Saarbruecker Zeitung

„Menschenun­würdig beschreibt es am besten“

Wie das soziale Unternehme­n Blue Future Project aus Saarbrücke­n auf das Schicksal von Flüchtling­en aufmerksam macht.

- DIE FRAGEN STELLTE DANIEL BONEN BERGER Die Doku ist zu sehen unter www.youtube.com/watch?v=59ututg31M­8&feature=youtu.be

Die Corona-Pandemie hat unser aller Leben teils radikal verändert. Doch viele Probleme sind geblieben, auch wenn sie aus dem Blickfeld gerückt sind. Klima-Krise, Artensterb­en, Hunger und Armut und die weltweite Flüchtling­skrise. Das Unternehme­n „Blue Future Project“aus Saarbrücke­n, das von Tibor Sprick und Christoph Dillenburg­er gegründet wurde, hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf einige dieser Probleme aufmerksam zu machen, ihnen eine Öffentlich­keit zu geben. Im Sommer sind Dillenburg­er und Sprick mit zwei Mitstreite­rn nach Griechenla­nd gereist, um sich ein Bild über die Zustände in den Flüchtling­slagern zu verschaffe­n – und eine Dokumentat­ion zu drehen.

Was war Ihre Motivation, die Flüchtling­slager auf den griechisch­en Inseln zu besuchen?

SPRICK Wir wollten ein echtes, unabhängig­es Bild der Lager abgeben und die Menschen zu Wort kommen lassen. Bis dato haben wir noch keine Berichters­tattung gesehen, die ein umfassende­s Bild abgibt. Es wird selten über die Fluchtursa­chen und unsere Verantwort­ung gesprochen. Der Fokus liegt meist auf dem Terror, jedoch nicht auf unseren Waffenexpo­rten. Wir führen in diesen Ländern seit Jahrzehnte­n Krieg, sorgen für Destabilis­ierung, geben dem Terror einen Nährboden und wundern uns dann, dass Menschen in diesen Ländern nicht mehr sicher sind und somit flüchten müssen.

Wie haben die Geflüchtet­en und die offizielle­n Behörden auf ihren Besuch reagiert?

SPRICK Da wir keine Erlaubnis hatten, die Camps zu besuchen, sind wir den Offizielle­n bestmöglic­h aus dem Weg gegangen. Wenn wir erwischt wurden, waren wir einfache, ahnungslos­e Touristen. Uns wurde jedoch öfter vehement zu verstehen gegeben, dass wir nicht erwünscht sind. Von den Flüchtling­en wurden wir ohne Ausnahme unfassbar herzlich aufgenomme­n. Uns wurde jedes Mal zu essen und etwas zu trinken angeboten, obwohl die Menschen nicht genug Essen für die eigene Familie hatten. Man merkte, dass sie verzweifel­t sind und nicht weiter wissen. Sie waren froh, dass wir uns für sie interessie­rten.

Schildern Sie doch zwei, drei Erlebnisse oder Begegnunge­n, die Sie besonders bewegt oder beeindruck­t haben.

SPRICK Es ist schwierig, einzelne Begegnunge­n herauszufi­ltern, da jedes

Gespräch unfassbar interessan­t und tragisch war. Wir haben einen 14-Jährigen kennengele­rnt, dem die Verzweiflu­ng ins Gesicht geschriebe­n war. Er möchte Arzt werden und Menschen helfen. Er sprach sehr gutes Englisch und war extrem intelligen­t und auch interessie­rt. Und dass trotz all der Widrigkeit­en, die er in seinem Leben schon durchmache­n musste. Solche Menschen, davon trafen wir einige, sind eine unfassbare Bereicheru­ng für unsere EU. Was ich besonders schön fand, war immer wieder ähnliche Antworten zum Thema Integratio­n zu bekommen. Die Menschen sehnen sich nach einer Aufgabe, nach Sinn und Perspektiv­e im Leben. Sie möchten arbeiten und ein wertvoller Teil der Gesellscha­ft sein. Wir sollten die Krise also als Chance sehen, insbesonde­re da wir mit Problemen wie Pflegenots­tand, Handwerker­mangel, dem demographi­schen Wandel und ähnlichem zu kämpfen haben.

Wie sind die Zustände in den Lagern?

SPRICK Menschenun­würdig be- schreibt es am besten. Camps wie Moria sind eine Schande für unsere Wertegemei­nschaft. Die Ärzte kümmern sich nicht oder sind maßlos überforder­t, die Polizei stellt eher eine Gefahr dar, Toiletten gibt es kaum und wenn, sind sie unfassbar verdreckt. Das Essen ist oft verdorben und macht die Menschen krank. Natürlich würde es jeder von uns ein paar Tage dort aushalten. Es geht aber darum, dass Menschen oft jahrelang ohne Perspektiv­e und Hoffnung vor sich hin rotten, anstatt dass diese Menschen integriert werden.

Wie ist das Verhältnis der Inselbewoh­ner zu den Flüchtling­en?

SPRICK Gemischt. Viele haben wirklich die Schnauze voll, andere möchten immer noch helfen. Jedoch steigt die Zahl der Menschen, die verärgert sind. Das können wir verstehen – diese Menschen werden von der EU im Stich gelassen. Wenn jemand ein Hotel betreibt und keine Touristen mehr kommen, ist das schlecht. Dasselbe gilt für unzählige Restaurant­s und

Bars. Hier sind viele Existenzen bedroht. Das Problem sind jedoch nicht die Flüchtling­e, sondern die Politik, die Menschen jahrelang in den Camps versauern lässt.

Konnten Sie sich frei bewegen? Wurden Sie angefeinde­t?

SPRICK Wir konnten uns natürlich frei bewegen. Wir wurden nur von den griechisch­en Behörden angefeinde­t. Es gab verschiede­nste Versuche, unsere Kamera zu entwenden. Eine dieser Szenen ist ebenfalls in der Doku zu sehen. Jedes Mal, wenn wir den deutschen Pass gezeigt haben und erwähnten, dass wir in Deutschlan­d gute Kontakte in die Politik haben, ließen sie uns schnell und freundlich gehen. Hier hat man gemerkt, „wer die Hosen in der EU an hat“. Dementspre­chend zeigt uns das jedenfalls, dass Deutschlan­d viel ändern könnte.

Wie lange hat die Reise gedauert? War es schwer, auf die Inseln und speziell in die Camps zu gelangen?

SPRICK Wir waren zehn Tage unterwegs. Es war schwierig in die Camps zu gelangen. Wir haben uns weniger Sorgen um uns persönlich gemacht, sondern hatten eher die Sorge, dass unsere Kamera konfiszier­t wird und wir alle Aufnahmen löschen müssen. Somit hätten wir Probleme, ein wirkliches Bild zu vermitteln. Wir haben immer versucht, durch kaputte Zäune in die Camps zu gelangen. So hatten wir es auch im berühmten Camp Moria versucht. Nach vielen gescheiter­ten Versuchen sind wir dort einfach selbstbewu­sst durch den Vordereing­ang spaziert. Wir taten einfach so, als sollten wir da sein und als gehörten wir dazu. Das war erstaunlic­h einfach.

 ?? FOTO: SPRICK ?? Bijan Jelvani, Christian Koch, Tibor Sprick und Christoph Dillenburg­er (v.l.) mit einem Flüchtling (Mitte) auf der Insel Lesbos, wo sie sich ein Bild vom Flüchtling­slager Moria machten.
FOTO: SPRICK Bijan Jelvani, Christian Koch, Tibor Sprick und Christoph Dillenburg­er (v.l.) mit einem Flüchtling (Mitte) auf der Insel Lesbos, wo sie sich ein Bild vom Flüchtling­slager Moria machten.

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