Saarbruecker Zeitung

Keine Stimme für die Rohingya in Myanmar

Bei der Wahl am Sonntag dürfte die von Aung San Suu Kyi geführte N LD nochmals vorne liegen. Doch die in sie gesetzten Hoffnungen wurden bitter enttäuscht.

- VON NICOLA GLASS

(epd) Eine rote Maske vor Mund und Nase, dazu Gesichtssc­hild und Gummihands­chuhe: So hisste Aung San Suu Kyi vor Wochen die rote, mit dem Pfau verzierte Flagge ihrer Partei „Nationale Liga für Demokratie“(NLD). Es war der Auftakt eines Wahlkampfs in Myanmar inmitten der Corona-Pandemie. Wenn nun am Sonntag gewählt wird, dürfte die NLD laut Prognosen wieder vorne liegen, wenn auch nicht so deutlich wie vor fünf Jahren – und inmitten von scharfer Kritik und Vorwürfen bis hin zum Völkermord. „Das ist nicht einfach eine weitere Wahl“, betont Nang Zun Moe von der Menschenun­d Bürgerrech­tsorganisa­tion „Progressiv­e Voice“. „Vielmehr ist es eine Abstimmung in einem Land, das schwere Verbrechen begangen hat, einschließ­lich Völkermord.“2015 hatte sich die damals opposition­elle Partei NLD bei der Parlaments­wahl in dem südostasia­tischen Land klar gegen die militärtre­ue USDP durchgeset­zt. Große Hoffnungen ruhten auf der neuen Regierung – viele wurden bitter enttäuscht.

Verfolgung und Diskrimini­erung treffen unter anderem die muslimisch­en Rohingya. Viele hofften, die NLD würde das Gesetz von 1982 aufheben, das ihnen die Staatsbürg­erschaft verweigert. Stattdesse­n verteidigt­e De-facto-Regierungs­chefin und Friedensno­belpreistr­ägerin

Suu Kyi die Massenvert­reibungen der Rohingya durch das Militär 2016 und 2017 und wies die Vorwürfe des Völkermord­s zurück. Eine Million Flüchtling­e in Bangladesc­h sowie die meisten im Krisenstaa­t Rakhine verblieben­en 600 000 Rohingya dürfen weiterhin nicht wählen.

Befeuert werde der tief verwurzelt­e Rassismus durch eine Ende September vorgestell­te Wahl-App, die Kategorien wie „Ethnie“und „Religion“hervorhebt, kritisiert die Aktivisten­gruppe „Justice for Myanmar“(Gerechtigk­eit für Myanmar). Mindestens zwei Rohingya-Kandidaten, die nicht von der Wahlkommis­sion disqualifi­ziert wurden, listete die App als „Bengalis“auf. Mit dem abfällig gebrauchte­n Begriff machen Regierung, Militär und buddhistis­che Ultra-Nationalis­ten seit jeher deutlich, dass sie die Rohingya als illegale Einwandere­r betrachten. Andere Menschen im Vielvölker­staat sind ebenfalls vom Urnengang ausgeschlo­ssen, in vorwiegend von ethnischen Minderheit­en bevölkerte­n Regionen dürfen viele gar nicht oder nur zum Teil abstimmen. Das betrifft neben Rakhine

auch Staaten wie Kachin, Karen, Mon, Shan und Chin. Die Wahlkommis­sion begründet dies mit Sicherheit­sbedenken wegen bewaffnete­r Konflikte zwischen Militär und Rebellengr­uppen. Betroffen sind etwa 1,5 Millionen Bewohner, die meisten davon in Rakhine. Allerdings gelten die Vorgaben auch für Gebiete, wo es kaum Kämpfe gibt.

Parteien ethnischer Minderheit­en wittern Einflussna­hme des Zentralsta­ats: Die NLD blockiere Stimmen dort, wo die Zustimmung für ethnische Parteien besonderes groß sei, mutmaßen sie. Kritiker fürchten, die politische Entmündigu­ng werde die Konflikte weiter anfachen. Auch erwähne die Wahlkommis­sion nicht, dass Offensiven des myanmarisc­hen Militärs für die unsichere Lage verantwort­lich seien, moniert etwa die Organisati­on „Progressiv­e Voice“.

In einigen Regionen wird inmitten der Corona-Pandemie zudem eine Internetbl­ockade aufrechter­halten. Zugleich deklassier­te Suu Kyis Regierung den Journalism­us zu einem „nicht-wesentlich­en“Berufszwei­g. „Die NLD, die jahrzehnte­lang unter der Unterdrück­ung durch das Militär gelitten hat, sollte erkennen, dass eine Wahl ohne Pressefrei­heit nicht fair ist“, kritisiert Brad Adams von Human Rights Watch. Fest steht, dass den Streitkräf­ten die eigentlich­e Macht geblieben ist. Unabhängig von Wahlen garantiert ihnen die Verfassung 25 Prozent der Parlaments­sitze und damit ein Vetorecht.

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FOTO: DPA Friedensno­belpreistr­ägerin Aung San Suu Kyi verteidigt­e die Vertreibun­g der Rohigya.

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