Saarbruecker Zeitung

Türkei verurteilt Dündar zu 27 Jahren Haft

Gericht in Istanbul wirft dem in Deutschlan­d im Exil lebenden Journalist­en Spionage und Terror-Unterstütz­ung vor.

- VON MIRJAM SCHMITT UND ERGIN HAVA

(dpa) Der im deutschen Exil lebende Journalist Can Dündar ist in der Türkei zu mehr als 27 Jahren Haft verurteilt worden. Dündar, 2017 mit dem Homburger Siebenpfei­ffer-Preis geehrt, erhielt am Mittwoch eine Strafe von 18 Jahren und neun Monaten, weil er nach Ansicht der Richter Staatsgehe­imnisse mit dem Ziel der militärisc­hen oder politische­n Spionage beschafft hatte. Das Gericht in Istanbul verurteilt­e ihn zudem zu acht Jahren und neun Monaten Haft wegen Unterstütz­ung einer Terrororga­nisation. Damit ist die Bewegung um den islamische­n Prediger Fethullah Gülen gemeint, den die Türkei für den Putschvers­uch von 2016 verantwort­lich macht.

Von dem Vorwurf, geheime Informatio­nen bekanntgeg­eben zu haben, wurde Dündar freigespro­chen. Das Gericht ordnete erneut die Festnahme des Journalist­en an – Schritte zu seiner Auslieferu­ng sollen demnach eingeleite­t werden. Seit dem Spätsommer 2016 lebt Dündar in Deutschlan­d. Die Organisati­on Reporter ohne Grenzen (RSF) wertete das Urteil als politisch motiviert. Bundesauße­nminister Heiko Maas sagte dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND), es sei ein „harter Schlag gegen die unabhängig­e journalist­ische Arbeit in der Türkei“. Journalism­us sei kein Verbrechen.

Hintergrun­d des Verfahrens ist ein Zeitungsbe­richt aus dem Jahr 2015, in dem die Zeitung Cumhuriyet geheime Informatio­nen veröffentl­ichte, die Waffenlief­erungen der Regierung an islamistis­che Rebellen

in Syrien belegen sollten. Beamte der Gendarmeri­e hatten demnach 2014 in der Grenzprovi­nz Hatay verdächtig­e Lastwagen des türkischen Geheimdien­stes MIT nach Syrien gestoppt. Damals war Dündar Chefredakt­eur der Cumhuriyet. Die Beamten wurden später beschuldig­t, Verbindung­en zu der Gülen-Organisati­on zu haben.

Die Anwälte Dündars kündigten Berufung gegen das Urteil an. Sie boykottier­ten am Mittwoch die Verhandlun­g, weil sie kein Urteil legitimier­en wollen, das zuvor politisch entschiede­n worden sei.

Der RSF-Geschäftsf­ührer Christian Mihr sagte, die Entscheidu­ng sei ein „deutliches politische­s Signal der Einschücht­erung an alle anderen unabhängig­en Journalist­en“. Das Urteil sei hart, aber letztlich nicht überrasche­nd, weil Dündar ein „Symbol für unabhängig­en Journalism­us und Pressefrei­heit ist“. Er sei auch im Exil nicht verstummt. Von Deutschlan­d aus betreibt Dündar etwa das kritische Online-Medium Özgürüz („Wir sind frei“).

Die Vorsitzend­e des Ausschusse­s für Menschenre­chte und humanitäre Hilfe im Bundestag, Gyde Jensen (FDP), erklärte: „Dieses Urteil zeigt einmal mehr: Wer in der Türkei als Journalist das tut, was die vierte Gewalt als freie Presse in einem Rechtsstaa­t tun sollte, muss dafür mit seiner Freiheit bezahlen.“Das Urteil sei aber auch eine ganz persönlich­e Rache an Erdogans profiliert­esten Kritikern. „Die Bundesregi­erung muss jetzt dafür sorgen, dass Can Dündar vor den Zugriffen Erdogans in Deutschlan­d sicher ist“, appelliert­e sie.

Der menschenre­chtspoliti­sche Sprecher der SPD-Bundestags­fraktion, Frank Schwabe, erklärte: „Das Urteil gegen Can Dündar zeigt in erschrecke­nder Weise die gesteuerte Justiz in der Türkei.“Das Land bewege sich bereits am Rande eines Ausschluss­verfahrens aus dem Europarat, weil es Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte in den Fällen des Opposition­spolitiker­s Selahattin Demirtas und des Kulturförd­erers Osman Kavala nicht umsetze. Die Linken-Abgeordnet­e Sevim Dagdelen nannte das Urteil einen „Skandal“und forderte: „Statt Solidaritä­t mit der verfolgten Opposition zu heucheln, muss die Bundesregi­erung ihren Schmusekur­s gegenüber Erdogan beenden und klare Kante gegen dieses menschenve­rachtende Regime zeigen.“

Dündar war für die Veröffentl­ichungen in der Cumhuriyet bereits 2016 zu mehr als fünf Jahren Haft wegen Geheimnisv­errats verurteilt, aber vom Vorwurf der Spionage freigespro­chen worden. Der Oberste Gerichtsho­f in Ankara hatte das Urteil 2018 aufgehoben und erklärt, ein neues Verfahren gegen Dündar müsse um den Strafbesta­nd der Spionage erweitert werden.

Am Tag seiner Verurteilu­ng 2016 war vor dem Istanbuler Gerichtsge­bäude ein Anschlag auf Dündar versucht worden. Er blieb unverletzt. Zuletzt hatte ein Gericht Dündar für flüchtig erklärt. Daraufhin war sein Vermögen in der Türkei beschlagna­hmt worden. Das Gericht hielt am Mittwoch an dieser Entscheidu­ng fest. Gegen den Journalist­en laufen mehrere Verfahren in der Türkei.

„Das ist ein harter Schlag gegen die unabhängig­e journalist­ische Arbeit in der Türkei.“Heiko Maas (SPD) Bundesauße­nminister

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FOTO: BÄNSCH/DPA Seit 2016 lebt Can Dündar in Deutschlan­d. Die türkischen Behörden fordern seine Auslieferu­ng.

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