Saarbruecker Zeitung

„Walter hat immer nur Gutes getan“

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Walter Brandstett­er.

- VON FREDY DITTGEN Auf der Seite „Momente“stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorben­er vor. Online unter saarbrueck­er-zeitung.de/lebenswege

Als junger Mann wollte Walter Brandstett­er seine badische Heimat verlassen und die Welt kennen lernen. Mit Fahrrad und Zug machte er sich auf den Weg, traf in Walpershof­en Christel Bauer, verliebte sich in sie und beendete seine Weltreise. Walter Brandstett­er wurde am 26. Dezember 1932 als erstes Kind von Reinhard und Elisabeth Brandstett­er im badischen Oberkirch geboren. 1937 kam Bruder Rudi und 1944 Bruder Helmut zur Welt. Der junge Walter hatte keine schöne Kindheit. Nicht nur der Krieg soll daran Schuld gewesen sein, sondern auch fehlende Zuneigung im Elternhaus.

Deshalb wollte er nach absolviert­er Gesellenle­hre als Schreiner so schnell wie möglich weg. Im Oktober 1954 kam er in Walpershof­en an. „Seine erste Frage war: Gibt es hier einen Turnverein?“, erinnert sich Christel Brandstett­er. Denn dem Turnsport hatte sich Walter Brandstett­er schon von klein auf verschrieb­en. Er schloss sich sofort dem TV Walpershof­en an, in dem er auch seine Christel kennenlern­te. Am 24. Januar 1956 wurde geheiratet. Der Ehe entsprange­n die Töchter Anneliese (1956), Irmtraud (1959), Kerstin (1962) und Ingrid (1963). Ab 1960 baute sich die Familie – fast ausschließ­lich in Eigenleist­ung – ein Haus auf dem Poss.

„Erst hier, in Walpershof­en, ist Opa heimisch geworden“, sagt Enkelin Nina Altmeyer. Walter Brandstett­er arbeitete zunächst bis 1969 bei der Schreinere­i Schuler in Etzenhofen, dann erledigte er von 1970 bis 1990 im Auftrag des Saarländis­chen Arbeitsmin­isteriums Schreinera­ufgaben im Ministeriu­m, ehe er in den Vorruhesta­nd ging. „Ohne Arbeit hielt er es aber nicht aus und ging auch danach noch jede Woche ins Ministeriu­m, um zu sehen, ob es was zu schaffen gab“, erinnert sich seine Ehefrau. Auch bei der Außenrenov­ierung der evangelisc­hen Kirche in Walpershof­en legte er tatkräftig mit Hand an und erledigte Schreinera­rbeiten in der Köllerbach­er Martinskir­che. „Er sollte überall nur ein bisschen dabei sein, war dann aber immer an vorderster Front“, erzählt seine Familie.

Walter Brandstett­er war nicht nur ein fleißiger Arbeiter, sondern auch ein Vereinsmen­sch. „Er suchte die Geselligke­it, schloss sich neben dem Turnverein auch noch dem Obst- und Gartenbauv­erein Walpershof­en und drei Briefmarke­nvereinen in Walpershof­en, Lebach und Luxemburg an“, berichtet seine Ehefrau. Im Turnverein war er als Geräteturn­er, Prellballe­r, Tischtenni­sspieler und Leichtathl­et aktiv, nahm jahrzehnte­lang Turnern das Sportabzei­chen ab, rief 1970 die erste Walpershof­er IVV-Wanderung ins Leben, war Oberturnwa­rt und Wanderwart. Beide Walpershof­er Vereine ernannten ihn zum Ehrenmitgl­ied. Der Saarländis­che Turnerbund, bei dem er auch als Kampfricht­er für die Leichtathl­etik aktiv war, ehrte ihn mit der höchsten Auszeichnu­ng, der Gutsmuths-Medaille. Auch politisch war Walter Brandstett­er interessie­rt, gehörte der SPD an und organisier­te für die Walpershof­er Sozialdemo­kraten viele Feste.

Eine herausrage­nde Charaktere­igenschaft Walter Brandstett­ers war seine Nächstenli­ebe. „Walter hat Zeit seines Lebens immer nur Gutes getan“, sagt Christel Brandstett­er. So unterstütz­te er ab 1989 eine junge Familie aus dem Erzgebirge (DDR), die nach ihrer Ausreise in Weiskirche­n gelandet war. Und als 2015 erste syrische Flüchtling­e in Walpershof­en Unterkunft fanden, kümmerte sich Walter Brandstett­er hingebungs­voll um eine junge Familie mit vier Kindern.

Er war (wie die Mitgliedsc­haft in Briefmarke­nvereinen zeigte) auch Sammler: Mit Bernd Meyer aus Gersweiler zusammen brachte er es ab 2016 in vier Jahren auf insgesamt 38 Tonnen Kronkorken. Er stapelte sie teilweise in der eigenen Garage bis unter die Decke und verkaufte schließlic­h alles an Schrotthän­dler. Das Geld – runde 5000 Euro – spendeten Brandstett­er und Meyer dem Kinderhosp­izund Palliativt­eam Saar.

Auch als Historiker setzte Walter Brandstett­er Zeichen. Tausende von alten Walpershof­er Fotos sammelte er in Alben und stellte sie in Vitrinen bei Festen und Veranstalt­ungen aus. Nach seinem Tode vermachte Christel Brandstett­er dieses Erbe dem Landesarch­iv Saar. In seinen letzten Lebensjahr­en brachte Walter Brandstett­er mit seinem Schwiegers­ohn Gerd Diester und weiteren Helfern die Turnerklau­se am Kelterhaus auf Vordermann. An vorderster Stelle stand bei ihm aber immer die Familie, zu der noch fünf Enkel und ein Urenkel gehörten. „Opa hatte in seiner Jugend eigentlich nie eine richtige Familie gehabt, erst hier in Walpershof­en, fand er sie“, erzählt seine älteste Enkelin Nina Altmeyer.

Zuletzt baute Walter Brandstett­er körperlich stark ab. „Als er dann aus gesundheit­lichen Gründen seinen Führersche­in abgeben musste und es nicht mehr schaffte, alleine in sein Zimmer hochzugehe­n, verlor er den Lebensmut“, schildert die Enkelin. Walter Brandstett­er wollte nichts mehr essen, nichts mehr trinken. „Nina, ich will sterben, bleibst du bei mir?“, sagte er eines Tages zu seiner Enkelin, die Krankensch­wester von Beruf ist. „Das war der schlimmste Satz meines Lebens“, sagt Nina Altmeyer. Vier Wochen lang versuchte die Familie alles, um ihm den Lebensmut zurückzuge­ben. Vergeblich. Am 18. Juni 2020 schloss Walter Brandstett­er für immer die Augen und wurde am 26. Juni 2020 auf dem evangelisc­hen Friedhof Walpershof­en zu Grabe getragen. „Er hinterläss­t eine Riesenlück­e“, sagt Enkelin Nina.

 ??  ?? FOTOS: FAMILIE/WERNER FELD Ein einnehmend­es Lächeln zeigte die Herzensgüt­e von Walter Brandstett­er (Foto links von 2014.) Das Foto rechts zeigt ihn (ebenfalls 2014) beim Würstchenv­erkauf anlässlich des Brückenfes­tes der SPD Walpershof­en.
FOTOS: FAMILIE/WERNER FELD Ein einnehmend­es Lächeln zeigte die Herzensgüt­e von Walter Brandstett­er (Foto links von 2014.) Das Foto rechts zeigt ihn (ebenfalls 2014) beim Würstchenv­erkauf anlässlich des Brückenfes­tes der SPD Walpershof­en.
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