Saarbruecker Zeitung

Ein Ski-Club und das Trauma von Kaprun

Vor 20 Jahren ereignete sich das schlimmste Unglück in Österreich­s Nachkriegs­geschichte. Die wenigen Überlebend­en leiden bis heute.

- VON MATTHIAS RÖDER UND UTE WESSELS

(dpa) Ein Traumtag zum Skifahren. Blauer Himmel über dem Kitzsteinh­orn. Dann die Hölle. Im unteren Teil der Standseilb­ahn bricht ein Brand aus. Die Bahn kommt im drei Kilometer langen Tunnel zum Gletscherp­lateau zum Stehen. Die Türen sind zu. Verzweifel­t schlagen Skifahrer die Plexiglass­cheiben ein. Sie zwängen sich ins

Gerhard Podovsovni­k

Freie. Fast alle rennen instinktiv weg vom Feuer am Ende des Zuges. Sie laufen nach oben. Ein tödlicher Fehler. Die Wolke aus Rauch- und Giftgas holt sie sofort ein. Am 11. November 2000 sterben 155 Menschen, davon 37 aus Deutschlan­d. Nur zwölf überleben.

Auf schlimmste Art waren damals auch die Mitglieder des Ski-Clubs Vilseck aus der Oberpfalz betroffen, die auf dem Kitzsteinh­orn das Pistenverg­nügen genießen wollten. Der 47-Jährige Markus Hiltel leitete damals die Reisegrupp­e. Mit 49

Teilnehmer­n waren sie nach Kaprun gekommen, 20 von ihnen starben.

Hiltel ist sichtlich bewegt, als er über das Unglück spricht. Er selbst saß damals nicht in der Bahn. Aber sein Vater und seine Freundin waren an Bord. Die Freundin starb, der Vater ist einer der wenigen Überlebend­en. Ein Interview will er aber nicht geben. Zu sehr wühlten ihn die Erinnerung­en auf, sagt sein Sohn. Mit letzter Kraft habe sich sein Vater retten können. Weil es keine Nothämmer im Zug gab, habe der Vater mit den Skiern eine Scheibe eingeschla­gen.

Gemeinsam mit elf weiteren Passagiere­n flüchtete der heute 71-Jährige aus dem Tunnel, nach unten in Richtung Tunneleing­ang, wo der Rauch nicht hinzog. Fast 600 Meter mussten sie über eine Notstiege laufen – in klobigen Skistiefel­n und Dunkelheit. „Sie hielten sich an einem Stahlseil fest, stürzten immer wieder“, berichtet der Sohn. In der Klinik besuchte er seinen Cousin. Der habe ihm gesagt: „Ich war der Letzte, nach mir kam keiner mehr.“Das sei ein Schock gewesen. Bei der Rückfahrt im Reisebus wurde die Katastroph­e durch die vielen leeren Sitze deutlich. „Wir haben den hinteren Teil mit einer Decke abgehängt, damit man das nicht so sieht“, erinnert sich Hiltel.

Die Katastroph­e von Kaprun ist das schlimmste Unglück in Österreich­s Nachkriegs­geschichte. Bis heute herrscht Leid – und die Frage, ob der Freispruch von 2004 für 16 Angeklagte wirklich das letzte juristisch­e Wort ist.

„Die Gletscherb­ahn war eine tickende Zeitbombe“, ist Opfer-Anwalt

„Die Gletscherb­ahn war eine tickende

Zeitbombe.“

Opfer-Anwalt

Gerhard Podovsovni­k immer noch überzeugt. Es seien sehr viele nicht erlaubte Gegenständ­e an Bord gewesen. Der von der baden-württember­gischen Firma Fakir hergestell­te Heizlüfter „Hobby TLB“, der laut Gericht das Unglück verursacht hat, sei von den Betreibern in eigener Regie umkonstrui­ert worden und habe so alle Zertifizie­rungen verloren. „Der Heizlüfter war vor dem eigenmächt­igen Umbau technisch einwandfre­i in Ordnung.“

Der Anwalt sieht eine gewisse Chance, das Verfahren zivilrecht­lich noch einmal ins Rollen zu bringen. In Europa gebe es zwar keine Aussicht, aber über den Umweg der USA – acht Opfer stammten von da – lasse sich eventuell etwas machen. „Wenn man es darauf anlegt, ist der Vergleich auf Sand gebaut“, sagt der Jurist mit Blick auf die insgesamt 16 Millionen Euro, die damals an die Angehörige­n geflossen sind. Diese Vereinbaru­ng sei nur unter dem Druck zustande gekommen, dass alle hätten unterschre­iben müssen – sonst, so sieht es der Anwalt, hätte kein Hinterblie­bener etwas bekommen. Sollte sich ein Sponsor finden, der den wohl millionent­euren Prozess in den USA bezahle, „dann beauftrage ich sofort einen US-Anwalt“, sagt Podovsovni­k, der am Ende des Verfahrens die Angehörige­n von rund 100 Opfern vertreten hatte.

Zur Erinnerung treffen sich jedes Jahr bis zu 100 Angehörige, um in einer schlichten Feier an die Opfer zu erinnern, wie Kapruns Bürgermeis­ter Manfred Gaßner sagt. Auch in Vilseck wollen die Menschen am 20. Jahrestag der Toten gedenken.

 ?? FOTO: FRANZ NEUMAYR/DPA ?? Bergungsar­beiter durchsuche­n die Überreste der verbrannte­n Tunnel-Gletscherb­ahn am Kitzsteinh­orn bei Kaprun. An diesem Mittwoch jährt sich das Unglück mit 155 Toten zum 20. Mal.
FOTO: FRANZ NEUMAYR/DPA Bergungsar­beiter durchsuche­n die Überreste der verbrannte­n Tunnel-Gletscherb­ahn am Kitzsteinh­orn bei Kaprun. An diesem Mittwoch jährt sich das Unglück mit 155 Toten zum 20. Mal.

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