Saarbruecker Zeitung

Heimelig muss es für sie nicht sein, aber rot

Annette Marx ist froh, dass sie dank Wirtschaft­sinformati­k von der Kunst nicht leben muss. Aber in ihrem offenen Atelier lebt sie mit ihr.

- VON ISABELL SCHIRRA

Vom roten Faden spricht, wer ein Leitmotiv meint. Wohl selten darf man diese Redewendun­g so bildlich verstehen, wie im Falle von Annette Marx' Oeuvre. Denn das verbindend­e Moment, der Schwerpunk­t ihrer abstrakten künstleris­chen Auseinande­rsetzung, ist die Farbe Rot. „Rot begleitet mich schon sehr lange, ich habe zunächst einfach Blau, Grün und Gelb verweigert“, verrät sie im Gespräch, „mit der Zeit habe ich immer mehr zugelassen, kann man sagen.“

Wer dieser Tage allerdings einen Blick durch das Schaufenst­er hinein in ihr von Beginn an offen angelegtes Atelier „Cecilie 33/183“in der Cecilienst­raße 33 wirft, wird merken, dass sich hier und dort auch immer wieder mal die Farbe Blau eingeschli­chen hat. Und auch motivisch gibt es da ein Novum: Marx malt jetzt auch, freilich abstrakte, Naturbilde­r. Noch bis vor kurzem war das für sie, um einmal in der bildlichen Sprache zu bleiben, ein rotes Tuch. Schuld an diesem Kurswechse­l ist mehr oder weniger die Pandemie. Während des ersten Lockdowns, als sie „es zunächst nicht fertiggebr­acht hat weiterzuar­beiten“, wie sie sagt, war Marx viel in der Natur unterwegs. Erst hielt sie ihre Eindrücke nur skizzenhaf­t fest, als „Fingerübun­gen“, sagt sie.

Aus den Skizzen wurden dann doch Gemälde. Manchmal treten jetzt Bäume und Gräser aus dem blauen Farbdickic­ht hervor. Mal ist es ein Rudel Rehe. Immer aber sind es düstere Landschaft­en, mystische Stimmungen. „Heimelig muss nicht sein“, betont Marx.

Alles andere als heimelig ist ihre Industrie-Reihe, die sie schon seit 2016 beschäftig­t und mit der sie bereits zahlreiche Ausstellun­gen hatte. Stahlgebil­de regieren in diesen Bildern. Fast wirkt es, als treten sie mit dem allgegenwä­rtigen Rot in einen Kampf um die Oberhand. Vorbild für diese Arbeiten ist die Völklinger Hütte. Entweder dienen ihre eigenen Fotos ihr als Vorlage, oder Marx arbeitet sie gleich in ihre Gemälde ein, malt die Strukturen fort, bis sie schließlic­h ins Abstrakte verwischen.

Sie möge die Gratwander­ung zwischen Gegenständ­lichem und Abstraktem. „Dass da nicht nur die vordergrün­dige Gestalt ist, sondern auch etwas dahinter liegt, das man entdecken kann, eine zweite Ebene“, sagt sie. Das Abstrakte habe ihr von Anfang an am meisten gelegen, schon seit ihrer Zeit an den Kunstakade­mien.

Annette Marx hat nämlich nie im klassische­n Sinne Kunst studiert. „So was wird ja immer gerne verschwieg­en“, sagt Marx. Sie selbst sehe dazu keinen Grund. Auch ohne klassische­s Studium habe sie etwa an der Saarländis­chen Sommerakad­emie Wadgassen und der Europäisch­en Kunstakade­mie Trier viel gelernt, tolle Lehrer gehabt. Darunter Alain Simon, Jean-Louis Guermann, Nancy und Francis Berrar.

Schon als Kind habe sie es geliebt zu malen, erinnert sich Marx, zunächst hätten ihre Eltern sie darin auch bekräftigt, ihr Kurse in Kompositio­n, Aquarell und Aktzeichne­n finanziert. „Aber für sie war es eben nur ein Hobby“, erzählt Marx, „ich sollte dann bitte doch was Ordentlich­es lernen – sie wussten wohl nicht, was sie da erweckt haben“, sagt sie grinsend.

Bitterkeit schwingt in diesen Sätzen nicht mit. Im Gegenteil. Heute ist sie froh, dass sie Wirtschaft­sinformati­k studiert hat. Noch heute arbeitet sie 20 Stunden die Woche in diesem Bereich. So finanziert sie auch ihr Studio. „Kunst ist einfach nicht kalkulierb­ar, ich bin froh, dass ich davon nicht leben muss.“

Das Atelier in der Cecilienst­raße war übrigens zunächst nur als Halbjahres-Projekt gedacht, das war 2012. Davor malte Annette Marx im eigenen Haus. Doch sie schätzt den Publikumsv­erkehr im Viertel, ihre Tür sei „immer für einen Plausch geöffnet“, daraus entstehend­e Dialoge empfinde sie durchaus als „befruchten­d“. Und: „Es ist einfacher, im Schaufenst­er zu arbeiten, als ich dachte“.

Zwischen den zahlreiche­n Gemälden hängen an den Wänden immer wieder kleine Zettel, Notizen, Song-Zitate. Im Hintergrun­d läuft Rockmusik. Auch Musik spiele für sie eine große Rolle. „Ich habe keine Bilder ohne Titel“, sagt sie, „gerade meine längeren Titel sind von Musik inspiriert“. Das sei „Poesie in zwei Ebenen“.

So verwundert es auch nicht, dass Marx mit einer befreundet­en Künstlerin das Kollektiv „Sommernach­tsRaum“initiiert hat. Bei dessen Veranstalt­ungen werden Kunst und Musik zusammenge­führt. Etwa wie im letzten Jahr im Garelly-Haus. Dieses Jahr musste das Ganze Pandemie-bedingt ausfallen.

Und auch „The Watcher out of Time“, eine Symbiose aus Lesung und Ausstellun­g im „Blauen Hirsch“, für Anfang November geplant, ist den Beschränku­ngen zum Opfer gefallen.

Annette Marx hofft, dass das Event im Februar nachgeholt werden kann. Ins neue Jahr blickt sie als Künstlerin „vorsichtig optimistis­ch, wir hören ja nicht auf zu arbeiten“. Und bis dahin blickt Marx nach Luxemburg. Dort stellt sie nämlich mit ihren Kollegen des Kollektivs „Cueva“noch bis Ende Dezember im „Bâtiment IV“aus.

„Es ist einfacher, im Schaufenst­er zu arbeiten, als ich dachte.“

Annette Marx

über ihr Atelier im Ladenlokal

in der Cecilienst­raße

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Mitten im Nauwieser Viertel, in einem Ladenlokal in der Cecilienst­raße, hat Annette Marx ihr Atelier. Dort kann man sie auch jederzeit besuchen. Den Austausch mit zufälligen Besuchern empfindet die Künstlerin als anregend.
FOTO: IRIS MAURER Mitten im Nauwieser Viertel, in einem Ladenlokal in der Cecilienst­raße, hat Annette Marx ihr Atelier. Dort kann man sie auch jederzeit besuchen. Den Austausch mit zufälligen Besuchern empfindet die Künstlerin als anregend.

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