Saarbruecker Zeitung

Der kolumbiani­sche Frieden ist extrem blutig

Vier Jahre nach dem Abkommen hält die Gewalt in dem südamerika­nischen Land an. Heute geht es nicht mehr um Ideologie, sondern um Macht und Profit.

- KLAUS EHRINGFELD

Das Opfer Nummer 242 hieß Bryan Steven Montes und starb nur wenige Tage vor dem Jahrestag. Montes, früher Farc-Rebell und seit Jahren demobilisi­ert, wurde am Wochenende in der kleinen Ortschaft Puerto Caicedo im Departemen­t Putumayo mit mehreren Schüssen regelrecht hingericht­et. In der Region im Südosten Kolumbiens operieren mehrere illegale bewaffnete Gruppen: vor allem Drogenband­en und die sogenannte Farc-Dissidenz, also diejenigen Kombattant­en der früheren Revolution­ären Streitkräf­te Kolumbiens (Farc), die dem vor vier Jahren unterzeich­neten historisch­en Friedensab­kommen den Rücken gekehrt haben.

Seit Ende November 2016 herrscht nun offiziell Frieden zwischen der ältesten Rebellengr­uppe des südamerika­nischen Landes und dem kolumbiani­schen Staat. Das Abkommen wurde seinerzeit global gefeiert, Kolumbiens damaliger Präsident Juan Manuel Santos erhielt dafür den Friedensno­belpreis. Von den 13 000 Männern und Frauen, die damals die Waffen niederlegt­en, sind 90 Prozent im Programm geblieben und versuchen, sich ein Leben als Bauern, Kaffeepfla­nzer, Touristenf­ührer oder in anderen Berufen aufzubauen.

Und so richtig es ist, dass Kolumbien seither sicherer geworden ist, so richtig ist es, dass das Hauptversp­rechen aus dem Abkommen ausgeblieb­en ist. Der kolumbiani­sche Frieden ist überaus blutig. Nicht nur wegen der ermordeten 242 Rebellen, die längst die Waffen abgegeben hatten. Sondern auch deshalb, weil sich die Gewalt verändert, verschoben und atomisiert hat. Es gebe zwar keinen Krieg „nationaler Tragweite“mehr, wie er bis 2016 mehr als ein halbes Jahrhunder­t gewütet habe, schreibt die „Stiftung Ideen für den Frieden“(Fip). Aber inzwischen gebe es viele lokale und regionale Konflikte in rund zwei Dritteln der 32 Departemen­ts des Landes. Treiber seien

„Kämpfe um die Vorherrsch­aft über Zweige der illegalen Ökonomie“. Dabei gehe es nicht mehr um Ideologie, sondern ausschließ­lich um Macht und Profit, befindet die Fip.

Das Vakuum, das die Farc nach Demobilisi­erung und Abzug aus ihren riesigen Einflusszo­nen seinerzeit hinterließ­en, hat nicht wie versproche­n der Staat gefüllt, sondern andere illegale Gruppen wie die kleine Linksgueri­lla ELN, ultrarecht­e Paramilitä­rs oder Drogenkart­elle. Insgesamt ist es mindestens ein Dutzend bewaffnete­r Gruppen, die in dem südamerika­nischen Land um Routen und Reviere für Rauschgift und andere Waren kämpft. Hinzu kommen eben die vom Friedenspr­ozess enttäuscht­en ehemaligen Farc-Rebellen, die erneut zu den Waffen greifen und sich Farc-Dissidenz nennen.

Wie unter einem Brennglas bündeln sich im südwestlic­hen Departemen­t Cauca diese Probleme. Es ist eine strategisc­he Region im komplexen Gewaltpano­rama des Landes. Das Cauca ist eines der größten Koka- und Marihuana-Anbaugebie­te, verfügt über reichlich Mineralien, Wasser und Kohle. Zudem ist die Region ein wichtiger Korridor zur Pazifikküs­te. Kurzum: Das grüne und bergige Departemen­t ist wie eine Blaupause der Probleme Kolumbiens: Rauschgift­schmuggel, illegaler Bergbau, Landraub, Vertreibun­g. Und hier mischen alle illegalen Gruppen mit, sie zwangsrekr­utierten Kinder und haben in den vergangene­n Jahren mehr als 200 soziale Aktivisten wie Indigenen-Anführer, Gewerkscha­fter oder afrokolumb­ianische Vertreter oder eben die demobilisi­erten Farc-Kämpfer ermordet.

Anfang November empfing Kolumbiens rechter Präsident Iván Duque sogar eine Delegation der Demobilisi­erten im Präsidente­npalast, die zuvor über Wochen aus dem ganzen Land in einem Sternlauf nach Bogotá marschiert waren. Duque, ein brennender Gegner des Friedensab­kommens, hörte sich die Klagen der Ex-Kämpfer an. Aber wirklich etwas für sie und gegen die Gewalt in den Provinzen hat auch er nicht getan.

Mindestens ein Dutzend bewaffnete­r Gruppen kämpft um Routen und Reviere für Rauschgift und anderen Waren.

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