Die Zweitplatzierten in dieser Statistik, Großbritannien und Polen, erreichen noch nicht einmal gemeinsam dieses Volumen. Und jetzt überraschen ausgerechnet Informatiker aus dem bierbrautechnischen Zwergstaat Schweiz – das Land liegt mit 3,7 Millionen Hektolitern auf Rang 19 in dieser Tabelle – die Großen der Branche mit einer Innovation. Wissenschaftler der Hochschule Luzern haben mit einer Softwarefirma ein Computerprogramm entwickelt, das Rezepte für Bier kreieren kann. Es gehört zur Kategorie Künstliche Intelligenz (KI).
Marc Bravin von der Hochschule Luzern hat gemeinsam mit Kevin Kuhn von der Schweizer Softwarefirma Jaywalker Digital das Experiment angestoßen. Geholfen hat ihnen dabei die Brauerei MN Brew aus Rothenburg bei Luzern. Dort hat der Bierbrauer Adrian Minnig die ersten Rezepte des Brauprogramms der Hochschule unter die Lupe genommen. Eines davon habe bei den Bierspezialisten direkt für Furore gesorgt, erklärt Kevin Kuhn. Das KI-Programm habe ein Rezept für ein helles, fruchtig-bitteres Bier mit einer Zitrusnote und besonderem Hopfen-Aroma errechnet, das nun auf den Namen Deeper getauft wurde. Die Brauexperten bezeichnen es als „Indian Pale Ale“.
Kern eines jeden KI-Programms ist ein sogenanntes neuronales Netzwerk, das wie das menschliche Gehirn aus Neuronen, den Nervenzellen, und Synapsen, ihren Verbindungen, aufgebaut ist. Ein Programm der Künstlichen Intelligenz startet allerdings niemals vom
Nullpunkt aus in eine Anwendung. Es muss, und da unterscheidet es sich nicht von einem Menschen, zunächst einmal in die Schule gehen. Und es lernt am Anfang durch Nachahmung und später durch die Anpassung dieses gelernten Wissens. Diese Informationen stammen von menschlichen Bierbrauern. Sogenannte neuronale Netze lernen ähnlich wie ein Kind. Die Aufgabe des Programms ist es in der Trainingsphase, im Input nach Mustern zu suchen, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem wohlschmeckenden Rezept führen werden. Dafür braucht es in tausenden Beispielen gewonnene Erfahrungen.
Von einem menschlichen Schüler unterscheidet sich ein KI-Programm allerdings durch sein praktisch grenzenloses Lernvermögen. Ein solches Programm kann rund um die Uhr sieben Tage in der Woche üben.
Marc Bravin hat für das Brauprogramm an der Luzerner Hochschule knapp 160 000 Bier-Rezepte in die Datenspeicher der Software geladen. Ein neuronales Netzwerk kann in solch riesigen Datensammlungen Muster erkennen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu wohlschmeckenden Resultaten führen werden. Später soll es auf dieser Basis Rezepte für neue Biere erzeugen. „Man kann sich das so vorstellen: Das neuronale Netzwerk lernt, Rezepte zu vervollständigen. Ich gebe zum Beispiel die erste Hopfenart vor und das Netz muss dann lernen, welche anderen Arten und Zutaten es noch braucht“, erläutert Bravin. Der Rest ist dann ein fortlaufender Trainingsprozess. Macht das Programm etwas falsch, werden die Verschaltungen in seinem neuronales Netz vom Programmierer neu ausbalanciert.
Um Bierrezepte per Computer zu kreieren, muss der Anwender nach diesem Training zunächst die Biersorte auswählen, die er brauen möchte. Dann beginnt das Programm
zu rechnen: Es kann dafür aus 315 Sorten Malz auswählen. Danach folgt als nächste Zutat der Hopfen, dafür stehen 1648 Sorten in den Datenbanken zur Verfügung. Im dritten Schritt entscheidet die KI über die Steuerung des Brauprozesses, der über Würze und das Aroma des Biers entscheidet. Mit all diesen grundlegenden Daten gelangt das Programm zu einer Entscheidung über zusätzliche Zutaten. Im letzten Schritt erstellt es einen Namen für ihre Kreation. Dann ist das Rezept fertig.
Einen menschlichen Brauer ersetzen könne die KI allerdings bisher nicht, sagen die Schweizer Computerspezialisten. Die Software sei noch nicht ausgegoren – es gebe zu viele Faktoren im Brauprozess, welche ein Computerprogramm in seinen Kalkulationen noch nicht einbeziehen könne. Fürs Bierbrauen im großen Stil sei das Projekt außerdem niemals gedacht gewesen, erklärt Marc Bravin. „Wir wollten zeigen, was KI alles kann.“Das Computerbier bleibe deshalb erst einmal Zukunftsmusik. Allerdings haben die Schweizer Forscher davon schon einmal gekostet. Und geschmeckt hat den drei KI-Brauern das Ergebnis durchaus.
„Das Neuronale Netzwerk lernt, Rezepte zu vervollständigen.“Marc Bravin Hochschule Luzern