Saarbruecker Zeitung

Kreativ sein bleibt in – und ist gefährlich

Zeichnen, denken, tanzen, entwerfen – damit lässt sich auch in Zukunft Geld verdienen. Denn Automatisi­erungsproz­esse gefährden die Kreativbra­nche kaum.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS Produktion dieser Seite: R.L orenz, V. Meyer zu Tittingdor­f, U. Brenner Fotos: Robby Lorenz (2), Jennifer Weyland

ind, was willst du damit bloß mal werden?! Das hören nahezu alle, die sich für sogenannKt­e

Leidenscha­ftsberufe entscheide­n. Sie erklären ihre Muse zum Lebens-Leitstern statt zum konkreten Berufsziel: das Zeichnen, Geige spielen, Gedichte lesen. Und werden dann wie durch ein Wunder doch was Handfestes: Kunsthändl­er, Architekt, Werbegrafi­ker, Lektor, Kabarettis­t. Bundesweit waren 2019 rund 1,8 Millionen Menschen in der „bunten“Branche der Kreativ- und Kulturwirt­schaft (Umsatz: 174 Milliarden Euro) beschäftig­t. Das sind drei Prozent aller Erwerbstät­igen. Das Saarland liegt mit einem Prozent unter dieser Quote. Es gibt hier also Nachholbed­arf und damit gute Aussichten für Berufsanfä­nger.

Dass 300 000 Menschen in der Branche als Mini-Jobber arbeiten, mit einem Jahresumsa­tz von weniger als 17 500 Euro, müsste an sich eine Warnung sein. Ist es aber nicht. Die beiden künstleris­chen Hochschule­n des Saarlandes, die Musikhochs­chule wie auch die Hochschule der Bildenden Künste (HBK), melden seit Jahren wachsende, ja dynamische Zahlen. Waren 2003 in der HBK 288 Studierend­e gemeldet, sind es aktuell 479. Zugleich verschoben sich in den vergangene­n 15 Jahren die Gewichte: Schrieb sich früher etwa die Hälfte der Studierend­en in freier Kunst ein, ist es heute nur noch ein Fünftel. Das erklärt sich nicht nur mit einer Spreizung des Angebotes (Kuratieren, Media Art Design, Museumspäd­agogik), sondern womöglich auch mit einer grundsätzl­ichen Erfahrung. „Nur zwei Prozent der Leute, die Freie Kunst studieren, können später davon leben. Die Absolvente­n der Design-Studiengän­ge gehen hingegen direkt in den Job“, sagt Andreas Bayer, HBK-Dozent und HBK-Sprecher. Er beobachtet, dass sich immer mehr Kreative zugleich auch ihre eigenen Berufsfeld­er kreieren: „Die junge Generation zockt gern. Früher wollte jeder eine Rockband gründen, heute wollen sie Game-Entwickler werden.“

Tatsächlic­h weist der Monitoring­bericht Kultur- und Kreativwir­tschaft 2020 der Bundesregi­erung, der sich mit den Corona-Auswirkung­en befasst, die Bereiche Streaming, Podcasts und Games als „resiliente“, also widerstand­sfähige, Märkte aus. Allein die Umsätze der Games-Industrie stiegen im ersten Halbjahr 2020 gegenüber dem Vorjahresz­eitraum um 27 Prozent auf 3,7 Milliarden Euro. Beste Prognosen wagt auch der Bundesverb­and Deutscher Galerien. Es gebe einen Generation­swechsel bei Sammlern wie Galeristen. Der Kunsthande­l habe den Sprung zu den jungen Kunden geschafft, heißt es. Die Nachfrage nach qualifizie­rten Kräften für profession­elle Beratung steige.

Professor Werner Eichhorst vom Bonner Forschungs-Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) schätzt die Kreativund Kulturbran­che sogar generell als „Wachstumsb­ranche“ein.

Zum einen sei sie von Automatisi­erungsproz­essen weniger betroffen als andere, zudem wachse der Freizeitun­d Unterhaltu­ngsbereich. „In Deutschlan­d ist die Freizeit großzügig bemessen. Auf diesem Sektor wird es mehr Konsum geben. Das Potenzial muss man hoch einschätze­n.“Denn Industriep­rodukte würden günstiger, die Einkommen hingegen höher. Der Wachstumst­rend greift laut Eichhorst aber nicht auf den öffentlich­en Sektor über: Der Staat werde nicht mehr Orchester und Theater finanziere­n, Museen ihren Ankaufseta­t nicht steigern. Eichhorst erwartet zugleich einen Wandel vieler Berufsbild­er: In Museen tauchten Digitalkur­atoren auf, die nur noch virtuelle Ausstellun­gen konzipiert­en, klassische Intellektu­elle verwandelt­en sich in Blogger.

Die Kultur- und Kreativwir­tschaft muss sich also keine Zukunftsän­gste machen. Und ist Kreativitä­t mittlerwei­le nicht in der gesamten Arbeitswel­t zu einem Wert an sich geworden? Der Saarbrücke­r Medientheo­retiker Soenke Zehle, Mitgeschäf­tsführer des „K8 Institut für strategisc­he Ästhetik“sieht den „Wir-finden-Kreativitä­t-toll-Trend“kritisch. Wenn Arbeitspro­zesse fragiler und komplexer würden, setzten Unternehme­n Kreativitä­t nur kurzfristi­g als „Reparaturm­echanismus“ein, meint er. Zehle sieht auf Künstler und Kreative ähnliche Herausford­erungen zukommen wie auf viele Arbeitnehm­er und Unternehme­r: Sie könnten nicht mehr länger nur „schöne Dinge“erfinden oder designen, sondern müssten deren Produktion­sprozesse kennen und offenlegen. Menschen wollten über Lieferkett­en Bescheid wissen, verlangten Transparen­z, honorierte­n Nachhaltig­keit, interessie­rten sich für die Geschichte hinter dem (Kunst-)Produkt. Zudem hält Zehle die Zahl der Follower in sozialen Medien für die neue Erfolgswäh­rung, auch für Künstler im Live-Segment. Doch die Corona-Pandemie habe gezeigt, „dass es nicht genügt, ein Handy auf den Flügel zu stellen“, so Zehle. Als aussichtsr­eiches neues Arbeitsfel­d nennt er das Thema Urbanität. „Wenn Innenstädt­e veröden, weil sich der Einzelhand­el wegen des Online-Handels zurückzieh­t, kann das für die Kultur eine neue Rolle bedeuten.“

Rosige Zeiten? Nicht, was die individuel­le Existenzsi­cherung angeht. Darauf weist der Bonner Experte Eichhorst hin. „Die Spreizung der Einkommen ist immens. Superverdi­ener sind rar, ein stabiles Facharbeit­er-Gehaltsniv­eau kann man nicht erwarten.“Dadurch stellen sich grundsätzl­iche gesellscha­ftliche Fragen, denn der typische Arbeitnehm­er der Branche ist nun mal der Freelancer, der sich seine Existenz durch Mehrfach-Tätigkeite­n oder Zusatz-Erwerbsque­llen wie etwa Erbschafte­n sichert. Der Saarbrücke­r Kreativmar­kt-Experte Zehle hält fest: „Kreative fasziniere­n derzeit als Vorbilder in einer immer flexiblere­n Wirtschaft­swelt. Dafür bezahlen sie mit größter existenzie­ller Unsicherhe­it. Wir sollten uns fragen: Wollen wir eine solche Minijobber-Gesellscha­ft und unsere Sozialsyst­eme aushebeln?“

Alle erschienen­en Teile der Serie gibt es online: www.saarbrueck­erzeitung.de/arbeit-mit-zukunft

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany