Funk-Chips sollen Saar-Schüler zum Abstandhalten mahnen
Spezielle Funk-Chips sollen Schüler ermahnen, Abstand zu halten. Die Technik kann auch Kontakte in den Klassen und auf Pausenhöfen registrieren. 3000 Kinder sollen bei diesem Test mitmachen.
(byl) Wissenschaftler der Universität des Saarlandes wollen noch dieses Jahr eine bundesweit einmalige Studie zur Untersuchung des Corona-Risikos an Schulen beginnen. Die Forschergruppe aus Saarbrücken und Homburg um den Pharmazie-Professor Thorsten Lehr plant, bis zu 3000 Schüler mit speziellen Computerchips auszustatten, die die Kinder mit Warnsignalen zum Abstandhalten animieren sollen und die außerdem aufzeichnen können, wer mit wem im Schulgebäude und auf dem Pausenhof in Kontakt stand.
Die dabei verwendeten Spezialchips, welche die Daten anonymisiert erfassen, können ihre Positionen auf dem Gelände auf 15 Zentimeter genau bestimmen. Die gesammelten Daten sind für Computermodelle bestimmt, mit denen die Ausbreitung des Virus vorhergesagt werden kann. Die Forscher der Saar-Uni wollen in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium neue Schutzkonzepte für Schulen in der Corona-Pandemie entwickeln.
Wissen
Die Zahl der Covid-19-Infektionen wächst wieder rasant. Doch auf welchen Wegen sich das Corona-Virus mit solchem Tempo verbreitet, ist unbekannt. Gäbe es auf diese Frage Antworten, könnte die Politik in der Pandemie zielgerichteter handeln, statt pauschal Bereiche des öffentlichen Lebens herunterzuregeln, in denen die Ansteckungsgefahr wahrscheinlich hoch ist. Wie hoch das Risiko tatsächlich ist? Dieser Frage gehen Forscher der Saar-Uni in Saarbrücken und Homburg mit Hilfe des saarländischen Bildungsministeriums in einem bundesweit einmaligen Großversuch nach. Sie haben einen Ort ausgewählt, an dem regelmäßig tausende Menschen zusammenkommen: die Schule.
Die Wissenschaftler um den Saarbrücker Pharmazie-Professor Thorsten Lehr wollen mehrere tausend Schüler und auch Lehrer auf ihren Wegen durch Flure, Klassenzimmer und Pausenhöfe virtuell begleiten, um das Corona-Risiko in Schulen zu analysieren. „Wir möchten das in möglichst vielen Klassenstufen untersuchen“, sagt Thorsten Lehr. Die Forscher der Saar-Uni wollen wissen, wie es die Schüler mit den Abstandsregeln halten, bei welchen Gelegenheiten Kinder auf dem Pausenhof Kontakt zu Schülern anderer Altersgruppen haben und wo in Gebäuden neuralgische Punkte mit hohem Ansteckungsrisiko sind.
Doch wie können sie hunderten von Kindern auf Schritt und Tritt folgen, ohne im Schulgebäude präsent zu sein? „Wir werden UWBChips einsetzen“, sagt der Professor für Klinische Pharmazie. Das klingt komplizierter als es ist. Ultrawideband-Chips (Ultrabreitband) setzen auf eine Funktechnologie zur präzisen Ortsbestimmung in geschlossenen Räumen. Ihre Entwickler hatten allerdings Anwendungen in der Logistik im Blick. Die Chips werden zur Positionsbestimmung in großen Lagerhallen genutzt. Da kommt es darauf an, auf der Fläche eines Fußballfeldes ein Objekt in einem Hochregal in zehn Metern Höhe zu orten. „UWB-Chips messen auf 15 Zentimeter genau“, erklärt Thorsten Lehr und schiebt zum Beweis zwei der scheckkartengroßen Objekte von den Ecken seines Schreibtisches aufeinander zu. Nach wenigen Zentimetern beginnen beide wild zu piepen, zu vibrieren und zu blinken. „Die waren jetzt auf einen Abstand von 1,50 Meter eingestellt.“Die kleinen Heuler nerven und Thorsten Lehr, der mit seinen Kollegen vom Homburger Institut für Virologie die Chips getestet hat, bekennt: „Wer einen solchen Apparat in der Tasche hat, der hält Abstand.“Allerdings lässt sich der Alarm auch abschalten.
UWB-Chips funktionieren im Prinzip wie die Corona-App zur Kontaktverfolgung eines Smartphones, nur sind ihre Aufzeichnungen erheblich präziser. „Sie ermöglichen den Aufbau eines GPS-Systems in einem Gebäude.“Und es gibt einen weiteren wichtigen Unterschied. Wenn ein
Schüler seinen Chip am Beginn des Schultages einsteckt und am Ende wieder abgibt, sind damit der Überwachung Grenzen gesetzt. Das soll naheliegende Bedenken zum Thema Datenschutz zerstreuen. Thorsten Lehr: „Alle aufgezeichneten Daten werden außerdem verschlüsselt.“Für den Fall, dass es während des Testzeitraums zu einem Corona-Fall in einer Schule kommen sollte, werde es allerdings eine Möglichkeit geben, anhand der aufgezeichneten Daten die Besitzer der Chips zu identifizieren, um Infektionsketten gezielt unterbrechen zu können.
Thorsten Lehr: „Bevor wir in einer Schule starten, wird das gesamte Projekt von unserer Ethikkommission noch einmal unter die Lupe genommen.“Die Generalprobe soll sehr bald an der Saar-Uni starten, sagt Dr. Jürgen Rissland vom Homburger Institut für Virologie.
Ziel der Saarbrücker Wissenschaftler ist allerdings nicht der Aufbau einer Corona-Warnanlage für saarländische Schulen. Den Pharmazeuten und Virologen der Saar-Uni geht es um Grundsätzliches. Sie wollen untersuchen, wie sich Infektionen in größeren Gruppen, zum Beispiel an Schulen, ausbreiten können und diese Daten dann für Verbesserungen der mathematischen Modelle zur Vorhersage der Corona-Entwicklung nutzen. Damit soll sich zum Beispiel berechnen lassen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Virus in einer Schule mehrere Klassenstufen überspringen kann. „Dazu müssen wir aber erst einmal sehr viel mehr über das Sozialverhalten von Schulkindern herausfinden“, sagt Thorsten Lehr. Auch über Kontakte zwischen Lehrern und Schülern sollen die UWB-Chips informieren. „Mit diesen Daten können wir am Ende bessere Schutzkonzepte entwickeln.“Das Bildungsministerium habe bereits Unterstützung für das Projekt signalisiert.
1000 UWB-Chips will der Pharmazie-Professor kaufen. Gestartet werden soll das Projekt nach dem UniTest in den nächsten Wochen in einer großen Schule mit vielen Altersgruppen, zum Beispiel einem Gymnasium. Danach sollen mindestens zwei weitere Bildungseinrichtungen folgen. Der Untersuchungszeitraum werde jeweils drei bis vier Wochen betragen. „Wir rechnen am Ende mit Daten von bis zu 3000 Schülern.“
„Wir möchten das in möglichst vielen Klassenstufen untersuchen.“
Professor Thorsten Lehr
Pharmazeut der Saar-Universität