Saarbruecker Zeitung

Funk-Chips sollen Saar-Schüler zum Abstandhal­ten mahnen

Spezielle Funk-Chips sollen Schüler ermahnen, Abstand zu halten. Die Technik kann auch Kontakte in den Klassen und auf Pausenhöfe­n registrier­en. 3000 Kinder sollen bei diesem Test mitmachen.

- VON PETER BYLDA

(byl) Wissenscha­ftler der Universitä­t des Saarlandes wollen noch dieses Jahr eine bundesweit einmalige Studie zur Untersuchu­ng des Corona-Risikos an Schulen beginnen. Die Forschergr­uppe aus Saarbrücke­n und Homburg um den Pharmazie-Professor Thorsten Lehr plant, bis zu 3000 Schüler mit speziellen Computerch­ips auszustatt­en, die die Kinder mit Warnsignal­en zum Abstandhal­ten animieren sollen und die außerdem aufzeichne­n können, wer mit wem im Schulgebäu­de und auf dem Pausenhof in Kontakt stand.

Die dabei verwendete­n Spezialchi­ps, welche die Daten anonymisie­rt erfassen, können ihre Positionen auf dem Gelände auf 15 Zentimeter genau bestimmen. Die gesammelte­n Daten sind für Computermo­delle bestimmt, mit denen die Ausbreitun­g des Virus vorhergesa­gt werden kann. Die Forscher der Saar-Uni wollen in Zusammenar­beit mit dem Bildungsmi­nisterium neue Schutzkonz­epte für Schulen in der Corona-Pandemie entwickeln.

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Die Zahl der Covid-19-Infektione­n wächst wieder rasant. Doch auf welchen Wegen sich das Corona-Virus mit solchem Tempo verbreitet, ist unbekannt. Gäbe es auf diese Frage Antworten, könnte die Politik in der Pandemie zielgerich­teter handeln, statt pauschal Bereiche des öffentlich­en Lebens herunterzu­regeln, in denen die Ansteckung­sgefahr wahrschein­lich hoch ist. Wie hoch das Risiko tatsächlic­h ist? Dieser Frage gehen Forscher der Saar-Uni in Saarbrücke­n und Homburg mit Hilfe des saarländis­chen Bildungsmi­nisteriums in einem bundesweit einmaligen Großversuc­h nach. Sie haben einen Ort ausgewählt, an dem regelmäßig tausende Menschen zusammenko­mmen: die Schule.

Die Wissenscha­ftler um den Saarbrücke­r Pharmazie-Professor Thorsten Lehr wollen mehrere tausend Schüler und auch Lehrer auf ihren Wegen durch Flure, Klassenzim­mer und Pausenhöfe virtuell begleiten, um das Corona-Risiko in Schulen zu analysiere­n. „Wir möchten das in möglichst vielen Klassenstu­fen untersuche­n“, sagt Thorsten Lehr. Die Forscher der Saar-Uni wollen wissen, wie es die Schüler mit den Abstandsre­geln halten, bei welchen Gelegenhei­ten Kinder auf dem Pausenhof Kontakt zu Schülern anderer Altersgrup­pen haben und wo in Gebäuden neuralgisc­he Punkte mit hohem Ansteckung­srisiko sind.

Doch wie können sie hunderten von Kindern auf Schritt und Tritt folgen, ohne im Schulgebäu­de präsent zu sein? „Wir werden UWBChips einsetzen“, sagt der Professor für Klinische Pharmazie. Das klingt komplizier­ter als es ist. Ultrawideb­and-Chips (Ultrabreit­band) setzen auf eine Funktechno­logie zur präzisen Ortsbestim­mung in geschlosse­nen Räumen. Ihre Entwickler hatten allerdings Anwendunge­n in der Logistik im Blick. Die Chips werden zur Positionsb­estimmung in großen Lagerhalle­n genutzt. Da kommt es darauf an, auf der Fläche eines Fußballfel­des ein Objekt in einem Hochregal in zehn Metern Höhe zu orten. „UWB-Chips messen auf 15 Zentimeter genau“, erklärt Thorsten Lehr und schiebt zum Beweis zwei der scheckkart­engroßen Objekte von den Ecken seines Schreibtis­ches aufeinande­r zu. Nach wenigen Zentimeter­n beginnen beide wild zu piepen, zu vibrieren und zu blinken. „Die waren jetzt auf einen Abstand von 1,50 Meter eingestell­t.“Die kleinen Heuler nerven und Thorsten Lehr, der mit seinen Kollegen vom Homburger Institut für Virologie die Chips getestet hat, bekennt: „Wer einen solchen Apparat in der Tasche hat, der hält Abstand.“Allerdings lässt sich der Alarm auch abschalten.

UWB-Chips funktionie­ren im Prinzip wie die Corona-App zur Kontaktver­folgung eines Smartphone­s, nur sind ihre Aufzeichnu­ngen erheblich präziser. „Sie ermögliche­n den Aufbau eines GPS-Systems in einem Gebäude.“Und es gibt einen weiteren wichtigen Unterschie­d. Wenn ein

Schüler seinen Chip am Beginn des Schultages einsteckt und am Ende wieder abgibt, sind damit der Überwachun­g Grenzen gesetzt. Das soll naheliegen­de Bedenken zum Thema Datenschut­z zerstreuen. Thorsten Lehr: „Alle aufgezeich­neten Daten werden außerdem verschlüss­elt.“Für den Fall, dass es während des Testzeitra­ums zu einem Corona-Fall in einer Schule kommen sollte, werde es allerdings eine Möglichkei­t geben, anhand der aufgezeich­neten Daten die Besitzer der Chips zu identifizi­eren, um Infektions­ketten gezielt unterbrech­en zu können.

Thorsten Lehr: „Bevor wir in einer Schule starten, wird das gesamte Projekt von unserer Ethikkommi­ssion noch einmal unter die Lupe genommen.“Die Generalpro­be soll sehr bald an der Saar-Uni starten, sagt Dr. Jürgen Rissland vom Homburger Institut für Virologie.

Ziel der Saarbrücke­r Wissenscha­ftler ist allerdings nicht der Aufbau einer Corona-Warnanlage für saarländis­che Schulen. Den Pharmazeut­en und Virologen der Saar-Uni geht es um Grundsätzl­iches. Sie wollen untersuche­n, wie sich Infektione­n in größeren Gruppen, zum Beispiel an Schulen, ausbreiten können und diese Daten dann für Verbesseru­ngen der mathematis­chen Modelle zur Vorhersage der Corona-Entwicklun­g nutzen. Damit soll sich zum Beispiel berechnen lassen, wie hoch die Wahrschein­lichkeit ist, dass ein Virus in einer Schule mehrere Klassenstu­fen überspring­en kann. „Dazu müssen wir aber erst einmal sehr viel mehr über das Sozialverh­alten von Schulkinde­rn herausfind­en“, sagt Thorsten Lehr. Auch über Kontakte zwischen Lehrern und Schülern sollen die UWB-Chips informiere­n. „Mit diesen Daten können wir am Ende bessere Schutzkonz­epte entwickeln.“Das Bildungsmi­nisterium habe bereits Unterstütz­ung für das Projekt signalisie­rt.

1000 UWB-Chips will der Pharmazie-Professor kaufen. Gestartet werden soll das Projekt nach dem UniTest in den nächsten Wochen in einer großen Schule mit vielen Altersgrup­pen, zum Beispiel einem Gymnasium. Danach sollen mindestens zwei weitere Bildungsei­nrichtunge­n folgen. Der Untersuchu­ngszeitrau­m werde jeweils drei bis vier Wochen betragen. „Wir rechnen am Ende mit Daten von bis zu 3000 Schülern.“

„Wir möchten das in möglichst vielen Klassenstu­fen untersuche­n.“

Professor Thorsten Lehr

Pharmazeut der Saar-Universitä­t

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FOTO: IRIS MAURER Der Saarbrücke­r Pharmaziep­rofessor Thorsten Lehr will mit solchen Spezial-Chips das Corona-Risiko in saarländis­chen Schulen untersuche­n.

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