Ein Zeichen der Hoffnung aus Notre-Dame
Die Kathedrale ist gerettet, doch der Aufbau des bei einem Brand schwer beschädigten Gebäudes wird noch viele Jahre in Anspruch nehmen.
Itaru Sekiguchi fühlt sich wie im Paradies. „Es ist ein erhebendes Gefühl, hier zu arbeiten“, sagt der Orgelbauer voller Ehrfurcht vor der Aufgabe, die ihm anvertraut wurde. Sein äußerst exklusiver Arbeitsplatz befindet sich im Herzen von Paris, auf der Ile-de-la-Cité. Seit einigen Wochen demontieren Itaru Sekiguchi und seine Kollegen die Orgel in der Kathedrale Notre-Dame. „Wir mussten lange warten, dann haben wir endlich grünes Licht bekommen.“
Eine kleine Ewigkeit hat es gedauert, bis Frankreichs Kulturministerin Roselyne Bachelot Ende November die erlösenden Worte sprach. „Notre-Dame ist gerettet“, verkündete sie während einer Anhörung in der französischen Nationalversammlung. Manchem scheint es noch heute wie ein Wunder, dass die Kathedrale überhaupt noch steht, denn in der Nacht des 15. April 2019 schien das Ende dieses einzigartigen Bauwerks gekommen. Ein kaum zu bändigender Feuersturm tobte im Dachstuhl, einer mächtigen Konstruktion aus tausenden Eichenbalken aus dem 13. Jahrhundert. Hunderte Feuerwehrleute kämpfen über Stunden gegen das rasende Flammenmeer, bis schließlich der 96 Meter hohe hölzerne Vierungsturm aus dem 19.
Jahrhundert in sich zusammensackte und große Teile der Gewölbekuppel in die Tiefe riss.
Auch Frankreichs Präsident war vor Ort und wurde Augenzeuge des Infernos. Zu jener Stunde wusste noch niemand, wie große der Schaden sein könnte, ob die Kathedrale überhaupt zu retten sein würde, doch Emmanuel Macron stand vor sein Volk und verkündete: „Innerhalb von fünf Jahren wird Notre-Dame wieder aufgebaut!“Es waren kühne Worte.
Am Morgen nach dem Brand konnte sich die Welt glücklich schätzen, dass Notre-Dame überhaupt noch stand. Doch die ersten Einschätzungen der Schäden waren mehr als niederschmetternd. Das Mauerwerk hatte widerstanden, doch Temperaturen bis zu 1000 Grad, Rauch, aber auch Löschwasser hatten den Steinen schwerste Schäden zugefügt.
Die größte Gefahr ging allerdings von einem Gerüst aus, das sich wegen Renovierungsarbeiten an der Kirche befunden hatte und beim Brand verformt wurde. 200 Tonnen Stahl lasteten auf den beschädigten Mauern und mussten Strebe für Strebe abgebaut werden. Erst Ende November war diese gefährliche und komplizierte Arbeit erledigt. „Wir mussten immer darauf achten, dass das Gerüst nicht aus dem Gleichgewicht kommt und einstürzt“, erklärt der Gerüstbauer Didier Cuisiet.
Kulturministerin Roselyne Bachelot verriet, dass es bis zuletzt Zweifel an der Standhaftigkeit des Gebäudes gegeben habe, solange das Gerüst noch auf dem Dach hing. „Diese Angst liegt definitiv hinter uns,“sagt sie nun. Völlige Entwarnung will die Politikerin aber noch nicht geben. Sie betonte, dass noch viel zu tun sei und die Sicherungsarbeiten noch längst nicht abgeschlossen seien. Die würden mindestens bis zum Sommer kommenden Jahres andauern. „Und natürlich kann erst danach mit den großen Restaurierungsarbeiten begonnen werden.“
Was das heißt, lässt sich allein an der Herkulesaufgabe erahnen, die Itaru Sekiguchi und seine Kollegen in Angriff genommen haben. Nachdem die Klaviatur bereits abgebaut wurde, muss nun die eigentliche Orgel aus dem Jahr 1733 mit ihren 8000 Pfeifen und 115 Registern Stück für Stück auseinandergebaut werden. Das Instrument ist bei dem Brand nicht von den Flammen ergriffen worden und hat auch bei den Löscharbeiten relativ wenig Wasser abbekommen, heißt es von Seiten der Verantwortlichen. Die gesamte Orgel sei jedoch mit giftigem Bleistaub bedeckt worden und einige Teile hätten insbesondere während der Hitzewelle im Juli 2019 unter thermischen Schwankungen in der Kathedrale gelitten. Die Restaurierung der Orgel sei eine „Baustelle auf der Baustelle“, erklärt der Sonderbeauftragte für den Wiederaufbau Notre-Dames, Jean-Louis Georgelin. Im April 2024 solle das Instrument wieder ertönen.
Wie Itaru Sekiguchi müssen auch alle anderen Restauratoren in der Kathedrale in Schutzkleidung arbeiten, die sie wie Astronauten aussehen lässt. Das nehmen sie allerdings alle gerne in Kauf für die einzigartige Möglichkeit, in Notre-Dame mitzuarbeiten. Man arbeite sich Zentimeter für Zentimeter vor, beschreibt eine Restauratorin für Wandgemälde gegenüber dem Fernsehsender TF1. Oft wissen die Fachleute allerdings nicht, was sie erwartet. Deshalb wird in einer Seitenkapelle der Kathedrale wie in einem Testlabor vorgegangen. Mit Pinseln und Schwamm werden die Wände vom Ruß, Dreck und möglichem Gift gereinigt, das beim Brand entstanden sein könnte.
Ausgewiesenes Ziel ist es allerdings, den Esprit der Restaurierung des Architekten Eugène Viollet-le-Duc aus dem Jahr 1844 zu erhalten. Denn auch so viel steht fest: Notre-Dame soll soweit es geht in der bisher bekannten Form wieder erstrahlen. Erste Ideen von Präsident Emmanuel Macron, beim Wiederaufbau auf eine „zeitgenössische architektonische Geste“zu setzen, wurden nach heftigen Diskussionen verworfen. Abgeschreckt wurden viele von ersten Entwürfen von Architekten, die vorschlugen im Dachstuhl einen Garten aus Eichen zu pflanzen, goldene Flammen in den Himmel züngeln zu lassen oder das gesamte Dach aus Glas zu konstruieren, mit einer Spitze aus Kristallen.
An Weihnachten soll in Notre-Dame wenigstens ein Stück Normalität einkehren. Heiligabend wird es erstmals wieder ein kleines Konzert in der Kathedrale geben, das auch im Fernsehen übertragen wird. Unter anderem sollen 20 Sängerinnen und Sänger des Erwachsenenchors von Notre-Dame und zwei Solisten daran mitwirken. Das sei auch ein kleines Zeichen der Hoffnung in schweren Zeiten, heißt es.