Ein Ski-Club und das Trauma von Kaprun
Vor 20 Jahren ereignete sich das schlimmste Unglück in Österreichs Nachkriegsgeschichte. Die wenigen Überlebenden leiden bis heute.
(dpa) Ein Traumtag zum Skifahren. Blauer Himmel über dem Kitzsteinhorn. Dann die Hölle. Im unteren Teil der Standseilbahn bricht ein Brand aus. Die Bahn kommt im drei Kilometer langen Tunnel zum Gletscherplateau zum Stehen. Die Türen sind zu. Verzweifelt schlagen Skifahrer die Plexiglasscheiben ein. Sie zwängen sich ins
Gerhard Podovsovnik
Freie. Fast alle rennen instinktiv weg vom Feuer am Ende des Zuges. Sie laufen nach oben. Ein tödlicher Fehler. Die Wolke aus Rauch- und Giftgas holt sie sofort ein. Am 11. November 2000 sterben 155 Menschen, davon 37 aus Deutschland. Nur zwölf überleben.
Auf schlimmste Art waren damals auch die Mitglieder des Ski-Clubs Vilseck aus der Oberpfalz betroffen, die auf dem Kitzsteinhorn das Pistenvergnügen genießen wollten. Der 47-Jährige Markus Hiltel leitete damals die Reisegruppe. Mit 49
Teilnehmern waren sie nach Kaprun gekommen, 20 von ihnen starben.
Hiltel ist sichtlich bewegt, als er über das Unglück spricht. Er selbst saß damals nicht in der Bahn. Aber sein Vater und seine Freundin waren an Bord. Die Freundin starb, der Vater ist einer der wenigen Überlebenden. Ein Interview will er aber nicht geben. Zu sehr wühlten ihn die Erinnerungen auf, sagt sein Sohn. Mit letzter Kraft habe sich sein Vater retten können. Weil es keine Nothämmer im Zug gab, habe der Vater mit den Skiern eine Scheibe eingeschlagen.
Gemeinsam mit elf weiteren Passagieren flüchtete der heute 71-Jährige aus dem Tunnel, nach unten in Richtung Tunneleingang, wo der Rauch nicht hinzog. Fast 600 Meter mussten sie über eine Notstiege laufen – in klobigen Skistiefeln und Dunkelheit. „Sie hielten sich an einem Stahlseil fest, stürzten immer wieder“, berichtet der Sohn. In der Klinik besuchte er seinen Cousin. Der habe ihm gesagt: „Ich war der Letzte, nach mir kam keiner mehr.“Das sei ein Schock gewesen. Bei der Rückfahrt im Reisebus wurde die Katastrophe durch die vielen leeren Sitze deutlich. „Wir haben den hinteren Teil mit einer Decke abgehängt, damit man das nicht so sieht“, erinnert sich Hiltel.
Die Katastrophe von Kaprun ist das schlimmste Unglück in Österreichs Nachkriegsgeschichte. Bis heute herrscht Leid – und die Frage, ob der Freispruch von 2004 für 16 Angeklagte wirklich das letzte juristische Wort ist.
„Die Gletscherbahn war eine tickende Zeitbombe“, ist Opfer-Anwalt
„Die Gletscherbahn war eine tickende
Zeitbombe.“
Opfer-Anwalt
Gerhard Podovsovnik immer noch überzeugt. Es seien sehr viele nicht erlaubte Gegenstände an Bord gewesen. Der von der baden-württembergischen Firma Fakir hergestellte Heizlüfter „Hobby TLB“, der laut Gericht das Unglück verursacht hat, sei von den Betreibern in eigener Regie umkonstruiert worden und habe so alle Zertifizierungen verloren. „Der Heizlüfter war vor dem eigenmächtigen Umbau technisch einwandfrei in Ordnung.“
Der Anwalt sieht eine gewisse Chance, das Verfahren zivilrechtlich noch einmal ins Rollen zu bringen. In Europa gebe es zwar keine Aussicht, aber über den Umweg der USA – acht Opfer stammten von da – lasse sich eventuell etwas machen. „Wenn man es darauf anlegt, ist der Vergleich auf Sand gebaut“, sagt der Jurist mit Blick auf die insgesamt 16 Millionen Euro, die damals an die Angehörigen geflossen sind. Diese Vereinbarung sei nur unter dem Druck zustande gekommen, dass alle hätten unterschreiben müssen – sonst, so sieht es der Anwalt, hätte kein Hinterbliebener etwas bekommen. Sollte sich ein Sponsor finden, der den wohl millionenteuren Prozess in den USA bezahle, „dann beauftrage ich sofort einen US-Anwalt“, sagt Podovsovnik, der am Ende des Verfahrens die Angehörigen von rund 100 Opfern vertreten hatte.
Zur Erinnerung treffen sich jedes Jahr bis zu 100 Angehörige, um in einer schlichten Feier an die Opfer zu erinnern, wie Kapruns Bürgermeister Manfred Gaßner sagt. Auch in Vilseck wollen die Menschen am 20. Jahrestag der Toten gedenken.