Saarbruecker Zeitung

Die Pandemie, das Gesetz und die AfD

Die Reform der Infekt ions schutz Verordnung wird in Bundestag und Bundesrat unter den Protesten der Rechtspopu­listen verabschie­det. Sogar Parlaments präsident Wolfgang Schäuble muss eingreifen.

- VON WERNER KOLHOFF

Als könnten sie es kaum erwarten, kommen die AfD-Abgeordnet­en schon eine halbe Stunde vorher in den noch leeren Plenarsaal. Es werden Plakate verteilt, die erst einmal unter den Bänken verschwind­en. Draußen rufen Demonstran­ten „Freiheit, Frieden, keine Diktatur“. Und drinnen wollen die Rechtspopu­listen sich als „einzige demokratis­che Opposition“darstellen. So ihr Fraktionsc­hef Alexander Gauland in seiner Rede. Es ist der Versuch, die Debatte über die Reform des Infektions­schutzgese­tzes zur Schicksals­stunde der Nation zu machen.

AfD-Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Bernd Baumann leitet die Aussprache mit dem Vorwurf ein, die Regierung wolle sich „ermächtige­n, wie seit geschichtl­ichen Zeiten nicht mehr“. Die direkte Gleichsetz­ung mit Hitlers Ermächtigu­ngsgesetz vermeidet Baumann, ebenso wie Gauland. Er spricht stattdesse­n von „Symptomen einer nahenden Gesundheit­sdiktatur“und schreit Angel Merkel auf der Regierungs­bank fast an: „Haben wir denn die Pest im Land?“

Auf den Plakaten, die dann bei Beginn der Rede von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) ausgerollt werden, ist das Grundgeset­z abgebildet, samt Trauerflor und dem Beerdigung­sdatum 18. November 2020. Nachdem Parlaments­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Aktion mit der Androhung von Ordnungsru­fen beendet hat, kontert Spahn den Vorwurf des Verfassung­sbruches ziemlich ruhig: „Die körperlich­e Unversehrt­heit steht auch im Grundgeset­z, das Sie gerade hochgehalt­en haben“, sagt der Minister in Richtung AfD. „Ist Ihnen das Leid auf den Intensivst­ationen egal?“Und Spahn fragt die AfD auch: „In welchem Land wären sie eigentlich lieber?“Fast überall bei den Nachbarn seien die Maßnahmen härter als in Deutschlan­d.

Mit Ausnahme von Gauland und FDP-Chef Christian Lindner reden nur Fachpoliti­ker, was etwas Dramatik rausnimmt. Noch nie habe sie erlebt, sagt die CDU-Gesundheit­spolitiker­in Karin Maag, „dass ein Gesetz so missversta­nden wurde“. Es erweitere den Spielraum der Regierung bei der Pandemiebe­kämpfung nicht, im Gegenteil, es enge ihn ein. „Sobald wir Abgeordnet­en die epidemiolo­gische Lage beenden, sind alle Maßnahmen hinfällig.“Außerdem regele man den Anspruch auf eine Schutzimpf­ung gegen Corona – „aber keine Impfpflich­t“. Maag appelliert an die Bürger an den Fernsehsch­irmen: „Bilden Sie sich Ihre Meinung anhand der Debatten unter den demokratis­chen Parteien.“Die CDU-Politikeri­n hat wie viele andere Koalitions­abgeordnet­e eine Flut von Protestmai­ls, Beschimpfu­ngen und Drohungen bekommen.

Einen sachlichen Gegenvorsc­hlag hat die FDP, den Christian Lindner referiert. Sie ist nicht prinzipiel­l gegen das Gesetz, will aber viel genauer festlegen, bei welcher Pandemiest­ufe welche Einschränk­ung erfolgen darf. Die Grünen finden das im Prinzip richtig. „Ihr Entwurf ist deutlich besser“, bescheinig­t die Grünen-Gesundheit­sexpertin Manuela Rottmann den Liberalen sogar. Doch Lindners Appell, gerade bei diesem Thema einen parteiüber­greifenden Konsens zu suchen, verhallt in den Koalitions­reihen ungehört. Wohl auch, weil der Gegenvorsc­hlag der FDP erst Montag auf den Tisch kam, als alle Beratungen praktisch abgeschlos­sen waren.

Die Koalition setzt auf Tempo, weil sie fürchtet, ohne bessere Rechtsgrun­dlage mit ihrer Anti-Corona-Politik immer häufiger vor den Verwaltung­sgerichten zu scheitern. Diese Sorge teilen auch die Grünen. Es wird namentlich abgestimmt, das Gesetz mit 415 zu 236 Stimmen angenommen. Kurz danach stimmt ihm auch die Länderkamm­er zu. Wie Diktatur hat der Tag nicht gewirkt.

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FOTOS: MICHAEL SOHN/AP Während im Bundestag debattiert wird, setzt die Polizei Wasserwerf­er ein, um die Demonstrat­ion auf der Straße zwischen Brandenbur­ger Tor und Reichstag aufzulösen.
 ?? FOTOS: MICHELE TANTUSSI/GETTY IMAGES ?? Proteste ohne Abstand und ohne Maske, dafür mit Schutzbril­le (Foto rechts): Mit Plakaten, die unter anderem die Journalist­in Dunja Hayali, den SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach und Kanzlerin Angela Merkel in Häftlingsk­leidung sowie den Virologen Christian Drosten in Uniform zeigen (Foto links), demonstrie­ren Menschen in der Nähe des Reichstags gegen die Reform des Infektions­schutzgese­tzes.
FOTOS: MICHELE TANTUSSI/GETTY IMAGES Proteste ohne Abstand und ohne Maske, dafür mit Schutzbril­le (Foto rechts): Mit Plakaten, die unter anderem die Journalist­in Dunja Hayali, den SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach und Kanzlerin Angela Merkel in Häftlingsk­leidung sowie den Virologen Christian Drosten in Uniform zeigen (Foto links), demonstrie­ren Menschen in der Nähe des Reichstags gegen die Reform des Infektions­schutzgese­tzes.
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