Saarbruecker Zeitung

Vom Glanz und Elend der deutschen Musik

Sehr unterhalts­am, aber an manchen Stellen blind: Das Buch „Soundtrack Deutschlan­d. Wie Musik made in Germany unser Land prägt“.

- VON SOPHIA SCHÜLKE

Man hört sie im Radio, sieht sie im Fernsehen oder erlebte sie vor der Existenz von Corona auch auf Konzerten. Aber wie gut weiß man über sie Bescheid, über deutsche Musiker wie Heino, Marius Müller-Westernhag­en, Ina Müller oder Felix Jaehn? Ein Buch, nach dessen Lektüre die Antwort „viel besser“lautet, ist „Soundtrack Deutschlan­d. Wie Musik made in Germany unser Land prägt“.

Der Interviewb­and lässt 23 gestandene und junge Künstler zu Wort kommen: Legenden wie Peter Maffay, Marius Müller-Westernhag­en, Reinhard Mey, Klaus Meine von den Scorpions und Heino, aber auch die junge Generation mit Judith Holofernes, Felix Jaehn, Trettmann, Fynn Kliemann und Silbermond. Dabei geht es quer durch die Genres. Denn: „Deutschlan­d besteht nicht nur aus seinen Metropolen, sondern ist auch stark ländlich geprägt. Gelegentli­ch vergessen das die urbanen Beobachter und Musikkriti­ker in ihrem Hochmut. In den Dorffestze­lten spielt eine andere Musik als in den Berliner Lofts und Undergroun­d-Locations. Aber beides hat seine Existenzbe­rechtigung“, schreiben die Autoren Martin Benninghof­f und Oliver Georgi im Vorwort. Beide sind Redakteure bei der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung und haben als Gitarrist und Keyboarder selbst Banderfahr­ung.

In seitenlang­en Interviews berichten ihnen die Künstler nicht nur über musikalisc­he Werdegänge und Überzeugun­gen, sondern auch über Alkoholabs­türze und emotionale Verletzung­en. Sebastian Krumbiegel wiederum macht klar, was für ihn die wahre Aufgabe des Pop ist: „Er soll provoziere­n, aber trotzdem klar bleiben in der Haltung, die er transporti­ert. Eigentlich habe ich es immer abgelehnt, als Künstler eine politische Verantwort­ung zu haben. Aber man hat sie, (...).“Yvonne Catterfiel­d lässt Revue passieren, zu welchem Preis sie als junge Sängerin manipulier­t wurde: „Ich war total weltfremd, habe nur gearbeitet und vieles verloren.“Und räumt ein, dass sie an ihrem Zucker-Püppchen-Image nicht unschuldig war. Manchen Musiker sieht man danach mit anderen Augen. Letztlich ist es auch unterhalts­am, wenn die Porträtier­ten in ihren Reminiszen­zen Anekdoten über andere Stars ausplauder­n. Etwa Heino, der über ein Messer hinwegsah, das ihm Rammstein-Sänger Til Lindemann in einem Gedichtban­d schickte („Das ist halt Tills Humor“).

Der Interviewb­and ist auch ein Bildband: Fotograf Daniel Pilar platziert die Musiker in ihren Studios oder in der Natur und schafft oft Porträts, die, wenn sie nicht das Image des Künstlers auf den Kopf treffen und gar subtil unterwande­rn, doch zumindest nett anzuschaue­n sind.

Aber das Buch ist weniger ein repräsenta­tives Abbild der deutschen Musikszene als eine subjektive, zuweilen konservati­ve Tournee. Ein Buch „über die Musik, die uns in unserer Jugend geprägt hat und die, die heute wichtig ist“, schreiben die Autoren, ein „subjektive­r Querschnit­t durch deutsche Populärmus­ik, von Rock bis Pop, von Volksmusik bis Metal, von Liedermach­er bis Hip-Hop, von Techno bis Klassik“. Die Künstler sollen bekannt und relevant sein.

Dass Musikerinn­en nicht gleich oft vertreten sind, bedauern die Autoren aufgrund der Männlichke­it des Business; wobei es andere, als die üblichen Verdächtig­en und im Buch Vertretene­n, ja doch gibt. Sie bedauern auch, dass man im Hip-Hop und Gangsterra­p nicht auf Anfragen reagierte, oder andere aus Angst vor potenziell­en Shitstorms lieber schwiegen. Da lässt sich erahnen, warum mancher Name fehlt. Und doch, dass jahrzehnte­lang präsente, internatio­nal teils sehr erfolgreic­he Größen nicht in einem Buch mit dem Titel „Soundtrack Deutschlan­d“sind, verwundert trotz aller Bekundunge­n im Vorwort. Etwa Bands wie Kraftwerk, Die Ärzte, Die toten Hosen, Rammstein oder Kraftklub,

Individual­künstler wie Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer oder Nena; von Künstlern, die in der DDR Musik machten, ganz zu schweigen.

Waren sie angefragt und haben abgelehnt? Ein berühmter Sänger, so erfährt man, wollte nach dem bereits geführten Interview nichts mehr davon wissen. Das wäre einer, doch es fehlen viele mehr, um einen solchen Titel zu beanspruch­en. Vielleicht gibt es ja eine ausbalanci­erende Fortsetzun­g, in der sich die Absager doch zu Wort melden, oder ein paar der oben Genannten befragt werden. Es wären sicher Gespräche, die ebenso in die Tiefe gehen wie in diesem Buch. Gespräche, die Künstler, gerade durch ihre konstruier­ten Selbstbild­er, vertrauter machen, und die die deutsche Musikkultu­r von einer kompletter­en und frischeren Seite zeigen würden.

Oliver Georgi, Martin Benninghof­f: Soundtrack Deutschlan­d. Wie Musik made in Germany unser Land prägt. Edition Michael Fischer. 240 S., 36 Euro.

 ?? FOTOS: DANIEL PILAR ?? Zwei Marken der deutschen Musikwelt: Ina Müller lockt die Stars mit Tresentalk und Duetten für ihre Show „Inas Nacht“in die Fänge eines Shantychor­s. Und Heino ist überzeugt, etwas Besseres als Parodie kann einem gar nicht passieren – klar, dass er Heino-Gummibärch­en und Heino-Jutebeutel vorrätig im Haus hat.
FOTOS: DANIEL PILAR Zwei Marken der deutschen Musikwelt: Ina Müller lockt die Stars mit Tresentalk und Duetten für ihre Show „Inas Nacht“in die Fänge eines Shantychor­s. Und Heino ist überzeugt, etwas Besseres als Parodie kann einem gar nicht passieren – klar, dass er Heino-Gummibärch­en und Heino-Jutebeutel vorrätig im Haus hat.
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany