Kunstbanausen am Werk? Graffiti vernichtet
Die Stadt Saarbrücken hat die Freigabe für die legalen Graffiti-Wände unter der WilhelmHeinrich-Brücke zurückgezogen und die Kunstwerke überstrichen. Politik und Künstler reagieren verstimmt.
Alexander Karle ist sauer. Der Saarbrücker Künstler war einigermaßen überrascht, als er in der letzten Woche unter der Wilhelm-Heinrich-Brücke spazierte und entdeckte, dass dort legale Graffiti-Flächen mit grauer Farbe übermalt worden waren. Er selbst hatte erst im Sommer am linken Saarufer beim Wettbewerb „Graffiti für Europa“des Ortverbandes Mitte von Bündnis 90/Die Grünen zwei Säulen gestaltet und den Wettbewerb damit gewonnen.
Am rechten Ufer hatte der bedeutende Street-Art-Künstler Cone The Weird gemeinsam mit Axiom die lange Widerlagerwand der Brücke zwischen Berliner Promenade und Staden mit einem Bild gestaltet und weitere Künstler die Säulen, welche die Brücke tragen.
Nun herrscht dort Betongrau. Karle ist nicht nur wütend, dass die Kunstwerke übermalt wurden, ihm geht es vor allem um die zurückgezogene Freigabe der Flächen. Eine Anfrage bei der Stadt bestätigt die Übermalungen.
Stadtpressesprecher
Thomas
Blug erklärt: „Saarbrücken hatte Fördergelder für die Sanierung und Umgestaltung von Land und EU bekommen. Ein Lichtkonzept und ein heller Anstrich sollten für eine bessere Atmosphäre sorgen.“
Im Anhang zu den Förderrichtlinien war festgeschrieben worden, dass es eine helle Bemalung geben müsse, um Angsträume zu vermeiden und das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in der dunklen Unterführung zu verbessern. Den Passus in den Richtlinien habe man übersehen. Als die Flächen im Jahr 2017 für legale Graffiti
Cone The Weird
freigegeben wurden, habe man kreativen Raum schaffen und das illegale Graffiti eindämmen wollen, was unter der Brücke auch gut funktioniert habe, so Blug.
Ursache für die Übermalungen war ein Hinweis des saarländischen Ministeriums für Inneres, Bauen und Sport, das im Oktober darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die Freigabe der Wände gegen die Fördervorgaben des EU-Regionalfonds verstieß und eine Rückforderung der Fördergelder durch die EU drohen könnte. Diesem Risiko wollte man sich nicht aussetzen und habe das Überstreichen der Wände und Säulen in Hellgrau angeordnet.
Die Stadtverwaltung gesteht den Fehler ein und bedauert. Man habe in bester Absicht gehandelt, sei aber zur Übermalung gezwungen gewesen. Thomas Blug verspricht: „Auch wenn es nicht leicht wird, werden wir versuchen, Ersatzflächen anzubieten.“
Das sieht Künstler Karle kritisch: „Die Flächen dort unten waren perfekt. Eine große Wand und die vielen Säulen waren wunderbare Malflächen. Es ist ein Skandal, dass in
Zeiten, in denen immer wieder betont wird, wie wichtig Kunst und Kultur sind, so bürokratisch gehandelt wird.“
Cone The Weird sieht das ähnlich: „Ich finde es sehr traurig, dass so kurze Zeit nach der Freigabe und mit einer solch kleinkarierten Begründung dieser Schritt gemacht wurde. Es ist sehr frustrierend, dass auf eine solch bornierte Weise agiert wird und man Subkulturen vorurteilsbehaftet kategorisiert und abstempelt.“
Der Künstler glaubt, die Begründung, sei auf „Vorurteile und Geschmacksfragen“zurückzuführen komme einer Zensur verdächtig nahe. Und ergänzt: „Da gibt es nichts zu fürchten, was eines Menschen Sicherheit tangieren könnte. Helle, blanke Wände geben per se kein Sicherheitsgefühl.“
Oppositionsfraktionen und Koalition im Stadtrat fordern nun Aufklärung. SPD und Linke sprechen von einem Skandal und sehen Kunstbanausen am Werk. Sie protestieren gegen die Entfernung.
Doch auch die Koalitionsfraktionen sind verstimmt. Während die CDU zurückhaltend reagiert und zur Ausweisung neuer Flächen aufruft, hofft die FDP auf ein positives Ergebnis einer rechtlichen Prüfung und die Wiederherstellung der legalen Flächen. Man bedauere die Beseitigung der Graffiti, so der kulturpolitische Sprecher der FDP-Stadtratsfraktion, Hermann Simon.
Die Grünen sind entsetzt und sehen das Engagement junger Künstler mit Füßen getreten. Stadtratsmitglied Claudia Schmelzer vom Ortsverband Mitte bedauert den
Vorfall außerordentlich und drängt auf eine Prüfung des Vorganges. „Gleichzeitig erwarten wir, dass Alternativflächen gefunden und schnell zur Verfügung gestellt werden“, teilt Schmelzer mit.
Das verspricht auch die Stadtverwaltung und prüft, ob und wie man den Wegfall der Flächen kompensieren könne.
Die Künstler proben inzwischen den Aufstand und arbeiten mit Guerilla-Aktionen. Nahezu jeden Tag sind die Wände von Künstlern
„Es ist sehr frustrierend,
dass auf eine solch bornierte Weise agiert wird und man Subkulturen vorurteilsbehaftet kategorisiert und
abstempelt.“
„Es ist grotesk, dass ich auf der einen Seite der Brücke eingeladen, gefeiert und prämiert wurde und auf der anderen Seite angegriffen und
angezeigt werde“
Alexander Karle
wurde bei einer Guerilla-Aktion, die die
Künstler gestartet haben, erwischt
mit Linien oder Statements bemalt, und das Anti-Graffiti-Team muss ausrücken. Am Dienstagmorgen etwa prangten die Konterfeis von Oberbürgermeister Uwe Conradt und Innenminister Klaus Bouillon unter der Brücke.
Karle selbst wurde am Mittwochnachmittag bei einer Aktion erwischt und angezeigt. „Es ist grotesk, dass ich auf der einen Seite der Brücke eingeladen, gefeiert und prämiert wurde und auf der anderen Seite angegriffen und angezeigt werde“, so der Saarbrücker. Er wolle einen Diskurs um den Ort befeuern und die Wände für das legale Arbeiten im öffentlichen Raum erhalten.