Schwieriger Umgang mit den „Hitler-Glocken“
Was tun mit den „Hitlerglocken“– in den Kirchen lassen oder ins Museum stellen? Speyer will ein Exemplar in einer Ausstellung zeigen.
Wie soll man mit den sogenannten Hitler-Glocken aus der NS-Zeit umgehen? In den Kirchen belassen oder ins Museum stellen? Das Historische Museum in Speyer will ein Exemplar in einer Ausstellung zeigen.
(dpa) Nach Jahrzehnten im Halbdunkel einer Kirche glänzt das umstrittene Stück Zeitgeschichte matt im Neonlicht des Museumsdepots von Speyer. Deutlich sind Reichsadler und Hakenkreuz an der Glocke zu erkennen, die bis 2019 in der Wendelinuskapelle von Essingen (Südliche Weinstraße) hing. Im Historischen Museum der Pfalz wird die Glocke von 1936 derzeit gereinigt.
Das bronzene Geläut war überregional bekannt geworden durch eine heftige Diskussion über „Hitler-Glocken“– ein Begriff für Klangkörper aus der NS-Zeit. Der Evangelischen Kirche in Deutschland zufolge wurden 2018 insgesamt 22 solcher Glocken gefunden, in der Pfalz in Essingen, Mehlingen oder Pirmasens-Winzeln und auch im Saarland: in Homburg-Beeden, Rohrbach und Wolfersheim. Eine Glocke aus Rilchingen-Hanweiler wurde 2018 abgehängt und dem Historischen Museum Saar übereignet.
Was tun mit den Glocken? In den Kirchen belassen? Ins Museum geben? Da gehen die Meinungen auseinander. Das Historische Museum der Pfalz will den sakralen Klangkörper aus Essingen eingebettet in eine kritische Ausstellung zeigen. Doch ist eine Glocke mit Hakenkreuz nicht besser in einem Kirchturm aufgehoben als in einem Museum, wo das Objekt für alle sichtbar ist? Ludger Tekampe, Leiter der Sammlungen Volkskunde, Neuzeit und Weinmuseum im Historischen Museum Speyer, meint das nicht. „Ein Geschichtsmuseum ist immer auch Diskursort. Insoweit ist gerade hier ein Platz, wo man ein solches Objekt in den historischen Kontext stellen kann. Und wo es für künftige Generationen als Anschauungsobjekt aufbewahrt wird.“Die Aufschriften auf den Glocken sind schwer zu ertragen. „Als Adolf Hitler Schwert und Freiheit gab dem deutschen Volk, goss uns der Meister Pfeifer Kaiserslautern“, heißt es etwa auf dem Geläut aus Essingen.
Für viele wäre wohl die einfachste Lösung, das braune Vermächtnis abzuschleifen. Und vereinzelt ist das auch geschehen. Experten wie der Glockenkundler Sebastian Wamsiedler halten das aber für keine gute Option. „Aufgeklärte Erinnerungskultur muss auch zeigen, dass es immer wieder Strömungen gab, bei denen es zu einer gefährlichen Nähe von Kirche und weltlicher Obrigkeit gekommen ist.“Ob eine „Hitler-Glocke“nun in einem Museum oder in der Kirche hängt – wichtig sei eine Begleittafel, die über die Glocke detailliert Auskunft gebe. Doch auch die Weiternutzung sei unter ganz bestimmten Umständen und mit klarer kritischer Distanz denkbar. „Die Annahme eines solchen unbequemen Zeitzeugnisses als Mahnmal gegen die Unvernunft und Verblendung der Vorfahren kann als eine größere intellektuelle Leistung gesehen werden als das Entfernen“, sagt Warnsiedler.
Denn eins dürfe man nicht übersehen. „Es gibt auch zahlreiche Glockeninschriften aus anderen Zeitepochen, die wir heute als problematisch ansehen müssen“, meint Wamsiedler. So stehe das Bismarck-Zitat „Wir Deutschen fürchten Gott aber sonst nichts in der Welt“auf der Hindenburgglocke von 1919 in Solingen.
„Schädlich sind vor allen Dingen das Beschweigen und das Ausweichen vor einer kritischen Auseinandersetzung“, sagt Kulturanthropologe Tekampe in Speyer. „Die Glocken als dingliches Zeugnis der NS-Zeit zwingen uns zur Auseinandersetzung mit eben dieser Zeit.“Nachdem die Evangelische Kirche der Pfalz angeboten hatte, die Kosten für den Ersatz belasteter Glocken zu übernehmen, hatten die protestantischen Kirchengemeinde Mehlingen und die politische Gemeinde Essingen sich entschieden, die Klangkörper als Dauerleihgabe nach Speyer zu geben.
„Um die Essinger Glocke, die in ihrem Bezug zum Nationalsozialismus eindeutiger ist als die Mehlinger Glocke, in einem angemessenen Kontext ausstellen zu können, müssen noch die Gemeinderatsprotokolle aus den Jahren 1935/36 eingesehen werden“, schildert Tekampe. „Auch die unterschiedlichen Standpunkte im Hinblick auf das Abhängen beziehungsweise Hängenlassen von Glocken aus der NS-Zeit sollen noch dokumentiert werden.“Wenn alles bereit ist, soll das Geläut in der geplanten Ausstellung „Luther, die Protestanten und die Pfalz“in Speyer gezeigt werden – der Termin ist wegen Corona noch offen.