„Menschenunwürdig beschreibt es am besten“
Wie das soziale Unternehmen Blue Future Project aus Saarbrücken auf das Schicksal von Flüchtlingen aufmerksam macht.
Die Corona-Pandemie hat unser aller Leben teils radikal verändert. Doch viele Probleme sind geblieben, auch wenn sie aus dem Blickfeld gerückt sind. Klima-Krise, Artensterben, Hunger und Armut und die weltweite Flüchtlingskrise. Das Unternehmen „Blue Future Project“aus Saarbrücken, das von Tibor Sprick und Christoph Dillenburger gegründet wurde, hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf einige dieser Probleme aufmerksam zu machen, ihnen eine Öffentlichkeit zu geben. Im Sommer sind Dillenburger und Sprick mit zwei Mitstreitern nach Griechenland gereist, um sich ein Bild über die Zustände in den Flüchtlingslagern zu verschaffen – und eine Dokumentation zu drehen.
Was war Ihre Motivation, die Flüchtlingslager auf den griechischen Inseln zu besuchen?
SPRICK Wir wollten ein echtes, unabhängiges Bild der Lager abgeben und die Menschen zu Wort kommen lassen. Bis dato haben wir noch keine Berichterstattung gesehen, die ein umfassendes Bild abgibt. Es wird selten über die Fluchtursachen und unsere Verantwortung gesprochen. Der Fokus liegt meist auf dem Terror, jedoch nicht auf unseren Waffenexporten. Wir führen in diesen Ländern seit Jahrzehnten Krieg, sorgen für Destabilisierung, geben dem Terror einen Nährboden und wundern uns dann, dass Menschen in diesen Ländern nicht mehr sicher sind und somit flüchten müssen.
Wie haben die Geflüchteten und die offiziellen Behörden auf ihren Besuch reagiert?
SPRICK Da wir keine Erlaubnis hatten, die Camps zu besuchen, sind wir den Offiziellen bestmöglich aus dem Weg gegangen. Wenn wir erwischt wurden, waren wir einfache, ahnungslose Touristen. Uns wurde jedoch öfter vehement zu verstehen gegeben, dass wir nicht erwünscht sind. Von den Flüchtlingen wurden wir ohne Ausnahme unfassbar herzlich aufgenommen. Uns wurde jedes Mal zu essen und etwas zu trinken angeboten, obwohl die Menschen nicht genug Essen für die eigene Familie hatten. Man merkte, dass sie verzweifelt sind und nicht weiter wissen. Sie waren froh, dass wir uns für sie interessierten.
Schildern Sie doch zwei, drei Erlebnisse oder Begegnungen, die Sie besonders bewegt oder beeindruckt haben.
SPRICK Es ist schwierig, einzelne Begegnungen herauszufiltern, da jedes
Gespräch unfassbar interessant und tragisch war. Wir haben einen 14-Jährigen kennengelernt, dem die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben war. Er möchte Arzt werden und Menschen helfen. Er sprach sehr gutes Englisch und war extrem intelligent und auch interessiert. Und dass trotz all der Widrigkeiten, die er in seinem Leben schon durchmachen musste. Solche Menschen, davon trafen wir einige, sind eine unfassbare Bereicherung für unsere EU. Was ich besonders schön fand, war immer wieder ähnliche Antworten zum Thema Integration zu bekommen. Die Menschen sehnen sich nach einer Aufgabe, nach Sinn und Perspektive im Leben. Sie möchten arbeiten und ein wertvoller Teil der Gesellschaft sein. Wir sollten die Krise also als Chance sehen, insbesondere da wir mit Problemen wie Pflegenotstand, Handwerkermangel, dem demographischen Wandel und ähnlichem zu kämpfen haben.
Wie sind die Zustände in den Lagern?
SPRICK Menschenunwürdig be- schreibt es am besten. Camps wie Moria sind eine Schande für unsere Wertegemeinschaft. Die Ärzte kümmern sich nicht oder sind maßlos überfordert, die Polizei stellt eher eine Gefahr dar, Toiletten gibt es kaum und wenn, sind sie unfassbar verdreckt. Das Essen ist oft verdorben und macht die Menschen krank. Natürlich würde es jeder von uns ein paar Tage dort aushalten. Es geht aber darum, dass Menschen oft jahrelang ohne Perspektive und Hoffnung vor sich hin rotten, anstatt dass diese Menschen integriert werden.
Wie ist das Verhältnis der Inselbewohner zu den Flüchtlingen?
SPRICK Gemischt. Viele haben wirklich die Schnauze voll, andere möchten immer noch helfen. Jedoch steigt die Zahl der Menschen, die verärgert sind. Das können wir verstehen – diese Menschen werden von der EU im Stich gelassen. Wenn jemand ein Hotel betreibt und keine Touristen mehr kommen, ist das schlecht. Dasselbe gilt für unzählige Restaurants und
Bars. Hier sind viele Existenzen bedroht. Das Problem sind jedoch nicht die Flüchtlinge, sondern die Politik, die Menschen jahrelang in den Camps versauern lässt.
Konnten Sie sich frei bewegen? Wurden Sie angefeindet?
SPRICK Wir konnten uns natürlich frei bewegen. Wir wurden nur von den griechischen Behörden angefeindet. Es gab verschiedenste Versuche, unsere Kamera zu entwenden. Eine dieser Szenen ist ebenfalls in der Doku zu sehen. Jedes Mal, wenn wir den deutschen Pass gezeigt haben und erwähnten, dass wir in Deutschland gute Kontakte in die Politik haben, ließen sie uns schnell und freundlich gehen. Hier hat man gemerkt, „wer die Hosen in der EU an hat“. Dementsprechend zeigt uns das jedenfalls, dass Deutschland viel ändern könnte.
Wie lange hat die Reise gedauert? War es schwer, auf die Inseln und speziell in die Camps zu gelangen?
SPRICK Wir waren zehn Tage unterwegs. Es war schwierig in die Camps zu gelangen. Wir haben uns weniger Sorgen um uns persönlich gemacht, sondern hatten eher die Sorge, dass unsere Kamera konfisziert wird und wir alle Aufnahmen löschen müssen. Somit hätten wir Probleme, ein wirkliches Bild zu vermitteln. Wir haben immer versucht, durch kaputte Zäune in die Camps zu gelangen. So hatten wir es auch im berühmten Camp Moria versucht. Nach vielen gescheiterten Versuchen sind wir dort einfach selbstbewusst durch den Vordereingang spaziert. Wir taten einfach so, als sollten wir da sein und als gehörten wir dazu. Das war erstaunlich einfach.