Logik des Mobs: Wer sich widersetzt, der macht sich verdächtig
Die Riegelsberger Heimkino-Firma Pidax bringt einen Fernsehfilm von 1967 heraus, der leider bestens ins Heute passt.
„Du hast doch nichts dagegen, dass hier Recht herrscht, oder?“. Das ist die rhetorische und perfide Frage, mit der der Mob in diesem TV-Film von 1967 sich dem Finale entgegenbrüllt, mit Schaum vor dem Mund. Die Riegelsberger Heimino-Firma Pidax, spezialisiert auf Filme von einst (mittlerweile bringt sie auch Bücher und Hörspiele heraus), hat eine ZDF-Produktion ausgegraben, die es in sich hat – und die leider bestens ins Heute passt.
„Tragödie in einer Wohnwagenstadt“spielt in einem US-Trailerpark, bewohnt von Arbeitern, die sich weder Haus noch Wohnung leisten können – heute trügen sie wohl das Etikett „abgehängt“. Wie sehr es hier unter der Oberfläche köchelt, wird klar, als ein 15-jähriges Mädchen im Wald nahe der Siedlung von einem Mann belästigt wird. Da der nächste Ort 12 Meilen entfernt ist, liegt es nahe, dass der Täter aus der Siedlung stammen muss. Schnell sind sich die lautesten Alpha-Männer einig: Polizei würde hier nur stören, Aufklärung und Bestrafung regelt man unter sich – ein selbsternanntes Komitee macht mit dem völlig aufgelösten Mädchen die Runde an den Wohnwagen vorbei und verhört die Bewohner. Mit dem Satz „Wer sich widersetzt, macht sich noch mehr verdächtig!“wird fast jede Kritik am rüden Vorgehen erstickt. Und die Schwächsten und die Dümmsten laufen im Windschatten gerne mit.
Die Vorlage des Films stammt von Reginald Rose (1920-2002), dem Autor des mehrmals verfilmten Drehbuchs „Die 12 Geschworenen“. Rose beschäftigte sich mit Ungerechtigkeit,
sozialen Fragen, Rassismus – all das findet sich auch hier. Mit Dokumentar-Anmutung beginnt der Film, lange folgt die Kamera von Jost Vacano („Das Boot“) einem Mann durch die Siedlung, aus den Wohnwagenfenstern hört man Nachrichten oder die Beatles, alles scheint zwar ärmlich, aber doch wohl geordnet – bis die Belästigung des Mädchens Unzufriedenheit, Frust, Existenzangst und Hass zum Ausbruch bringt.
Sobald die selbstherrliche Untersuchungskommission seine Runden dreht, blühen Borniertheit und Hass, mal gespeist aus Neid, mal aus Rassismus. Der Vater des Opfers, an dessen Leiden keiner der Aufrührer wirklich interessiert, ist zwar betroffen, könnte die Tat aber besser verstehen, wie er sagt, „wenn sie wenigstens hübsch wäre – als Vater kann ich das ja sagen“. Beim Verhör der nicht-weißen Wohnwagenbewohner fallen Sätze wie „Du bis weit weg von zuhause, kleiner brauner Bruder“. Während all dessen grübelt ein Ehepaar, das von dem ganzen Treiben abgestoßen ist, darüber nach, wie man das Vorgehen des Mobs beenden kann – aber sie schweigen zu lange.
Besetzt ist dieses pessimistische Fernsehspiel mit bewährten Charakterköpfen: Peter Schiff, unsterblich als Synchronsprecher des Computers Hal in „2001“, spielt den etwas tumben Vater des Opfers, Ruth Maria Kubitschek und Werner Schumacher spielen das rationale Paar – und herausragend ist Friedrich Georg Beckhaus (unter anderem flog er bei der seligen „Raumpatrouille“mit): Den An- und Wortführer des Komittees stattet er mit einer Mischung aus Aggression und Berechnung. Sonderlich raffiniert muss er gar nicht agieren, um eine frustrierte Meute hinter sich zu bringen. Ein paar Schlagworte reichen aus, die Gruppendyamik regelt den Rest. Am Ende hat der Mob zugeschlagen und geht befriedigt seiner Wege. Ob der Bestrafte überhaupt der Täter war, ist unwichtig – es ging nur um die Entladung.
DVD erschienen bei Pidax. Sehr gutes Bild, keine Extras. www.pidax-film.de