Heimelig muss es für sie nicht sein, aber rot
Annette Marx ist froh, dass sie dank Wirtschaftsinformatik von der Kunst nicht leben muss. Aber in ihrem offenen Atelier lebt sie mit ihr.
Vom roten Faden spricht, wer ein Leitmotiv meint. Wohl selten darf man diese Redewendung so bildlich verstehen, wie im Falle von Annette Marx' Oeuvre. Denn das verbindende Moment, der Schwerpunkt ihrer abstrakten künstlerischen Auseinandersetzung, ist die Farbe Rot. „Rot begleitet mich schon sehr lange, ich habe zunächst einfach Blau, Grün und Gelb verweigert“, verrät sie im Gespräch, „mit der Zeit habe ich immer mehr zugelassen, kann man sagen.“
Wer dieser Tage allerdings einen Blick durch das Schaufenster hinein in ihr von Beginn an offen angelegtes Atelier „Cecilie 33/183“in der Cecilienstraße 33 wirft, wird merken, dass sich hier und dort auch immer wieder mal die Farbe Blau eingeschlichen hat. Und auch motivisch gibt es da ein Novum: Marx malt jetzt auch, freilich abstrakte, Naturbilder. Noch bis vor kurzem war das für sie, um einmal in der bildlichen Sprache zu bleiben, ein rotes Tuch. Schuld an diesem Kurswechsel ist mehr oder weniger die Pandemie. Während des ersten Lockdowns, als sie „es zunächst nicht fertiggebracht hat weiterzuarbeiten“, wie sie sagt, war Marx viel in der Natur unterwegs. Erst hielt sie ihre Eindrücke nur skizzenhaft fest, als „Fingerübungen“, sagt sie.
Aus den Skizzen wurden dann doch Gemälde. Manchmal treten jetzt Bäume und Gräser aus dem blauen Farbdickicht hervor. Mal ist es ein Rudel Rehe. Immer aber sind es düstere Landschaften, mystische Stimmungen. „Heimelig muss nicht sein“, betont Marx.
Alles andere als heimelig ist ihre Industrie-Reihe, die sie schon seit 2016 beschäftigt und mit der sie bereits zahlreiche Ausstellungen hatte. Stahlgebilde regieren in diesen Bildern. Fast wirkt es, als treten sie mit dem allgegenwärtigen Rot in einen Kampf um die Oberhand. Vorbild für diese Arbeiten ist die Völklinger Hütte. Entweder dienen ihre eigenen Fotos ihr als Vorlage, oder Marx arbeitet sie gleich in ihre Gemälde ein, malt die Strukturen fort, bis sie schließlich ins Abstrakte verwischen.
Sie möge die Gratwanderung zwischen Gegenständlichem und Abstraktem. „Dass da nicht nur die vordergründige Gestalt ist, sondern auch etwas dahinter liegt, das man entdecken kann, eine zweite Ebene“, sagt sie. Das Abstrakte habe ihr von Anfang an am meisten gelegen, schon seit ihrer Zeit an den Kunstakademien.
Annette Marx hat nämlich nie im klassischen Sinne Kunst studiert. „So was wird ja immer gerne verschwiegen“, sagt Marx. Sie selbst sehe dazu keinen Grund. Auch ohne klassisches Studium habe sie etwa an der Saarländischen Sommerakademie Wadgassen und der Europäischen Kunstakademie Trier viel gelernt, tolle Lehrer gehabt. Darunter Alain Simon, Jean-Louis Guermann, Nancy und Francis Berrar.
Schon als Kind habe sie es geliebt zu malen, erinnert sich Marx, zunächst hätten ihre Eltern sie darin auch bekräftigt, ihr Kurse in Komposition, Aquarell und Aktzeichnen finanziert. „Aber für sie war es eben nur ein Hobby“, erzählt Marx, „ich sollte dann bitte doch was Ordentliches lernen – sie wussten wohl nicht, was sie da erweckt haben“, sagt sie grinsend.
Bitterkeit schwingt in diesen Sätzen nicht mit. Im Gegenteil. Heute ist sie froh, dass sie Wirtschaftsinformatik studiert hat. Noch heute arbeitet sie 20 Stunden die Woche in diesem Bereich. So finanziert sie auch ihr Studio. „Kunst ist einfach nicht kalkulierbar, ich bin froh, dass ich davon nicht leben muss.“
Das Atelier in der Cecilienstraße war übrigens zunächst nur als Halbjahres-Projekt gedacht, das war 2012. Davor malte Annette Marx im eigenen Haus. Doch sie schätzt den Publikumsverkehr im Viertel, ihre Tür sei „immer für einen Plausch geöffnet“, daraus entstehende Dialoge empfinde sie durchaus als „befruchtend“. Und: „Es ist einfacher, im Schaufenster zu arbeiten, als ich dachte“.
Zwischen den zahlreichen Gemälden hängen an den Wänden immer wieder kleine Zettel, Notizen, Song-Zitate. Im Hintergrund läuft Rockmusik. Auch Musik spiele für sie eine große Rolle. „Ich habe keine Bilder ohne Titel“, sagt sie, „gerade meine längeren Titel sind von Musik inspiriert“. Das sei „Poesie in zwei Ebenen“.
So verwundert es auch nicht, dass Marx mit einer befreundeten Künstlerin das Kollektiv „SommernachtsRaum“initiiert hat. Bei dessen Veranstaltungen werden Kunst und Musik zusammengeführt. Etwa wie im letzten Jahr im Garelly-Haus. Dieses Jahr musste das Ganze Pandemie-bedingt ausfallen.
Und auch „The Watcher out of Time“, eine Symbiose aus Lesung und Ausstellung im „Blauen Hirsch“, für Anfang November geplant, ist den Beschränkungen zum Opfer gefallen.
Annette Marx hofft, dass das Event im Februar nachgeholt werden kann. Ins neue Jahr blickt sie als Künstlerin „vorsichtig optimistisch, wir hören ja nicht auf zu arbeiten“. Und bis dahin blickt Marx nach Luxemburg. Dort stellt sie nämlich mit ihren Kollegen des Kollektivs „Cueva“noch bis Ende Dezember im „Bâtiment IV“aus.
„Es ist einfacher, im Schaufenster zu arbeiten, als ich dachte.“
Annette Marx
über ihr Atelier im Ladenlokal
in der Cecilienstraße