„Wir müssen uns professioneller aufstellen“
Der Vizepräsident des FCS spricht über die Tabellenführung in der 3. Liga, den möglichen Aufstieg und Personalentscheidungen.
Nach dem historischen Einzug ins DFB-Pokal-Halbfinale sorgt der 1. FC Saarbrücken auch in der neuen Saison für Schlagzeilen. Noch nie in der Geschichte der 3. Fußball-Liga ist ein Aufsteiger besser gestartet. Vizepräsident Dieter Ferner spricht im SZ-Interview über die souveräne Tabellenführung, den möglichen Aufstieg in die 2. Bundesliga und Herausforderungen in der Zukunft.
Herr Ferner, sind Sie gerade neben Dieter Mayer vom FC Bayern München vielleicht der glücklichste Vizepräsident im deutschen Fußball?
DIETER FERNER (lacht) Ich dachte, ich kenne mich ein bisschen aus. Der Name ist mir bislang im Zusammenhang mit Bayern München noch nicht begegnet. Es gibt da keine zwei Meinungen, dass man mit der aktuellen Situation bei uns sehr zufrieden sein kann. Aber es ist eine Momentaufnahme, und Fußball ein schnelllebiges Geschäft.
Vor fast genau einem Jahr haben
Sie gemeinsam mit dem damaligen Sportdirektor Marcus Mann eine Entscheidung getroffen, die viele Außenstehende nicht nachvollziehen konnten: die Trennung von Trainer Dirk Lottner auf Tabellenplatz eins der Regionalliga. Würden Sie heute noch mal so handeln?
FERNER Marcus und ich haben damals eine Analyse erstellt, auf deren Grundlage das Präsidium dann diese Entscheidung getroffen hat. Unter den gleichen Voraussetzungen würden wir die Entscheidung noch mal so treffen.
Hatten Sie damals nicht Angst, dass Ihnen der Trainerwechsel um die Ohren fliegt? Sie haben auf der wenig später durchgeführten Mitgliederversammlung ja gesagt, dass Sie kerzengerade zur Entscheidung stehen – auch mit allen möglichen Konsequenzen.
FERNER Angst ist ein schlechter Ratgeber. Man ist in so eine Position nicht gewählt worden, um das zu tun, was von einem erwartet wird, sondern um das zu tun, was man für richtig hält. Natürlich war das ein Ritt auf der Rasierklinge. Wenn das schiefgegangen wäre, hätte ich mit Sicherheit auch persönliche Konsequenzen gezogen.
Nach Dirk Lottner kam Lukas Kwasniok. Wie erleben Sie den neuen Mann an der Seitenlinie?
FERNER Lukas war natürlich nicht der einzige Trainer, mit dem wir gesprochen haben. Drei Dinge haben mich in dem Gespräch mit ihm aber besonders beeindruckt: 1. Er kannte unsere damalige Mannschaft fast besser als wir selbst. 2. Er hat von sich aus sofort über seine Fehler gesprochen, die er im zweiten Jahr in Jena gemacht hat. 3. Vertragslaufzeit und die Verlängerung nur bei Aufstieg waren in zehn Sekunden abgehakt. Sein Coaching an der Seitenlinie und seine Spielphilosophie kommen bei der Mannschaft an. Das ist das Wichtigste.
Sein Vertrag läuft im Sommer 2021 aus.
FERNER Das ist richtig. Wir werden uns in den nächsten Wochen zusammensetzen, um über diese Dinge zu sprechen. Das gilt natürlich auch für die Spieler, deren Verträge auslaufen. Wir müssen aber natürlich vorher im Präsidium abklären, welche finanziellen Möglichkeiten wir in der neuen Spielzeit haben. Denn die äußeren Umstände, wie sie zurzeit sind, treffen nicht nur andere Vereine, sondern uns genauso.
Mit Kwasniok kam der Aufstieg, das DFB-Pokal-Halbfinale gegen Bayer Leverkusen. Feste des Fußballs, die man nicht mit Fans feiern konnte. Welche Rückmeldungen bekommen Sie aktuell von Mitgliedern und Anhängern – und auf welchen Kanälen?
FERNER Ich bin nicht in den Sozialen Netzwerken unterwegs, das stimmt. Es ist sehr traurig, dass man diese Feiertage nicht gemeinsam erleben durfte und darf. Die Euphorie im Umfeld, die einen Aufsteiger sonst trägt, ist bei uns ja völlig weggefallen. Wir zeigen im Moment den Fußball, den wir aktuell spielen können – ohne die Hilfe von den Rängen. Und natürlich treffe ich schon mal den ein oder anderen Fan, der sonst auswärts wie zuhause bei den Spielen dabei wäre. Für die ist das genauso traurig wie für mich. An Geisterspiele kann ich mich einfach nicht gewöhnen. Am Fernseher geht es ja noch, im Stadion ist es aber einfach nur furchtbar. Aber die Zeiten sind nun mal so.
Es gab eine weitere wichtige Personaländerung beim FCS. Sportdirektor Marcus Mann hat den Verein trotz eines laufendes Vertrags verlassen. Wie sehr ärgert es den Vizepräsidenten, wenn die Nachwuchsabteilung eines Bundesligisten für einen leitenden Angestellten attraktiver ist als der eigene, wieder aufstrebende Traditionsverein?
FERNER Bei der TSG Hoffenheim arbeiten im Nachwuchsbereich rund 150 Menschen, das sind mehr als bei uns im gesamten Verein. Das muss man dann ganz realistisch einordnen. Und natürlich hat Marcus irgendwo im Hinterkopf, dass er von dort den nächsten Schritt in seiner Karriere gehen kann. Ich drücke ihm dafür die Daumen.
Telefonieren Sie noch mit Marcus?
FERNER Natürlich. Es gibt immer noch Dinge zu besprechen. Aber wir reden längst nicht mehr jeden Tag.
Manns Nachfolger Jürgen Luginger könnte der „neue Ferner“werden. Schließlich war er schon Spieler, Trainer und Sportdirektor. Trauen Sie ihm den Vizepräsidenten auch noch zu? Und wie sehen Sie seine Arbeit bisher?
FERNER Ob er das will, weiß ich nicht. Es ist für Jürgen eine neue Rolle, auch wenn er in Oberhausen vor einiger Zeit schon einmal Sportdirektor war. Er kam zu uns, als einige Entscheidungen für diese Saison bereits getroffen oder in Vorbereitung waren, die er dann zu Ende geführt hat. Er arbeitet jetzt im Tagesgeschäft und natürlich schon im Hinblick auf die neue Saison.
Sie sind mittlerweile 71, Präsident Hartmut Ostermann 69 Jahre alt. Sie sind noch für weitere zwei Jahre gewählt. Wird das Duo Ostermann/ Ferner noch einmal antreten? Gibt es Pläne für die Durchführung der eigentlich im Dezember anstehenden Mitgliederversammlung?
FERNER Ob und wie die Versammlung stattfinden kann, oder ob wir sie verschieben, darüber werden wir in den nächsten Tagen entscheiden. Das hängt größtenteils von der Verordnungslage ab. Ob ich weitermache? Zur Zeit ist ja erst ein Jahr der laufenden Legislaturperiode um, so dass ich mir noch keine Gedanken mache, was 2022 sein wird. Wobei da auch der liebe Gott noch ein Wort mitzusprechen hat.
Sie haben als Trainer einst den 17-jährigen Großrosseler Manuel Zeitz zu den Profis geholt, Zeitz ist heute Kapitän und Gesicht des FCS und spielt in der Form seines Lebens. Was macht das mit Ihnen?
FERNER Ich kann mich noch genau erinnern. Wir haben beim Testspiel in Bübingen 4:5 verloren. Der einzige, der immer den Kopf oben hatte, war Manuel. Als A-Jugendlicher. Da habe ich ihn mit nach Bad Breisig genommen – und von da an war er nicht mehr wegzudenken. Jede Mannschaft, jeder Verein braucht ein Gesicht. Manuel verkörpert das bei uns mit allem, was er hat. Er hat sich fußballerisch noch mal weiterentwickelt, ist gereift. Seine erste Drittliga-Saison bei uns war sehr gut, im Moment ist er noch besser.
Der FCS hat in der 3. Liga zuletzt Viktoria Köln dominiert, davor Titelkandidaten wie Dynamo Dresden, 1860 München oder Hansa Rostock besiegt. Hat der FCS das Zeug dazu, bis zum Ende vorne mitzuspielen?
FERNER Wir können ja nur die ersten zehn Spiele betrachten. Dabei war das erste in Lübeck das schlechteste. Da kamen sieben oder acht Mann nicht an ihr Leistungsvermögen heran. Dass wir trotzdem 1:1 gespielt und einen Punkt geholt haben, hat mich optimistisch gestimmt, dass wir in der Liga mithalten können.
Das Ziel eines Aufsteigers ist oftmals Klassenverbleib. Wann muss der beste Aufsteiger aller Zeiten in der 3. Liga anfangen, sich neue Ziele zu setzen?
FERNER Dass wir so dominant auftreten, war nicht zu erwarten. Aber wir haben Stand jetzt in der Rückrunde noch sechs englische Wochen. Irgendwelche Nachholspiele sind nicht eingerechnet. Da kann viel passieren. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen. Ziel war, nicht abzusteigen – und das hast du erreicht, ob du auf Platz eins oder 16 stehst.
Der Verein braucht dringend Neuzugänge neben dem Feld, die der DFB vorschreibt, aber bislang wegen Corona nicht einfordert – etwa einen Pressesprecher, einen Marketingbeauftragten oder einen hauptamtlichen Fanbetreuer. Was müsste zusätzlich alles getan werden, wenn der Durchmarsch gelingen könnte – auch im Stadion?
FERNER Uns ist allen klar, dass wir uns breiter und professioneller aufstellen müssen. Unabhängig vom Ausgang dieser Saison. Aber auch hier bestimmen die äußeren Umstände unser Handeln. Das heißt: Den Laden mit den jetzt vorhandenen am Laufen halten. Beim Stadionumbau sind wir weiterhin nur interessierter Beobachter an der Seitenlinie. Ich möchte mich aber noch mal bei den Verantwortlichen der Stadt bedanken, dass wir seit dem ersten Spieltag unsere Spiele wieder im Ludwigspark austragen konnten. Anfang August hatten selbst die größten Optimisten damit nicht gerechnet.
Im Ludwigsparkstadion darf gespielt werden, für den FCS ist das ungemein wichtig. Aber wie sehr nervt das Thema gerade vor dem Hintergrund, dass die Spielfläche Sorgen macht und jetzt sogar Gerichte beschäftigt?
FERNER Um in Zukunft das Überleben des Vereins zu sichern, war der Neu- beziehungsweise Umbau alternativlos. Natürlich nervt das Thema aktuell. Aber man hat schon gesehen, was für eine Stimmung bei den ersten Spielen mit 900 Zuschauern war. Wir sind froh, im Park spielen zu dürfen, weil die Alternativen Frankfurt und Völklingen sicher deutlich negativer gewesen wären. Und wir sind dankbar, dass wir in diesen Tagen überhaupt spielen können. Auch wenn wir dafür zwei Mal in der Woche testen müssen und das zusätzlich ein Schweinegeld kostet.
Übernächsten Samstag kommt es zum ersten Mal in diesem Jahrtausend zu einem Punktspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern. Was erwarten Sie von diesem für viele Fans wichtigsten Spiel der Saison?
FERNER Auch dafür gibt es nur drei Punkte. Mit Zuschauern wäre es sicher ein Saison-Highlight geworden, schließlich warten unsere Fans schon seit 1993 auf dieses Derby – auch wenn es zwischendurch mal ein Pokalspiel gab. Dass sie nicht dabei sein können, ist für viele hartes Holz. Wir sind sehr gut gestartet, aber das wird in diesem Spiel nicht zählen. Kaiserslautern hat große Qualität im Kader, die sie bislang nicht auf den Platz gebracht haben. Sie wissen auch, dass sie mit einem Sieg in Saarbrücken den schlechten Start vergessen machen können. Es wird wie jedes Spiel in dieser Liga eine enge Kiste, aber wenn wir unsere Leistung abrufen, können wir auch diesen Gegner schlagen.