Saarbruecker Zeitung

Das Recht auf Unversehrt­heit zu schützen, ist Staatspfli­cht

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Es ist schon ganz in Ordnung, dass nicht der Bundestag oder die Landesparl­amente darüber befinden, welche Corona-Maßnahmen im Detail richtig sind. Das sind Sachentsch­eidungen, die Gesundheit­s-Experten vorschlage­n, Regierunge­n beschließe­n und Verwaltung­en umsetzen müssen. Und je regionaler das geschieht, desto zielgerich­teter ist es. Da sollten Parteipoli­tik, Wahlkämpfe und Einzelinte­ressen so weit wie möglich draußen bleiben, Populismus erst recht.

Viele Menschen sind seit Beginn der Pandemie überrascht, was der Staat alles darf und nennen es diktatoris­ch. Sie haben das Prinzip des Infektions­schutzes offenbar nicht verstanden oder sich nie damit beschäftig­t. Es geht darum, was in einer galoppiere­nden Pandemie am besten wirkt, immer unter der Maßgabe des Grundgeset­z-Artikels 2: Jeder hat das Recht auf Leben und körperlich­e Unversehrt­heit. Dieses Recht zu schützen, ist die Pflicht des Staates. Ein Experiment wie Herdenimmu­nität ist da ebenso wenig vorgesehen wie die Opferung der Alten. Es steht da auch nicht: Jeder hat das Recht auf Bundesliga, Mallorca und Party.

Apropos diktatoris­ch: Wenn die Feuerwehr ein Haus wegen Einsturzge­fahr sperrt oder die Polizei eine Stadt evakuiert, in der eine Weltkriegs­bombe gefunden wurde, dann sind das auch massive Eingriffe in Grundrecht­e. Und doch wird keiner sagen, das sei Diktatur. Warum können einige Menschen das Virus immer noch nicht als eine Bombe wahrnehmen, also als eine Gefahr für Leib und Leben, vor der die Allgemeinh­eit geschützt werden muss? Wie viele Nachrichte­n aus aller Welt, Tote, Berichte von den Intensivst­ationen, Appelle von Virologen brauchen diese Leute denn noch?

Die am Mittwoch verabschie­dete Reform des Infektions­schutzgese­tzes ändert an dem schon bisher geltenden Vorrang der Exekutive von Bund und Ländern bei der Pandemiebe­kämpfung nichts, macht die Einschränk­ungen allerdings etwas rechtssich­erer und sorgt für mehr Koordinier­ung, an der es immer noch mangelt. Außerdem verlangt die Novelle die Befristung der Maßnahmen und die Beachtung wirtschaft­licher und sozialer Folgen. Das und die Tatsache, dass die pandemisch­e Notlage immer wieder neu im Bundestag festgestel­lt werden muss, schafft mehr Kontrolle. Kritikwürd­ig ist allerdings, dass die Koalition das Gesetz in so ungeheurer Eile verabschie­det und beachtensw­erte Einwände von Juristen wie der Opposition ignoriert hat. Man hätte mit etwas mehr Zeit eine wahrschein­lich deutlich bessere Novelle bekommen können – und eine breitere Mehrheit.

Richtig böse ist das Wort vom „Ermächtigu­ngsgesetz“, das von der AfD und Corona-Leugnern benutzt wird. In diesem Vergleich steckt nicht nur eine grobe Polemik sondern auch eine Verharmlos­ung der Nazizeit: Hitler wollte nicht Menschen vor einer Krankheit schützen, sondern etablierte mit Ermächtigu­ngsgesetze­n seine menschenfe­indliche Diktatur. Wer den Infektions­schutz in einem demokratis­chen Land damit gleichsetz­t, hat nichts verstanden. Noch wahrschein­licher: Er will es absichtlic­h nicht verstehen.

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