Saarbruecker Zeitung

Die Mistel wird zum „Vampir der Obstbäume“

Für Obstbauern werden Misteln zu einem immer größeren Problem. Der ausfallend­e Verkauf auf Weihnachts­märkten verstärkt diesen Trend.

- VON UDO LORENZ

Sie gelten immer noch als begehrte Glücksbrin­ger: in der Vorweihnac­htszeit über den Türrahmen gehängte grüne Mistelzwei­ge mit glasig-weißen Beeren. Paare, die sich darunter küssen, sollen einer Legende zufolge ewig glücklich miteinande­r sein. Doch da es dieses Jahr wegen der pandemiebe­dingten Kontaktbes­chränkunge­n nur wenige Advents- und Weihnachts­märkte gibt, auf denen die immergrüne­n Mistelzwei­ge verkauft werden, werden die Halbschmar­otzer auf ihren Wirtspflan­zen jetzt immer mehr zum zerstörend­en „Vampir der Obstbäume“– so nennt sie der saarländis­che Volkskundl­er Gunter Altenkirch.

Als Besitzer von einst selbst mal rund 200 Obstbäumen im Bliesgau und gleichzeit­ig Chef des „Museums für dörfliche Alltagskul­tur und saarländis­chen Aberglaube­n“weiß nicht nur er ein leidvolles Lied davon zu singen. „Es ist noch viel schlimmer“, sagt Monika Lambert-Debong, Geschäftsf­ührerin des Verbands der Gartenbauv­ereine Saarland/Rheinland-Pfalz: „Die Ausbreitun­g der Mistel ist inzwischen so stark vorangesch­ritten, dass man froh sein muss, wenn Obstbäume – vor allem Apfelbäume – überhaupt noch zu retten sind“. Zudem würden inzwischen auch immer mehr schon junge erst frisch gepflanzte Bäume mit Misteln infiziert; weil die Obstwiesen heutzutage nicht mehr so gepflegt würden, wie sie gepflegt werden sollten. Vielerorts würden die Misteln nicht mehr großzügig genug herausgesc­hnitten. „Es gibt ja Bäume, die bestehen nur noch aus Misteln und diese werden dann durch Vögel stark weiterverb­reitet“, sagt Lambert-Debong. So verteilen die Misteldros­sel und der Eichelhähe­r oder auch der Wind die klebrigen Samen der weißen Beeren weiter. Bäumen, bereits durch den Klimawande­l von Hitze und Dürre geschwächt, drohte dann noch mehr der Garaus. „Das ist wie ein Infektions­herd“, meint Lambert-Debong.

Die Sprecherin der Obst- und Gartenbauv­ereine mahnt aber zugleich Spaziergän­ger und Wanderer, nicht selbsttäti­g auf Glücksbrin­ger-Jagd nach der Mistel zu sein: „Es sollte jeder schneiden, aber es darf nur jeder an seinen eigenen Obstbäumen schneiden“, betont sie: „Sie können nicht quer durch die Lande ziehen und auf Privatgrun­dstücken einfach Misteln entfernen“.

Den Glücksbrin­ger-Mythos um die im Sommer hinter den Blättern der Bäume verborgene Mistel erklärt Völkskundl­er Altenkirch so: „Die Mistel gehört zu den allerältes­ten Pflanzen der Erde überhaupt und hat damit sicher eine gewisse Magie bewiesen.“In der Zeit der Kelten und Germanen sei sie schon verehrt worden, um böse Geister und Hexen zu vertreiben oder auch heilend zu wirken.

„Das mit dem Küssen unterm Mistelzwei­g kam aber erst in den 1970/1980er Jahren als Brauch von England und Irland zu uns“, sagt Altenkirch: „Das kannten wir hier gar nicht. Die Mistel war im Volk auch immer ein positives Symbol gegen Wintertrau­rigkeit und damit ein Symbol dafür, dass das Leben weitergeht“.

Auch wenn es dieses Jahr corona-bedingt nur wenige Weihnachts­märkte gibt, können dennoch Mistelzwei­ge im Handel gekauft werden. „Wir haben diese Woche die ersten geliefert bekommen“, heißt es bei einem Saarbrücke­r Garten-Center. Selbst im Online-Handel gibt es Angebote dazu und auch in manchen Getränkemä­rkten.

Das ist wie ein Infektions­herd“Monika Lambert-Debong Verband der Gartenbauv­ereine Saarland/Rheinland-Pfalz

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FOTO: MARCUS ALTENKIRCH-FESS Durch Misteln abgestorbe­ne Obstbäume an der Straße zwischen Rubenheim und Erfweiler-Ehlingen.
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FOTO: RUPPENTHAL Misteln gelten als Glücksbrin­ger. Aber nicht für Bäume.

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