Löw nach 0:6-Debakel massiv unter Beschuss
Bundestrainer Joachim Löw gerät nach der 0:6-Niederlage in Spanien unter Beschuss. Seine Mannschaft versagte auf ganzer Linie.
(sid) Der angezählte Joachim Löw und seine gedemütigten Spieler wollten einfach nur weg – sie verließen den Ort der Schande noch vor Sonnenaufgang. Während Löw nach einer kurzen Nacht niedergeschlagen in den Teambus kletterte, stand Oliver Bierhoff trotz der Schmach von Sevilla felsenfest zu seinem Bundestrainer. „Das Vertrauen ist vollkommen da, absolut“, sagte der ebenfalls schockierte DFB-Direktor nach dem 0:6 (0:3)-Debakel in Spanien.
Doch der Druck auf den ratlos wirkenden Löw wächst nach dem Systemabsturz beim grausamen Jahresabschluss. Der 60-Jährige ist angesichts der zweithöchsten Niederlage der deutschen Länderspiel-Geschichte in Erklärungsnot, er steht vor den Trümmern seiner ohnehin kritisch begleiteten Aufbauarbeit. Zweieinhalb Jahre nach dem WM-Desaster wird offen über Löws Ablösung debattiert, auch wenn ihm DFB-Präsident Fritz Keller am Tag danach nach einer Krisensitzung mit Bierhoff und Löw das Vertrauen aussprach. „Wir haben uns bewusst entschieden, den Umbruch mit vielen neuen und jungen Spielern mit Perspektive zu vollziehen. Dieser Weg kann, wie man gestern gesehen hat, der steinige- re sein und auch zu schmerzhaften Niederlagen führen“, äußerte Keller.
„Es hat überhaupt nichts funktioniert. Deswegen sind wir riesig enttäuscht und sauer“, sagte Löw und sah bei seiner völlig hilflosen Mannschaft eine lange Mängelliste: „Keine Organisation, keine Kommunikation, keine Zweikampfhärte, kein Zweikampfverhalten.“Löws Erkenntnis: „Das war tödlich.“
Bis zur Nominierung seines vorläufigen EM-Kaders bleibt dem Bundestrainer nur noch der Länderspiel-Dreierpack im März. „Wir müssen das Spiel in den nächsten Tagen im Trainerstab aufarbeiten. Wir müssen die richtigen Schlüsse ziehen“, sagte Löw und gestand ernüchtert ein: „Wir dachten, dass wir schon weiter sind.“
Löw will nun schauen, „was der richtige Weg“ist. Für viele Experten ist dieser längst klar. „Der Bundestrainer und sein Team haben eine Meinung dazu, ich persönlich habe leider eine andere. Solche Spieler wie Jérôme Boateng und Thomas Müller haben das Triple gewonnen mit der besten Mannschaft in Europa. Die spielen da in der ersten Elf und haben Qualität. Warum nicht für die Nationalmannschaft?“, sagte der ARD-Experte Bastian Schweinsteiger. Rekord-Nationalspieler Lothar
Matthäus legte sich fest: „Man braucht diese Führungsspieler nach so einer Niederlage.“
Davon will Löw erst einmal nichts wissen. Für eine Rückholaktion gebe es aktuell „keinen Grund“. Das Vertrauen in seine Spieler sei „jetzt nicht völlig erschüttert“. Man müsse die Situation um Hummels, Müller und Boateng „zum richtigen Zeitpunkt bewerten“, betonte er. Sein Kapitän ist da etwas offener. „Die aussortierten Spieler könnten uns grundsätzlich helfen, das haben sie ja oft genug bewiesen“, sagte Torhüter Manuel Neuer der Sport Bild – allerdings vor dem Spiel.
Was Löw ernsthaft Sorge bereiten muss, ist die Tatsache, dass in Sevilla größtenteils die Mannschaft auf dem Platz stand, die er sich auch für die EM vorstellt. Einzig Joshua Kimmich fehlte als absoluter Leistungsträger. Daher fand nicht nur Schweinsteiger die Leistung „entsetzlich“. So dürfe man „als Nationalmannschaft nicht auftreten“.
Im Mittelfeld tauchten Toni Kroos und Ilkay Gündogan völlig ab. Die Abwehr um Niklas Süle verdiente ihren Namen nicht, das Turbo-Trio im Sturm um Timo Werner zündete auch nicht. „Wir hatten keine Chance. Jetzt weiß man, wo man steht. Das gibt uns Grund zum Nachdenken“, sagte Serge Gnabry. Die spanische Zeitung Marca schrieb von einer „historischen Vorführung“.
Diese hat Spuren hinterlassen, es stellt sich die Frage nach Löws Zukunft. „Das müssen sie andere fragen“, sagte der Bundestrainer. Bierhoff hatte vor dem Spiel erklärt, den eingeschlagenen Weg zumindest bis zur EM mitgehen zu wollen. Und auch Schweinsteiger traut seinem ehemaligen Chef die Wende zu: „Er hat die Erfahrung und die Klasse, es umzubiegen.“Falls Löw die Zeit bekommt, muss er bei der EM liefern. „Es kann nicht unser Ziel sein, dass die EM nur ein Vorbereitungsturnier für die weiteren Turniere ist. Wenn wir ein Turnier angehen, streben wir das Maximale an“, sagte Löw.